Vor 100 Jahren war es soweit: die Geburt der ersten Demokratie auf deutschem Boden!

Am 9. November 1918 verkündete Reichskanzler Max von Baden den Rücktritt des deutschen Kaisers Wilhelms II., der am Tag drauf ins niederländische Exil ging. Zum neuen Reichskanzler wurde Friedrich Ebert bestellt, Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht riefen in Berlin die Republik aus.

Wir wissen alle, dass dieser erste Versuch einer deutschen Demokratie scheiterte und zur Geburt des schlimmsten Regimes führte, das Deutschland je erlebte. Die Versuchung ist immer wieder groß, das Scheitern der Weimarer Republik auf die heutige Situation und auf heutige Gefährdungen unserer Demokratie zu übertragen.

Einerseits ist dies nicht legitim, weil viele Faktoren, die zum Scheitern der Weimarer Republik beigetragen haben, heute schlicht und einfach nicht vorhanden sind: die furchtbare Kriegsniederlage, die mit den demokratischen Kräften verknüpft wurde, der Versailler Vertrag, die Massenarbeitslosigkeit, die Weltwirtschaftskrise, die Existenz paramilitärischer Einheiten in den verschiedenen politischen Gruppierungen … Ohne diese Faktoren wäre die Weimarer Republik nicht gescheitert, und diese Faktoren sind heute nicht gegeben.

Scheidemann ruft am 9. Nov. 1918 am Fenster der Reichskanzlei die Republik aus. (Quelle: www.tagesspiegel.de)

Dennoch gibt es natürlich interessante Dinge, die man aus dem Scheitern dieser ersten deutschen Demokratie lernen kann und die vor allem den Aufstieg der NSDAP Hitlers betreffen.

Die jetzige Demokratie der Bundesrepublik ist nicht in ihrem Bestand gefährdet. Es gilt aber auch: eine Demokratie ist immer gefährdet. Sie wird immer angefragt von Kräften, die politische Ziele haben, die nicht mit der demokratischen Grundordnung vereinbar sind.

Demokratie ist nie fertig, sondern muss immer wieder neu errungen werden. Dieser Prozess wird gerade in diesen Jahren deutlicher als sonst, in denen mit der AfD eine Partei sehr präsent wird, die sich durchaus als Gegensatz zur bisherigen Demokratie begreift, die für sie ein zu überwindendes „System“ darstellt.

Gerade in diesem Prozess kann es durchaus interessant und gewinnbringend sein, auf die Weimarer Republik und den Aufstieg der Nazis zu schauen. Folgende Faktoren sind durchaus für die aktuelle Situation der Bundesrepublik interessant:


Die Exekutive

Quelle: www.welt.de

Polizei und Justiz haben sich in der Weimarer Republik vor allem auf dem rechten Auge als relativ blind erwiesen: auch gegen schwere Gewaltverbrechen und Putschversuche wurden oft nur geringe oder gar keine Strafen verhängt. Die Gewalt auf den Straßen eskalierte, immer wieder angefacht von linken und rechten paramilitärischen Einheiten, der SA an erster Stelle.

Die heutige Situation ist eine andere. Dennoch tauchen zumindest Fragezeichen auf, wie effektiv Polizei und Justiz gegen politischen Extremismus vorgehen: gerade (aber nicht nur!) in den ostdeutschen Bundesländern ist durchaus festzustellen, dass Polizei und Justiz teilweise auf dem rechten Auge blind sind. Der Ablauf der Ermittlungen über die NSU ist hier nur ein Beispiel.

Keine Angst oder Panik

Die Weimarer Republik verfiel in ihren letzten Jahren in eine Art Schockstarre angesichts des Aufstiegs der NSDAP. Diese Schockstarre verhinderte eine offensive und angemessene Auseinandersetzung. Eine solche Angst oder zumindest Hilflosigkeit ist auch jetzt im Umgang mit der AfD spürbar, die sich zeigt in wüsten Beschimpfungen (z. B. Martin Schulz), die aber nur der AfD helfen, oder in einer Angst vor Neuwahlen, die nur wieder einen neuen Sieg der AfD bedeuten würden usw.

