Meine Söhne kommen jetzt in das Alter, in denen Comics interessant werden. Was für mich bedeutet, auch in die eigene Comic-Vergangenheit einzutauchen und das heißt: Asterix.

Quelle: Wikimedia.

Mein Lieblingsband damals war „Streit um Asterix“. Wie wohl allgemein bekannt, versuchen die Römer vergebens, das letzte freie gallische Dorf unter ihre Kontrolle zu bringen. Schließlich hat Cäsar eine geniale Idee: er schickt Tullius Destructivus, einen Menschen, der wie kein anderer die Begabung besitzt, Zwietracht zu sähen. Die Stärke der Gallier ist ihr Zusammenhalt und jenem Römer gelingt es meisterhaft, diesen Zusammenhalt zu zerstören. Dieser Asterix-Band ist ein Meisterstück über die menschliche Psyche: über ihre Anfälligkeit, auf Gerüchte reinzufallen, über ihren Spaß an der Intrige und dem Lästern über andere.

Man kann jetzt lange darüber spekulieren, warum dieser Band mein Favorit war. Darum soll es hier nicht gehen. Sondern darum, wie aktuell das Thema dieses Asterix-Bandes ist: der Einsatz von Zwietracht. Zwietracht als Instrument, den Zusammenhalt zu zerstören.

 

Zwietracht

In den letzten zehn bis zwanzig Jahren haben sich die Debatten in unserem Land – und nicht nur dort – verändert. Alles wird radikaler, man hört einander weniger zu, überall tauchen Gräben auf, die nur schwer zu schließen sind. Die Flüchtlingskrise von 2015, Corona, Ukraine, Israel.

Immer tauchen neue Themen auf, die mit unglaublicher Wucht diskutiert werden und in denen die meisten Menschen nur noch schwarz oder weiß kennen und die Gegenseite aus wirklichen Feinden besteht. Natürlich hat es auch in früheren Zeiten kontroverse Diskussionen gegeben, aber diese Art der gegenseitigen Anfeindung, dieses Sich-hochschaukeln von Emotionen, die zum Hass führen: das ist neu.

Woran liegt das? Was passiert da?

Diese neue Diskussions-„kultur“ oder vielmehr dieses neue Diskussionsgehabe hat eine technische Ursache: die sozialen Medien des Internets. Jede Meinung findet Gleichgesinnte, Beschimpfungen gehen leicht von der Taste, Informationen für die eigene Meinung gibt es massenweise. Blasenbildung.

Daneben greift aber ein weiterer Effekt, der bislang zu wenig beachtet wird und der sich der Techniken der sozialen Medien meisterhaft bedient. Es ist der Effekt, dass jemand mit großen finanziellen Mitteln, großen personellen Ressourcen und einer bestimmten politischen Agenda ein Ziel hat: Zwietracht zu sähen.

Die Rede ist von Putins Russland.


Russland

Bevor jetzt ein allgemeines Augenrollen einsetzt und man mich als einen Paranoiden bezeichnet, der überall böse Russen sieht, ein Blick auf Fakten.

Seit den 1970er Jahren war es die Strategie des russischen KGB, in den westlichen Gesellschaften Zwietracht zu sähen. Interessante Einblicke dazu gewährte der ehemalige KGB-Offizier und Überläufer Yuri Bezmenov in verschiedenen Interviews im Jahre 1984.

Es ging darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den westlichen Gesellschaften zu stören und Zwietracht zu säen.

Wie machte man das?

Ganz grob gesagt: man schaute auf Unterschiede und stärkte sie. Schwarz gegen Weiß, Rechts gegen Links, Inländer gegen Ausländer, Männer gegen Frauen, Jung gegen Alt, Christen gegen Moslems. Überall gibt es Unterschiede, und wo es Unterschiede gibt, gibt es Vorurteile und Ressentiments.

Bei denen kann man ansetzen und sie stärken. Indem man diese Vorurteile immer weiter bedient durch Veröffentlichungen von wirklichen Begebenheiten, die dann aber entsprechend aufgeplustert werden, durch das Erfinden von Geschichten usw.

Es ist ein ständiges Überschwemmen mit Informationen, wahr oder falsch, übertrieben oder nicht.

Diese Informationen, so Bezmenov weiter, müssen natürlich in die Gesellschaften hineingebracht werden. Dies geht logischerweise nicht, indem man von außen, also von Russland aus, irgendwelche Dinge verbreitet, dies muss aus dem Inneren der Gesellschaft passieren.

Entsprechend wichtig ist es, dass es Leute und Organisationen gibt, die im jeweiligen Land diese Informationen verbreiten. Dies wird auf verschiedene Weise initiiert.

