Ein Jugendgottesdienst
Es ist etwa zehn Jahre her. Ich war noch katholischer Priester, zuständig für die Jugendarbeit in Bottrop und Gladbeck. Wir bereiteten mit einigen Interessierten einen Jugendgottesdienst vor zum Thema „Idol“. Inhaltlich ging es darum, den Jugendlichen und den anderen Leuten klarzumachen, was Idole sind und wie schnell man irgendwelchen Idolen hinterherläuft.
Mir fiel dazu eine absurde Szene aus dem Film „Leben des Brian“ ein: eine Menschenmenge rennt in ihrem Wahn einem Mann hinterher, der eine Flasche in der Hand hält. Die Menschen werden zum Jünger dieses Menschen, in dem sie ihren rechten Schuh ausziehen und mit dem Schuh in der Hand hinterherlaufen.
Ich machte den Vorschlag, im Gottesdienst die Leute mit ihrem rechten Schuh in der Hand mir hinterherlaufen zu lassen. Eine Runde durch die Kirche.
Große Skepsis, wie ich das schaffen wollte, die Leute dazu zu bewegen! Schließlich waren ja nicht nur Jugendliche, sondern auch viele ältere Erwachsene in der Kirche, die so einen Blödsinn wohl nicht mitmachen.
Ich überlegte in Ruhe zu Hause, wie man das hinkriegt und dann viel mir eine Erzählung über den Frosch ein. Ich habe keine Ahnung, ob diese Geschichte medizinisch oder biologisch korrekt ist, aber sie ist genial.
Und zwar heißt es: wenn man einen Frosch in heißes Wasser tut, dann springt er sofort heraus. Wenn man ihn allerdings in kaltes Wasser tut und dieses Wasser langsam erwärmt, dann bleibt er im Wasser sitzen, bis er verbrüht.
Keine Sorge, ich habe nie in einem Experiment den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte untersucht, aber jetzt wusste ich, wie es geht.
Am nächsten Sonntag stand ich als Priester in der Kirche und sagte den Leuten natürlich nicht, dass sie mit ihrem rechten Schuh in der Hand mit hinterherlaufen sollen. Ich führte sie Schritt für Schritt dorthin. Machte das Wasser für den Frosch nur langsam warm.
Ich begann mit dem ersten Schritt: „Das mag Ihnen komisch vorkommen, aber ich hätte eine Bitte an Sie: machen Sie bitte die Schnürsenkel Ihres rechten Schuhs auf!“
Dann ging es häppchenweise weiter: Schuh ausziehen, den Schuh in die Hand nehmen, aufstehen, aus der Bank treten, in den Mittelgang kommen, sich dort versammeln, mir hinterherlaufen, eine Runde in der Kirche drehen.
Am Schluss war es geschafft und ich war der souveräne Gewinner diverser Wetten: 150 Leute liefen mir hinterher mit dem rechten Schuh in der Hand! Das „Frosch-Prinzip“ hatte gegriffen!
Das Frosch-Prinzip
Dieses Frosch-Prinzip ist psychologisch relativ leicht erklärbar. In einer sehr geschickten Weise greifen hier zwei psychische Mechanismen zusammen:
- Man hat Angst vor großen Schritten und macht lieber einige kleine Schritte. Dann kann man ja zwischendurch – wenn es nicht gut ist – wieder abbrechen. Glaubt man.
- Wenn man einmal etwas macht und sich für etwas entschieden hat, unterbricht man es höchst ungern, weil man sich und auch anderen ja zeigen müsste, das man eine verkehrte Entscheidung getroffen hat.
Diese Mechanismen erklären, warum man Aktien eines Unternehmens behält, obwohl man eigentlich weiß, dass sie nie mehr etwas bringen können.
Sie erklären aber auch, warum beispielsweise einer wie Donald Trump immer noch gute Chancen hat, die Wahl in einigen Wochen zu gewinnen: viele Wähler wählen ihn schon deshalb, weil sie ihn beim letzten Mal gewählt haben und sie sich keinen Fehler eingestehen wollen. Zudem sind sie – laut Frosch-Prinzip – derart an warmes Wasser bzw. Skandale ihres Präsidenten gewöhnt, dass eigentlich kein Skandal mehr dick genug wäre, das gesagt werden könnte: „es reicht!“
Die Neutralität der Methode
Wie bei jeder Methode ist es so, dass es auf den Inhalt ankommt. Man kann eine Methode zum Guten oder zum Schlechten gebrauchen. Als Hilfe, manipulativ zu agieren, oder um etwas Gutes und Neues effektiv durchzusetzen. Ob das gut oder schlecht ist, entscheidet nicht die Methode, sondern der Inhalt.
Wie immer hatten die alten Griechen für diesen Zusammenhang einen sehr scharfen Sinn: ihr Wort für Medizin oder Medikament („pharmakon“) ist das gleiche Wort wie für Gift. Es ist das Gleiche, die Dosierung entscheidet, ob es gut oder böse ist.
So kann das Frosch-Prinzip eingesetzt werden, um andere Menschen zu manipulieren und auf einen Weg zu bringen, den sie eigentlich gar nicht gehen wollen.
Es kann aber auch eingesetzt werden, um etwas Gutes durchzusetzen, das sonst vielleicht keine Chance hätte. Es ist ein neutrales Hilfsmittel, einen Inhalt gegen gewisse innere Widerstände an den Mann und an die Frau zu bringen.
Verantwortung
Letztlich war es natürlich eine alberne Geschichte, eine Menschenmenge mit einem Schuh in der Hand durch die Kirche zu jagen. Und trotzdem macht diese alberne Geschichte sehr deutlich, wie schnell und wie einfach Menschen manipuliert werden können.
Und wie groß die Verantwortung ist, die man gegenüber anderen Menschen hat, wenn man solche Methoden einsetzt. Dies gilt nicht nur bei Jugendgottesdiensten. Sondern in der ganzen Gesellschaft. Und in den Unternehmen.
P.S. An dieser Stelle natürlich der Hinweis, keine Frösche zu kochen. Diese Geschichte wird seit Jahrhunderten erzählt, entspricht aber nicht den Tatsachen. Aber wie heißt ein Sprichwort im Italienischen: “Se non è vero, è ben trovato!” (“Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.”)
Leider muss man nicht nur in die USA schauen,um das Frosch-Prinzip nachvollziehen zu können. Auch hierzulande wird danach mehr und mehr die Politik gestaltet. Immer mehr Freiheiten werden den Bürgern weggenommen, sukzessive, mit unterschiedlichen Begründungen.
Der Staat regiert immer mehr ins konkrete Leben der Bürger hinein: wie man heizen soll, welches Auto man fahren soll, was man essen bzw. nicht essen soll, wohin man reisen soll. Die Suspendierung vieler Grundrechte im Zuge der “Corona-Schutzmaßnahmen” beschleunigt es rapide.
Und offenbar gefällt den meisten Menschen das warme Wasser. Mal sehen, wie lange noch.