Mark Zuckerberg kündigt in einem Video einen Richtungswechsel für Facebook und Instagramm an: künftig solle dort die freie Rede herrschen, die Zeiten der Zensur, wie „Regierungen und Altmedien“ sie bisher durchgesetzt hätten, seien vorbei.

Mark Zuckerberg, Quelle: wikimedia.

Bislang war es so, dass Mitteilungen bei Facebook und Instagram von Fakten-Checkern auf Hassrede oder Falschinformationen untersucht wurden. Das ist vorbei. Diese Faktenchecker, so Zuckerberg, seien „politisch nicht neutral“. Dass im Rahmen dieser geforderten politischen Neutralität einen Tag vorher der Einstieg eines Trump-Freunds (Dana White, Chef eines Kampfsportverbands) in den eigenen Verwaltungsrat vermeldet worden war, ist sicher nur Zufall.

Mit dieser Kehrtwende stößt Zuckerberg in das exakt gleiche Horn wie Elon Musk nach dessen Übernahme von Twitter. Auch hier hatte Musk mit dem Hinweis auf die Meinungsfreiheit und des Rechts auf „freie Rede“ die Überprüfung von Mitteilungen weitgehend abgeschafft. Bis dahin gesperrte Accounts wurden wieder freigegeben, seitdem wird Twitter oder vielmehr X geflutet von rechtsradikalen, antisemitischen oder sonstwie hasserfüllten und gewaltverherrlichenden Mitteilungen.

Die freie Rede

Abgesehen von diesen unschönen Konsequenzen: was ist eigentlich dran an dem Hinweis des „Rechts der freien Rede“?

Jedem vernünftigen Menschen ist einigermaßen klar, dass die Redefreiheit da Grenzen hat, wo sie das gesellschaftliche oder auch persönliche Zusammenleben in extremer Weise beeinflussen: Beleidigungen, Aufrufe zur Gewalt usw. Hier sind die Grenzen in der EU deutlich enger gezogen als etwa in den USA, wo viele Äußerungen durch die Redefreiheit gedeckt sind, die hier in Europa ohne Zweifel als Volksverhetzung, Gewaltaufruf oder Verleumdung verboten sind.

Donald Trump, Quelle: wikimedia.

Doch das größere Problem sind nicht diese offensichtlichen Fälle, sondern die vielen Äußerungen, die durch die Meinungs- und Redefreiheit gedeckt sind, aber eben inhaltlich falsch sind. Dabei geht es zumeist nicht um sachliche Fehler, sondern um manipulative und irreführende Äußerungen.

Nehmen wir als berühmtes Beispiel Trumps Hinweis darauf, dass Haitianer in den USA Haustiere gegessen und Jagd auf Hunde gemacht hätten. Es ist bewiesen, dass diese Geschichte völlig frei erfunden ist. Dennoch wurde und wird sie gebracht, um Stimmung gegen Einwanderer zu erzeugen.

Bei diesen Geschichten, mit denen jeden Tag das Internet geflutet wird, geht es nicht darum, dass jemand sich irrt und einen sachlichen Fehler begeht. Sondern darum, dass Geschichten frei erfunden werden, um Stimmung zu machen: gegen Einwanderer, gegen Juden, gegen Moslems, gegen Schwule, gegen Schwarze, gegen Weiße … je nach Bedarf.

Es sind orchestrierte Kampagnen, unterstützt oder sogar in Auftrag gegeben von Russland oder anderen Gruppen in den USA und Europa, die alle ein Ziel haben: die Gesellschaften zu spalten und das zu torpedieren, was für eine Demokratie überlebenswichtig ist: eine gute Diskussionskultur. Dies geschieht, indem Fakten verdreht und Geschichten erfunden werden, und die überlebenswichtige Grenze zwischen Wahrheit und Lüge so immer mehr verdunstet.

Um sich kurz die Dimensionen klar zu machen: alleine in dem einen Monat von Ende Dezember 2023 bis Ende Januar 2024 haben 50.000 russische Bot-Accounts auf Twitter über eine Million Nachrichten abgesetzt, um Stimmung gegen die deutsche Unterstützung der Ukraine zu machen. Dies war nur eine Kampagne von vielen.

Das Woke

Die selbsternannten Verteidiger der Meinungsfreiheit verweisen oft gerne auf einen „woken“ Mainstream, auf eine Sprachpolizei, die sehr sensibel darauf schaut, dass genügend gegendert wird und man nicht von Eskimos oder Indianern spricht. Hier mag es in der Tat Übertreibungen geben und hier haben einige Leute sicherlich über das Ziel hinausgeschossen und schaffen auf diese Weise ein gutes Argument für Leute wie Trump und Musk.

Nur: inhaltlich sind das zwei verschiedene Dinge. Das eine sind oft überflüssige Diskussionen über bloße Begriffe, die in den sozialen Medien jedoch keine große Rolle spielen, das andere sind gezielte Kampagnen, die die Menschen in den Gesellschaften manipulieren und gegeneinander aufbringen sollen. Und dies sehr effektiv tun, wie man in den letzten Jahren immer mehr feststellen konnte.

Elon Musk und Twitter

Elon Musk, Quelle: wikimedia.

Ende Oktober kaufte Elon Musk Twitter. Ich war bis dahin nicht gerade schwerst aktiv auf Twitter, hatte dort aber einen Account. Was seit der Übernahme von Musk passierte, wurde alles mit dem Stichwort „Redefreiheit“ begründet: eine unglaubliche Verrohung setzte ein. Dies alles war für mich noch nicht der Grund Twitter zu verlassen. Der Grund, warum ich vor einigen Wochen Twitter verlassen habe, war die politische Beeinflussung, die von Twitter bzw. X bzw. Musk selbst durchgezogen wird. Nicht nur, dass Musk fast jeden Rechtspopulisten und Rechtsradikalen in den USA und Europa aktiv unterstützt, durch die Algorithmen bekommt man fast nur noch deren Zeug angezeigt. Warum sonst konnten die US-Bürger am Tag der Präsidentschaftswahl nur Trump-Propaganda sehen? Warum wurden trotz Meinungsfreiheit Journalisten gesperrt, die kritisch über Trump berichtet haben? Warum haben sich die Mitteilungen von Klimaleugnern auf wöchentlich 110.000 verdreifacht?

Es geht nicht nur um Verrohung, es geht darum, dass bei Twitter bzw. X aktiv für bestimmte politische Richtungen und gegen die westlichen Demokratien gearbeitet wird. Dies war für mich der Grund, vor einigen Wochen Twitter zu verlassen. Letzter Auslöser war der Satz von Musk, dass nur die AfD Deutschland retten könnte.

 

Rede als Teil des Gesprächs

Indem Zuckerberg mit Facebook und Instagram dem Beispiel Twitters folgt, macht er nichts für die Freiheit der Rede, im Gegenteil. Die Freiheit der Rede lebt davon, dass die Rede Teil eines Gesprächs ist. Ein persönliches wie ein gesellschaftliches Gespräch leben davon, dass man an sich selbst den Anspruch hat, wahrheitsgemäß und vernünftig zu sprechen und dies auch von seinem Gegenüber erwarten kann. Sonst ist ein Gespräch nicht möglich. Ein solches vernünftiges Gespräch innerhalb einer Gesellschaft ist wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der Demokratie. Indem die großen sozialen Netzwerke von Musk und Zuckerberg diese Art Gespräche unmöglich machen, werden sie zu aktiven Kämpfern gegen die Demokratie.

Ich bin als Liberaler sehr spät dabei, nach staatlichen Eingriffen zu rufen. Aber hier muss der Gesetzgeber die Sozialen Netzwerke regulieren. Ein rechtsfreier Raum sichert nicht das Wohlergehen aller, sondern nur das des Stärkeren. Und das heißt im Internet: des Lautesten und Dreistesten.