Vor etwa einer Woche wurde in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt und das Ergebnis dieser Wahl hat durchaus für großes Aufsehen gesorgt: der „Rechtspopulist“ Geert Wilders und seine PVV gehen als Sieger aus dieser Wahl hervor. Im In-, aber noch mehr im Ausland herrscht große Verunsicherung darüber, was diese Wahl für die Niederlande bedeutet, die bis dahin als Hort der Freiheit und des Liberalismus galt. Insbesondere für Deutschland ist diese Frage wichtig, stellen die Niederlande doch den nach den USA und China wichtigsten Handelspartner.
Pim Fortuyn
Um diese Wahl zu verstehen, muss man ein paar Jahre zurückgehen, zu Pim Fortuyn. Er war Anfang der 90er Jahre als Dozent an der Erasmus-Universität in Rotterdam tätig gewesen. Nach dem Ende dieser Tätigkeit wurde er als Publizist mit mehreren liberal-konservativen Veröffentlichungen bekannt. 2000 war Rotterdam Kulturhauptstadt Europas und Fortuyn besuchte eine Veranstaltung, bei der der Imam von Rotterdam eine Ansprache hielt.
Dort musste Fortuyn hören, dass die Schwulen bekämpft werden müssten und kein Recht darauf hätten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Schwule, so dieser Imam, seien weniger wert als Schweine. Der bekennende Homosexuelle Fortuyn war empört. Er erkannte in dieser Rede das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft. Er verfasste ein Buch „Gegen die Islamisierung der Gesellschaft“ und beschloss, in die Politik zu gehen.
Was nun folgte, war ein kometenhafter Aufstieg. Mit seiner neuen Partei krempelte er die niederländische Politik und die niederländische Gesellschaft komplett um. Dies tat er inhaltlich mit einer scharfen Abgrenzung gegenüber dem Islam, den er als Bedrohung der freien Gesellschaft wahrnahm, und dies tat er methodisch durch Polarisierung und Populismus.
Wenige Tage bevor er mit seiner Partei ins Parlament einziehen konnte, wurde Fortuyn am 6. Mai 2002 von einem Linksradikalen ermordet.
Geert Wilders
Geert Wilders war zur Zeit Fortuyns Politiker der rechtsliberalen VVD, trat aber 2004 aus dieser aus und gründete 2006 die „Partij voor de Vrijheid“ (PVV), die sofort ins Parlament einzog. 2008 wurde Wilders durch den Film „Fitna“ bekannt und berüchtigt.
Dieser Film besteht inhaltlich aus zwei Elementen: Gewaltaufrufen aus dem Koran gegen Christen, Juden und andere Ungläubige werden Videos gegenübergestellt, in denen heutige Moslems genau das machen: Christen, Juden und andere Ungläubige umbringen.
„Fitna“ wurde zu einem Fanal dessen, was Fortuyn und Wilders bei stark, aber eben auch moralisch bedenklich gemacht hat: endlich einmal vorhandene Schwächen des Islam und damit der Migrationspolitik anzusprechen, aber nicht wahrzunehmen, dass diese Schwächen nicht für alle Moslems gelten.
Mit anderen Worten: es gibt das Problem eines radikalisierten Islam. Es gibt das Problem, dass moslemische Gemeinden und Verbände in unseren Gesellschaften aus Ländern finanziert werden, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zerstören wollen. Es gibt das Problem, dass viele Moslems diese unsere freiheitliche Grundordnung nicht teilen. Frauen sind Menschen 2. Klasse. Homosexualität ist ein Verbrechen. Demokratie und Freiheit sind eine Gefahr für den islamischen Glauben.
Das benennt Wilders im Unterschied zu den anderen Politikern und gewinnt damit eine riesige Glaubwürdigkeit, denn diese Dinge werden so wahrgenommen und es gibt diese Dinge eben.
Das Problem ist nur: auch wenn es diese Dinge im Islam gibt, ist nicht jeder Angehörige des Islam so. Auch wenn es diese Dinge im Islam gibt, ist es nicht legitim, alle Moscheen dicht zu machen und den Koran zu verbieten.
Fortuyn und Wilders waren und sind erfolgreich, weil sie das aussprachen, was es in der Tat gibt: das Problem des Islamismus. Dies taten sie aber, indem sie zuspitzten, polarisierten und vereinfachten: es gibt den Islamismus, aber er es nicht deckungsgleich mit dem Islam.
Wilders Weg zum Wahlsieg
Das Thema „Islam“ hat Wilders einen gewissen Grundstock an Wählern verschafft. Um die letzte Wahl zu gewinnen, brauchte es aber noch einige dicke Fehler der etablierten Parteien, namentlich der VVD.
- Ministerpräsident Mark Rutte von VVD ließ die Koalition mit den Linksliberalen von D66, der christdemokratischen CDA und der ChristenUnie (CU) im letzten Sommer platzen mit dem Thema Migration. Damit hat er dieses Thema aus der 2. in die 1. Reihe geholt.