Viele dieser Leute sind bereits von sich aus motiviert und ideologisch überzeugt. Bezmenov nennt sie wörtlich „nützliche Idioten“. Das können Politiker sein, Journalisten, aber auch Forscher und Professoren von der Universität. Die werden mit Informationen versorgt, sie werden öfter mal zu ein paar schönen Tagen nach Moskau eingeladen usw. Sie werden weiter motiviert und verbreiten die sowjetische bzw. russische Sicht auf die Welt in den Medien oder auch in der Forschung.

Je weniger ideologische Überzeugung vorhanden ist, desto mehr muss hier mit finanziellen Mitteln nachgeholfen werden. Korruption. Diese kann direkt passieren, geschieht aber zumeist indirekt durch übertrieben bezahlte Vorträge, durch Forschungsstipendien usw.

Neben dem Einsatz einzelner Personen geht es auch um den Einsatz von Organisationen. Zum einen werden Organisationen selbst gegründet, die sich eines guten Themas annehmen, oder Organisationen werden finanziell unterstützt, die nützlich sein können. Hierbei spielt es keine Rolle, ob sie die eigenen Ziele unterstützen oder nicht. Wichtig ist, dass sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt stören.

Dies kann also durchaus nette Organisationen des Kultursektors oder Friedens- oder Umweltverbände betreffen, aber auch Terrorgruppen. Hauptsache, sie stören und polarisieren oder dienen sonstwie den Zielen Russlands. So wurde beispielsweise auch die Anti-Atombewegung finanziell unterstützt, da die Abkehr von Nuklearenergie einen größeren Bedarf an russischem Gas hervorrufen musste. Direkt oder indirekt: es dient den Zielen Russlands.



Es geht um einen ständigen Fluss an Informationen und Emotionen. Dieser Prozess ist auf lange Zeit angelegt und dauert, so Bezmenov, etwa 20 Jahre, bis er abgeschlossen ist. Dann ist die Gesellschaft eigentlich sturmreif. Die Menschen sind verbittert und demoralisiert

Diesen Zustand beschreibt Bezmenov wie folgt:

„Eine Person, die demoralisiert ist, ist nicht in der Lage, wahre Informationen zu beurteilen. Die Fakten sagen ihm nichts. Selbst wenn ich ihn mit Informationen überhäufe, mit authentischen Beweisen, mit Dokumenten, mit Bildern; selbst wenn ich ihn mit Gewalt in die Sowjetunion bringe und ihm (ein) Konzentrationslager zeige, wird er sich weigern, es zu glauben, bis er (einen) Tritt in den Allerwertesten bekommt. Wenn ein Militärstiefel seine Eier zertrümmert, dann wird er es verstehen. Aber nicht vorher.“

Putin

Putin ist in diesem System großgeworden. Er ist KGB-Mann und hat nach seiner Machtübernahme dieses System weiter verschärft und professionalisiert. Dabei kamen ihm gegenüber der alten Sowjetzeit drei Faktoren zugute, die dieses System erfolgreicher machten als je zuvor:

  • Die Ahnungslosigkeit des Westens: der Kalte Krieg ist vorbei, Russland ist unser Freund, so die Meinung der meisten Menschen im Westen. Die frühere Aufmerksamkeit und das frühere Bewusstsein, in einem Wettkampf der Systeme zu sein, sind verschwunden.
  • Die sozialen Medien: die Möglichkeiten der neuen sozialen Medien, (Des-)Informationskampagnen zu betreiben und ganze Gesellschaften zu emotionalisieren, sind gigantisch und mit früheren Zeiten überhaupt nicht vergleichbar.
  • Die finanziellen Möglichkeiten: Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 1 Billion Dollar russisches Schwarzgeld in Europa unterwegs ist. Plus die offiziellen Gelder russischer Firmen, die in Europa lagern. Es ist viel Geld und für eine große Wirkung braucht man noch nicht mal viel Geld: ein einflussreicher Fernseh-Journalist wie Hubert Seipel wurde mit 600.000 Euro bedacht, ein Gerhard Schröder kostete ein paar Millionen mehr, aber was sind das für lächerliche Summen, mit denen man sich in ganz Deutschland Gehör verschaffen kann? Wenn man eine Billion zur Verfügung hat?

In den letzten Jahren wurde immer deutlicher, wie groß das Ausmaß des russischen Einflusses auf die westlichen Gesellschaften ist. Das Erstaunliche: es interessierte bis zum Ukrainekrieg eigentlich kaum jemanden. Selbst die Regierungen haben lange die Augen verschlossen, am meisten die deutschen Regierungen. Die Gründe sind vielschichtig, wie ja auch der russische Geheimnisdienst vielschichtig arbeitet. Es sind Sympathien für Russland, es sind Antipathien gegen Amerika oder das „System“, es ist Korruption, was auch immer.

