In der letzten Woche hielt ich beim efcom-Symposium in Frankfurt einen Vortrag zum Thema „Sicherheit“. So weit, so gut.
Was ich bislang noch nie erlebt hatte: mein Vortrag wurde zeitgleich großflächig aufgemalt, und zwar von Stefan Müller von „Thinkpen“. Eine interessante Sache! Nun ist es immer noch leichter, einen philosophischen Text zu visualisieren als eine Rechnungsprüfung, trotzdem ist es schon eine große Herausforderung!
Und der wollen wir jetzt im Detail nachgehen, indem wir anhand dieser Bilder meinen Vortrag “Was ist Sicherheit” darstellen – zumindest in groben Zügen. Denn der originale Vortrag dauerte 45 Minuten und stenographisch malen ging dann doch nicht.


Ob das hier wirklich ich bin … man kann drüber streiten. Sagen wir mal so: ein bisschen geschmeichelt haben die Porträtmaler eigentlich immer.

 

Darum geht es, das Thema Sicherheit:

 

 

Es ist so, dass wir in Europa ein ausgesprochen hohes Sicherheitsbedürfnis haben. Das hat nichts mit der realen Sicherheit zu tun, es ist ein Bedürfnis. Das Interessante: in anderen Ländern unserer Zeit und auch in der Vergangenheit Europas war das nicht so.

 

Das führt uns natürlich zu der sehr philosophischen Frage: Warum ist das so? Die Antwort darauf kann uns viel verraten über unsere heutige Mentalität und unser heutiges Sicherheitsbedürfnis.

 

Hierzu ist es hilfreich, ein bisschen in die Geschichte zurückzugehen und auf den Augenblick zu schauen, in dem das Thema “Sicherheit” auftauchte: warum etwas beginnt, verrät uns, warum es überhaupt da ist!

Es ist das 16. Jahrhundert! Davor galt im Mittelalter: Glaube an Gott schafft Sicherheit. Was bedeutet, dass im tiefgläubigen Mittelalter das Thema Sicherheit noch nicht auf der Agenda stand. Aber danach! Und damit beginnt die Moderne.

 

 

Der Verlust der alten Sicherheit im religiösen Glauben führte zu unterschiedlichen Versuchen, sich eine neue Sicherheit zu schaffen.

1. Die eigene Orientierung: was bin ich überhaupt als Mensch, wenn das Christentum mir keine Antwort gibt? Was kann mir Sicherheit über mich und die Welt geben?
Die Antwort von Descartes: “Ich denke, also bin ich!” Die Sicherheit wird in den Menschen verlagert! Das Begreifen der eigenen Existenz ist die Grundlage aller Sicherheit.

 

2. Die Gesellschaft: was soll der Staat, wenn er nicht religiös ist? Hobbes und Co. schaffen die Grundlagen für eine neue Begründung des Staates! Dessen Aufgabe? Sicherheit!
3. Die Wissenschaften: wenn nicht mehr Gott die treibende Kraft der Natur ist, sondern natürliche Kräfte es sind: wie funktioniert die Natur? Ein Boom der Wissenschaften! Sicherheit durch Wissen!



Wohin? Die Schere geht immer weiter auseinander: der technische und wissenschaftliche Fortschritt galoppieren, die echte Sicherheit wird immer größer, die gefühlte Sicherheit wächst allerdings nicht mit … wohin geht es?

Blick auf Gesamtentwicklung:

1. Antrieb durch Unsicherheit: die Unsicherheit bzw. der Versuch, die alte Sicherheit wiederzuerlangen, war ein großer Antrieb: über das eigene Selbstverständnis nachzudenken, über die Grundlagen der Gesellschaft, über die Welt und die Natur. Die Unsicherheit war der Motor der Moderne!

 

2. Gefahr durch Ideologien: die Moderne ist die Zeit der Ideologien, die leider oft großes Unheil über die Menschen gebracht haben. Sie griffen die allgemeine Unsicherheit auf und boten eine neue vermeintliche Sicherheit. Die besondere Schattenseite dieser Ideologien: sie sind auf kompakte, in sich geschlossene Gemeinschaften angewiesen. Jede Störung dieser Gemeinschaft schafft Unsicherheit und muss vernichtet werden. Vom Ketzer im Mittelalter bis zum Juden im 3.Reich.

Was ist zu tun? Was kann Sicherheit schaffen?

1. Gemeinschaft: ein Sicherheitsgefühl hat immer eine soziale Dimension, ist also eine Sache des Umfelds, in dem man sich bewegt. In dieses Umfeld – also in die Mitmenschen – zu investieren, indem man sich um eine tragfähige und gute Verbindung zu ihnen bemüht, schafft Sicherheit.

2. Vernunft: der Verlust des religiösen Weltbilds zu Beginn der Moderne löste einen Boom der Wissenschaften aus: die Vernunft sollte nun die Welt erklären, nicht mehr die Bibel. Die größte Unsicherheit entsteht durch Nichtwissen. Die Vernunft bekämpft das Nichtwissen.

Zwei Kräfte sind Beschleuniger der aktuellen Unsicherheit: der Verlust der verschiedenen sozialen Milieus, die bis vor einigen Jahrzehnten große Sicherheit und Orientierung boten, und die Digitalisierung, die jede Entwicklung beschleunigt und aufbläht.

Diese beiden Kräfte sind aufzufangen und zu integrieren: indem neue, tragfähige Gemeinschaften geschaffen werden und indem der Antrieb der Digitalisierung genutzt wird – ihre positiven Kräfte.

Die Unsicherheit ist nicht nur Bestandteil, sie ist ein wesentlicher Antrieb des modernen Menschen gewesen: der Fortschritt in Wissenschaft und Technik ist genauso Teil dieser Geschichte wie seine Entfremdung vom Religiösen und seine Gefährdung durch Ideologien, welche die alte religiöse Sicherheit ersetzen wollen.

Keiner bricht auf, der sich sicher fühlt. Derjenige bricht auf, der sich unsicher fühlt und den Mut hat, neue Sicherheit zu entdecken und aufzubauen. Das ist die Geschichte des modernen Menschen. Im Guten wie im Schlechten.