- Die VVD machte Wahlkampf mit dem Thema Beschränkung der Migration. Damit machte sie dieses Thema politisch hoffähig. Der Effekt: die Leute nahmen es zur Kenntnis, beschlossen aber nicht, die VVD zu wählen, sondern das Original: die Partei, die das seit Jahren fordert, die PVV von Wilders.
- Die neue Vorsitzende der VVD, Justizministerin Dilan Yesilgöz, erklärte im August, eine Koalition mit Wilders nicht prinzipiell auszuschließen. Den Wählern war klar: eine Stimme für Wilders ist keine verlorene Stimme. Es kam zu einem sichtbaren Anstieg der PVV von Wilders.
- Im Oktober kam es als Folge des Hamas-Angriffs auf Israel zu vielen pro-palästinensischen Demonstrationen in den großen Städten, die teilweise auch gewalttätig abliefen, zumindest aber die Gewalt der Hamas verherrlichten. Der Staat sah weitgehend dabei zu und wurde zumindest gegenüber der islamischen Gewalt als unentschlossen wahrgenommen. Viele Wähler interpretierten dies als weiteres Detail der seit vielen Jahren versagenden Migration. Die entscheidenden Stimmen liefen zu Wilders über, seine PVV legte in den letzten Wochen bis zum Wahltag noch einmal deutlich zu und wurde zur stärksten Partei.
Neue Regierung?
Erst einmal ist abzuwarten, ob die PVV die neue Regierung bilden kann oder nicht. Sie ist auf mindestens zwei Partner angewiesen, die sich schwer tun: die rechtsliberale VVD und die NSC, eine neugegründete Partei des ehemaligen Christdemokraten Pieter Omtzigt. Wilders braucht diese beiden rechts-bürgerlichen Parteien, um regieren zu können. Andere Chancen hat er nicht: die rechtsextreme FvD liegt bei 2,2%, die rechte JA21 liegt bei 0,7%.
Die VVD und NSC haben den Schlüssel zur neuen Regierung in der Hand: sie können Wilders in einer Mitte-Rechts-Regierung zur Macht verhelfen, aber auch mit der linksliberalen D66 und dem linksgrünen Bündnis (GL-PvdA) des ehemaligen EU-Kommissars Frank Timmermans eine Mitte-Links-Regierung bilden. Beides ist möglich.
Stand jetzt scheint sich die VVD alle Optionen offen zu halten, während Omtzigt sich zumindest schärfer gegen Wilders abgrenzt. Ob das allerdings eine Tendenz zu einem linken Bündnis bedeutet, ist offen.
Der Ball liegt jetzt bei Wilders. Dass der von ihm eingesetzte Vermittler, PVV-Mann Gom van Strien, für die anstehenden Koalitionsverhandlungen bereits nach vier Tagen wegen Korruptionsvorwürfen das Handtuch werfen musste, gibt bereits einen Vorausblick auf überaus schwierige Koalitionsverhandlungen, die viele Monate dauern werden und deren Ende völlig offen ist.
Hier wird auch spannend zu beobachten sein, wie sich die Struktur der PVV auf die Verhandlungen auswirkt: die PVV ist eine ein-Mann-Partei, Wilders ist das einzige Mitglied. Er schreibt das Programm, er ernennt alle Abgeordneten. Hieraus ergibt sich für Wilders eine große Gestaltungsmacht in Verhandlungen, wie gut die personelle Decke der Partei ist, ist allerdings mehr als fraglich.
Politische Folgen
Unabhängig davon, wie die neue Regierung aussehen wird und unabhängig davon, ob Wilders an der neuen Regierung beteiligt sein wird, hat sein Wahlsieg große Folgen für die politische Landschaft der Niederlande, die auch in Deutschland bedacht werden müssen. Auch hier liegt eine Problemlage vor, die der niederländischen nicht unähnlich ist.
Hier ist kurz festzustellen, dass Wilders und seine Partei sicherlich rechtspopulistisch, aber nicht rechtsextrem sind. Die rechtsextreme Szene der Niederlande findet sich eher im FvD von Thierry Baudet. Wilders ist kein Antisemit, er ist mit einer Jüdin verheiratet und gilt als Freund Israels. Dennoch muss man auch ihm eine Nähe zu Putin bescheinigen, dennoch will auch er aus der Europäischen Union aussteigen und dennoch finden sich bei auch bei ihm Töne, die die Gesellschaft spalten.
Dass diese Töne zukünftig stärker in den Niederlanden zu hören sein werden, gehört zu den Folgen dieser Wahl – egal, ob Wilders regiert oder nicht.
Wilders kämpft gegen die Migration und will die Niederlanden den Niederländern zurück geben. Sowohl aufgrund der kolonialen Vergangenheit der Niederlanden, aber auch aufgrund der vielfältigen internationalen Verflechtungen als Handelsnation waren die Niederlande noch stärker als Deutschland ein Land von Einwanderung und Migration.
Dies hat zur Folge, dass ein Mensch wie Wilders, der Defizite dieser Einwanderung anspricht, schnell auf fruchtbaren Boden stößt, bedeutet aber auch, dass das Erfolgsmodell der Niederlande frontal angegriffen wird: das Land lebt von den internationalen Verflechtungen und von der großen Freiheit und Toleranz, die in diesem Land gelebt wird. Der große wirtschaftliche Erfolg der Niederlande (höheres Pro-Kopf-Einkommen als in Deutschland) hängt von dem ab, was Wilders angreift.
Die drei Themen
Neben der Mitte-Rechts- und der Mitte-Links- Koalition gibt es noch eine 3. Möglichkeit: Wilders einigt sich mit Omtzicht, nimmt die Protest-Bauern (BBB) dazu und lässt sich von der VVD tolerieren. Entsprechende Signale gibt es bereits.
In diesem Fall wären drei Protestbewegungen in der Regierung vereint:
- Wilders und die PVV: Protest gegen die Migration,
- BBB: Bauern im Protest gegen zu scharfe Klima-Maßnahmen,
- Omtzicht und der NSC: Protest gegen die bisherige politische Kultur (Omtzicht trat aus der CDA aus wegen Mobbing und wegen einer politischen Kultur, die von Mauscheleien und Postengeschacher geprägt ist, aber wirkliche Skandale nicht anpackt)
In diesem Fall wären drei Parteien in der Regierung, die dort über keinerlei Erfahrung verfügen und in ihrem Wesen Protestbewegungen sind. Ob das gut ist für eine seriöse Regierungsarbeit, ist fraglich.
Unabhängig davon, ob diese “Koalition des Protests” unter Duldung der VVD zustande kommt, gibt sie der Politik und der Gesellschaft die Arbeitsfelder, über die sie endlich nachdenken muss:
- Migration: die Probleme der muslimischen Migration sind zu benennen und zu bekämpfen. Zugleich muss klar sein, dass man eine offene Gesellschaft will, die Einwanderung nicht nur hinnimmt, sondern braucht, um ihren Wohlstand halten zu können. Hier hilft weder linke Naivität, noch rechter Fremdenhass.
Wie ist Einwanderung möglich, die sich den Problemen der Einwanderung stellt? - Klima / Umwelt: der Klimawandel ist in vollem Gange. Die Gesellschaft und die Wirtschaft müssen sich darauf einstellen. Transformation der Wirtschaft darf aber nicht deren Abschaffung bedeuten. Transformation der Gesellschaft ist kein romantisches “zurück-zu-den-Urmenschen”. Hier hilft weder Klimaaktivismus, noch Leugnung des Klimawandels.
Wie ist ein Leben möglich, dass dem Klimawandel Rechnung trägt und hilft, möglichst klimaneutral zu sein, aber dennoch die Bedürfnisse und die Lebensqualität der Menschen ernst nimmt? - Politische Kultur: wie können Politiker und Bevölkerung wieder zusammen finden? Wie kann Politik transparenter werden und aus den Hinterzimmern verschwinden? Wie können Politiker wieder zu einer Kommunikation finden, die etwas erklärt und nicht verhüllt? Wie können Politiker wieder auf die Bürger hören, ohne populistisch zu werden? Wie kann der Bürger stärker in das politische Geschehen eingreifen, ohne das der Staat demagogisch wird?
Genau diese Aufgaben stellen sich auch der deutschen Gesellschaft und den anderen Demokratien. Diese drei Themen – Migration, Klima, politische Kultur – werden darüber entscheiden, ob unsere Demokratien eine Zukunft haben oder zerrieben werden. Das Wahlergebnis in den Niederlanden ist ein sehr deutliches, aber nicht das erste Warnsignal.
Danke für diese klare Analyse! Stellt sich die Frage nach konkreten Handlungsmöglichkeiten. Die Zeit läuft und wenn ich die Kommentare unter diversen Artikeln lese, dann erscheint es mir unmöglich, den notwendigen gesellschaftlichen Wandel zu schaffen. Die populistische Krakeler sind stets lauter. Wie können wir eine andere Gesprächs- und Politikkultur effektiv verändern? Ich denke, dass es nicht mehr ausreicht, sich in seiner Blase, in der man sich sowieso einig ist, darüber auszutauschen. Wir bräuchten einen „kometenhaften Aufstieg, der die Politik und die Gesellschaft umkrempelt“. Aber kann man das mit differenzierter Sichtweise und ohne populistische Vereinfachung überhaupt schaffen?
Seitens der Politik bräuchte es dafür seriöse Arbeit, Transparenz und gute Kommunikation. Den größten Fehler, den man machen kann, ist auf den Zug der Polarisierung und Polemisierung aufzusteigen. Es geht um die politische Kultur. Dazu werde ich im Januar einen Blog machen, da ich dazu schon einige Nachfragen bekommen habe.