Mittlerweile haben verschiedene Organisationen wie etwa das „European Values Center for Security Policy“ oder auch verschiedene Journalisten ein sehr klares Bild entworfen, was Russland alles macht. Nicht nur, dass in den westlichen Ländern extreme Parteien auf der rechten wie auch der linken Seite massiv unterstützt werden, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist genauso russisch infiltriert wie die aktuellen Bauernproteste an der ukrainischen Grenze. Ob es der US-Wahlkampf um Trump und Gerüchte über den korrupten Biden-Sohn sind, die Brexit-Abstimmung in Großbritannien, ein Verfassungsreferendum in Italien oder Anti-Baerbock-Kampagnen im deutschen Wahlkampf: nichts geht ohne Moskau.

Dieses System funktioniert nicht mit plumpen Lügen. Natürlich wird auch gelogen, aber das alleine würde nicht funktionieren. Es funktioniert mit Verzerrungen und Verschärfungen. Es gibt bestimmte Missstände oder Sorgen und Ängste. Die werden nun aufgebauscht und dramatisiert. Es wird keine neue Realität erfunden, sondern das, was da ist, wird verschärft. Bis keiner mehr weiß, was real ist.

Um welche Dimensionen geht es? Vor einigen Wochen kam heraus, dass alleine zur Zeit in Deutschland etwa 50.000 russische Fake-Accounts aktiv sind, gegen die Ampel-Regierung Stimmung zu machen. Sie fluten das Internet in den Kommentarspalten der großen Medien oder schicken spöttische und lustige Bildchen.

All das dient einem Zweck: Stimmung und Spaltung. Immer und überall. Seit Jahrzehnten. Und diese giftige Saat trägt Früchte, wie wir jeden Tag in unseren Gesellschaften sehen können.


Fazit

Es geht Putin darum, den Zusammenhalt der westlichen Staaten zu zerstören und Zwietracht zu sähen. Damit ist er sehr erfolgreich, weil er dafür riesige Ressourcen einsetzt und weil es nun einmal einfacher ist, Zwietracht zu säen als Einheit und Zusammenhalt zu schaffen.

Putin zielt auf das Grundvertrauen in den westlichen Gesellschaften. Eine Gesellschaft kann nicht funktionieren, ohne ein gewisses Grundvertrauen in die Politik, in den Staat, in die Behörden, in die Justiz, in die Parteien … in alle gesellschaftlich relevanten Größen. Dies heißt nicht, naiv alles zu schlucken, aber es bedeutet, erst einmal davon auszugehen, dass überall Leute sitzen, die vielleicht nicht alle fähig sind, die aber ein Grundvertrauen verdienen. Anders kann eine Gesellschaft nicht funktionieren.

Dies bedeutet, sich bei der Beurteilung dieser gesellschaftlichen Größen nicht zu sehr den Kopf vernebeln zu lassen und auf die Fakten zu schauen und den gesunden Menschenverstand einzuschalten.

Wenn Putin die Ukraine angreift, dann ist es ein aggressiver Angriffskrieg. Punkt. Dann darf man sich eben nicht vernebeln lassen von einer angeblichen Nazi-Regierung in der Ukraine oder angeblichen NATO-Versprechen oder Hinweisen auf die Korruption in der Ukraine (als würde die einen Krieg rechtfertigen).

Wenn über russisch-besetztem Gebiet ein Passagierflugzeug abgeschossen wird, dann spricht erst einmal alles für einen russischen Abschuss. Dann ist es wahrscheinlich nicht der CIA, der Leichen in diesem Flugzeug transportierte.

Wenn auf der Krim uniformierte Soldaten ohne Kennzeichen auftauchen und die Krim für Russland annektieren, sind es eben russische Soldaten. Und erst einmal keine Bürgermilizen.

Wenn die meisten Kritiker Putins erschossen werden oder aus Fenstern fallen, dann liegt das nicht daran, dass sich die Kritiker in gefährlicheren Gegenden aufhalten oder mehr Höhenangst als andere Menschen haben, sondern an der Tatsache, dass sie Putin kritisiert haben und dafür bestraft werden.

Immer gilt: Blick auf die Fakten, die nur durch neue Fakten und nicht durch Gerüchte ausgehebelt werden dürfen. Und Internet-Bildchen sind keine Fakten.

Putin will den Niedergang der Sowjetunion rückgängig machen und ein neues, mächtiges Russland entstehen lassen, das Teile Europas erobert und den Rest immerhin dominiert. Mit diesem Anliegen hat er weder wirtschaftlich noch militärisch eine Chance. Aber politisch hat er eine Chance, wenn die westlichen Gesellschaften betäubt werden und sich gegenseitig zerfleischen. Das ist seine einzige Chance. Wir sollten sie ihm nicht geben.

Was Asterix geschafft hat, können wir schon lange.

 

Literaturempfehlungen:

Bingener, Reinhard; Wehner, Markus: Die Moskau-Connection. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit.

Charlton, Catherine: Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste.

Thumann, Michael: Revanche. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat.