„Teile und herrsche!“ Sie kennen das uralte römische Prinzip der Macht. Die Macht wird an kleinere Einheiten delegiert, die sich gegenseitig lahm legen. Man selbst bleibt der lachende Dritte. Und behält die Macht.

Dieses Prinzip kann leicht verändert auch angewandt werden, um erst an die Macht zu gelangen. Indem diejenigen, die die Macht haben, sich gegenseitig lahm legen. Und man so an die Macht gelangt: „Spalte und herrsche!“

Nach diesem Prinzip arbeitet die AfD. Und das tut sie sehr erfolgreich.

Das Strategiepapier der AfD

Im Juli kam ein Strategiepapier der AfD an die Öffentlichkeit, das von „politico“ veröffentlicht wurde, die dazugehörigen Erläuterungen der Fraktion sind mittlerweile ebenfalls online. Zum einen blickte man zurück auf die vergangene Bundestagswahl: Wer hat die AfD gewählt, wer nicht, von welchen Parteien konnte man Stimmen holen? Zum andern ging es aber auch um einen Blick nach vorne: was muss die AfD tun, um die Macht zu erringen bzw. um Alice Weidel ins Kanzleramt zu bringen, wie es auf der letzten Seite heißt.

Hierzu will die AfD an zwei Hebeln ansetzen, die sie sehr genau beschreibt:

1. Bürgerliche Fassade

Es ist in Umfragen und Wahlanalysen aufgefallen, dass ein zu aggressives und pöbelndes Verhalten viele Wähler abschreckt. Angst und das drohende Parteiverbot drücken die Umfragen. Hier will man reagieren und das „Akzeptanzumfeld“ vergrößern, indem man sich bürgerlich-konservativ gibt und damit Wählergruppen der CDU/CSU anspricht. Dies soll vor allem beim Thema Migration/ Innere Sicherheit, aber auch beim Thema Wirtschaft passieren. Die „Brandmauer“ soll eingerissen werden, indem Anträge vorgebracht werden, bei denen die Unionsparteien inhaltlich eigentlich mitgehen können.

Björn Höcke: „Das große Problem ist, dass man Hitler als das absolut Böse darstellt.“

Warum ist dieses Verhalten eine bürgerliche Fassade und keine inhaltliche Wende? Warum ist das friedliche Verhalten nur vorgeschoben? Weil dieses Strategiepapier sehr klar macht, dass es hier um die Außendarstellung geht, nicht aber um eine inhaltliche Neuorientierung. In allen inhaltlichen Papieren hält die AfD an ihren bisherigen Zielen fest: Rückabwicklung der Migration, auch wenn es eben nicht mehr „Remigration“ heißt, Sabotage und Lahmlegen der demokratischen Institutionen, Diffamierungen des politischen Gegners, enge Kontakte zur rechtsextremen Szene bzw. Mitarbeit mit verurteilten Rechtsextremen, Austritt aus der Europäischen Union und NATO usw.

Mit anderen Worten: die AfD hat für sich sehr klar, dass sie sich nach außen friedlicher geben muss, weil sie sonst die Menschen abschreckt. Die Inhalte werden etwas geschönt, bleiben aber dieselben. Deshalb ist der bürgerlich-konservative Anstrich eben nur ein Anstrich.

2. Spaltung

Das Hauptwerkzeug, das die AfD bislang sehr effektiv einsetzt, ist jedoch die Spaltung, und zwar die Spaltung der demokratischen Mitte in rechts und links, damit am Ende „bürgerlich-konservativ“ gegen „linksradikal“ steht.

Indem zum einen gegen die Linke polarisiert wird und zum anderen Unionsthemen bedient werden, wird die linke Seite der demokratischen Mitte, SPD und Grüne, weiter nach links gezwungen. Das Mittel dazu: „Polarisierung“ und „Kulturkampf“. Kulturkampf heißt, auf die Themen zu gehen, mit denen man bei den Bürgerlichen punkten kann:

„Die Auseinandersetzung mit dem linken Lager wird auf grundsätzlicher Ebene geführt mit dem
Schwerpunkt auf gesellschafts- und kulturpolitischen Grundkonflikten: Familie versus Gender,
Nation versus offene Grenzen, Freiheit versus Sozialismus.“

Dieser Kulturkampf zwingt SPD und Grüne nach links und gleichzeitig nähert man sich der Union an. Was zum einen bedeutet, dass die Union mehr rechte Themen bespielt und zum anderen, dass die Parteien der Mitte nicht mehr zusammen regieren können, weil sie nicht mehr kompromissfähig sind: „Die Gegensätze zwischen Union und SPD unüberbrückbar machen“, heißt es.

Das Prinzip Spaltung setzt voraus, dass die Parteien der Mitte mitspielen und man muss nüchtern feststellen: das tun sie.

Die vorige Regierung zwischen SPD, Grünen und der FDP ist genauso an ihren inneren Streitigkeiten kaputt gegangen wie es zur Zeit die Koalition von CDU/CSU und SPD tut.

CDU/CSU und FDP gehen nach rechts und kündigen den großen Kampf gegen die Migration an, in der törichten Hoffnung, damit AfD-Wähler fangen zu können, SPD und Grüne verweigern jeden Kompromiss in der Migrationsfrage, in der törichten Hoffnung, dass Probleme, die es ja gibt, einfach weggeschlafen werden.

Das Ergebnis: die Spaltung der politischen Mitte. Die AfD jubelt und die anderen prügeln sich.

Ein Kabinettstücken dieser Taktik war der Umgang mit der Nominierung der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Verfassungsgericht durch die SPD. Zehn Tage vor der Wahl tauchten in rechten und rechtsextremen Onlineplattformen Vorwürfe auf, sie hätte ihre Doktorarbeit plagiiert und würde Abtreibungen bis zum 9. Schwangerschaftsmonat befürworten. Diese Vorwürfe wurden dann mit großem Finanzeinsatz weiter verbreitet.

Nichts von diesen Vorwürfen war wahr. Aber schnell finden Unionsabgeordnete an, die Nominierung in Zweifel zu stellen. Ohne Überprüfung und ohne Anhörung der Betroffenen wurde dann schnell entschieden, ihrer Kandidatur nicht zuzustimmen.

Die AfD konnte mal wieder feiern.

Fazit

Jede Partei analysiert ihre politischen Freunde und Gegner, schätzt ihre Wahlchancen in den verschiedenen Teilen der Bevölkerung ein und richtet ihre Strategie darauf aus, möglichst viele Wähler zu gewinnen.

Dass die AfD dies auch tut, ist völlig normal und kein Grund zur Skandalisierung. Diese Frage ist, wie sie es tut und welche Ziele sie dabei hat.

Alice Weidel: „Hitler war ein Kommunist und sah sich selbst als Sozialisten.“ (Bild: wikimedia)

Es ist eindeutig, dass es ihr um eine „bürgerlich-konservative“ Fassade geht, nicht aber um eine bürgerlich-konservative Identität. Personen, die glaubwürdig eine bürgerlich-konservative Identität besaßen, sind längst entweder entfernt oder von sich aus aus der Partei ausgetreten. Stattdessen werden verurteilte Rechtsextreme nicht nur geduldet, sondern sogar an die Fleischtöpfe gelassen.

Das Strategiepapier schildert das gewünschte öffentlich sichtbare Vorgehen. Der Realität bzw. der Inhalt, um den es eigentlich geht, bleibt der gleiche.

Der Hass soll nicht mehr gebrüllt werden, aber er wird weiterhin kultiviert, durch Lügen und Diffamierungen.

Das Strategiepapier beschreibt nicht, wie man inhaltlich arbeiten will. Es beschreibt brutal, wie man die inhaltliche Arbeit der anderen torpedieren will, wie man eine Regierung in den Abgrund führt und die demokratische Kultur in unserem Land völlig ruiniert.

Eine Demokratie lebt vom Konsens, vom gegenseitigen Respekt der Parteien, von Vertrauen und Kompromissfähigkeit, vom Glauben an gemeinsame, grundlegende Werte. Ohne diese Dinge kann keine Demokratie funktionieren. Die AfD weiß das und zielt darauf, genau diese Dinge zu zerstören.

Es geht um Spaltung, um Kulturkampf, um Polarisierung, nicht um Dialog und um das Ringen von Argumenten.

Und alle fallen darauf rein.

Was tun?

Der AfD ist sehr klar, dass sie auf Dauer realistische Machtoptionen haben muss. Das setzt voraus, dass jemand mit ihr zusammen koaliert oder zumindest zusammenarbeit. Also werden konservative Kreise der CDU/CSU und FDP ins eigene Lager geholt. Die Brandmauer muss aus Sicht der AfD geschleift werden, denn wenn die anderen Parteien auf Dauer ohne die AfD zusammen arbeiten, heißt es nicht „Teile und herrsche!“, sondern dann gilt das Motto Andreottis: „Die Macht verschleißt den, der sie nicht hat.“

Die Parteien der demokratischen Mitte – rechts wie links – dürfen sich von der AfD und ihren Themen nicht auseinander treiben lassen. Sie müssen inhaltliche Politik machen und nicht nur auf schnelle Schlagzeilen ausgerichtet sein. Sie dürfen nicht nur ihren politischen Impulsen folgen, sondern müssen überlegt handeln.

Das klingt einfach. Ist aber schwer.

Ein Beispiel. In der Mitte der politischen Diskussion steht die Migrationspolitik. Die eine Seite – Mitte-links – weigert sich anzuerkennen, dass es dort überhaupt Probleme gibt. Jede Diskussion über Migration macht einen zum Nazi.

Die andere Seite – Mitte-rechts – will Zuwanderung immer mehr einschränken und gefällt sich vor allem darin, alle Grenzen dicht zu machen. Was bei einem Festlandstaat eher schwierig ist. Ganz abgesehen davon, dass die Bundespolizei bislang knapp 3 Millionen Überstunden anhäufte, um im letzten halben Jahr satte 160 Asylsuchende abzuweisen.

Die politische Mitte – rechts wie links – löst an dieser Stelle gar keine Probleme und betreibt stattdessen das Geschäft der AfD. Die davon profitiert, dass keine Probleme gelöst werden.

Solche Beispiele ließen sich massenweise finden. Sie alle belegen, den Erfolg der Spaltungstaktik der AfD, die es den anderen Parteien immer schwerer macht, miteinander zu diskutieren, abzuwägen und Kompromisslösungen zu finden.

Genau das müssten sie aber machen. Über die Probleme sprechen und sie dann lösen – und dabei nicht darauf zu achten, was die AfD sagt, weil die einen sonst glauben, man könnte mit den Themen der AfD eigene Wähler gewinnen und die anderen sonst glauben, dass etwas gar kein Problem sein darf, weil die AfD es anspricht. Was beides Blödsinn ist.

Das Geschäft der AfD ist Spaltung. Und sie ist so lange erfolgreich, wie Unionspolitiker die Grünen zum schlimmsten Feind der Demokratie erklären, die FDP vor aus ihrem Rauswurf aus dem Bundestag eine Koalition mit den Grünen prinzipiell ablehnte und SPD-Politiker bei der Union faschistische Tendenzen feststellen.

Das Gegenmittel: aufeinander zugehen, um die Gegensätzlichkeiten, aber auch um die Gemeinsamkeiten zu wissen und problem- und inhaltsorientiert zu handeln. Was für die auf die wöchentlichen Umfrageergebnisse schielenden Politiker eh oft schwierig ist, aber da müssen sie jetzt einfach durch.

Die AfD lebt von der Unfähigkeit der anderen Parteien, gute und stabile Regierungen zu bilden. Bislang ist leider nicht erkennbar, dass diese Parteien wirksam an dieser Fähigkeit arbeiten.