Die Politik muss zu einem angemessenen Umgang mit der AfD finden, sie darf sich nicht zu emotional verhalten, sondern muss nüchtern und sachlich auf die inhaltlichen und vor allem auf die demokratischen Defizite der AfD hinweisen.

Dies gilt auch für die Medien. Wenn der Spiegel nach der Bundestagswahl AfD-Größen als Riesen darstellt, die hinter der Kanzlerin Merkel lauern, dann sendet er das Signal: hier ist die Alternative zu Merkel und diese Alternative wird die kleine Merkel früher oder später kleinkriegen. Ein dummes Signal, das aber symptomatisch für den AfD-Umgang vieler Medien und der Politik ist.

Keine Angst heißt auch: keine Angst vor Wahlen. Denn jede Angst vor Wahlen ist Angst vor dem Wähler und seinem Recht, demokratisch zu wählen. Die AfD hat nur ein begrenztes Wähler- und Themenpotential, was den anderen Parteien mehr Sicherheit und mehr Gelassenheit geben sollte. Es ist die Angst der anderen, die die AfD stark macht, weil sie dadurch zu einer „Alternative“ für alles wird, was einem potentiellen Wähler nicht passt.

 

Institutionen stärken, aber nicht nur denen vertrauen

Die Institutionen müssen gestärkt werden: die Justiz und die Polizei in ihrer Arbeit gegen jeden Extremismus, die Presse- und Meinungsfreiheit, die Neutralität der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung usw.

Diese Institutionen haben die Aufgabe, die Demokratie zu schützen, aber Institutionen reichen nie! Institutionen sind nur so stark, wie sie Rückhalt in der Bevölkerung besitzen. Das gilt auch für das Grundgesetz, das ja immer wieder als Festung der Demokratie gefeiert wird. Papier ist geduldig. Auch das Grundgesetz ist nur so stark, wie es in der Bevölkerung anerkannt ist.

Der Aufstieg aller Diktaturen der Vergangenheit und Gegenwart zeigt: keine staatliche Institution ist ohne den Rückhalt der Bevölkerung in der Lage, die Demokratie dauerhaft zu schützen.


Demokratie als Bildungsaufgabe

Demokratie bzw. demokratisches Bewusstsein fällt nicht vom Himmel, sondern muss erlernt werden: welche Regeln gelten in einer Demokratie, wo sind die Grenzen zwischen demokratisch und undemokratisch, welche Rechte und Pflichten hat ein Bürger, was heißen Freiheit und Toleranz konkret?

Hier muss der Staat stärker seine Pflicht erkennen, den Menschen die Werte der Demokratie zu vermitteln. Schulbildung heißt nicht nur, Lesen, Rechnen und Naturwissenschaften beizubringen (nur nach diesen Kriterien wird die Qualität der Schulbildung beurteilt), sondern hat einen größeren Auftrag.

 

Demokratie leben

Demokraten sind nicht immer demokratisch. Die letzten Regierungen der Weimarer Republik regierten demokratisch nicht legitimiert durch Notverordnungen.

Die aktuelle Situation der Bundesrepublik ist natürlich eine andere, und trotzdem gibt es auch hier Dinge, die vielleicht größere Aufmerksamkeit verdienen als sie bisher erhalten.

Quelle: www.bundestag.de

Das Parlament, der Bundestag, muss wieder verstärkt der Ort politischer Auseinandersetzung werden. Es muss ein Kampf um politische Ideen stattfinden. Demokratisch gewählte Abgeordnete dürfen nicht nur das Stimmvieh ihrer Fraktionschefs sein, die hinter den Kulissen die Entscheidungen abstimmen, sondern müssen sich deutlich sichtbar an der politischen Willensbildung und an der Regierung beteiligen können.

In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass Große Koalitionen immer nur eine vorübergehende Erscheinung sein dürfen. Dauerhafte große Koalitionen entwerten das Parlament, stärken die extremen Ränder und vermitteln den Eindruck einer allumfassenden politischen Kaste, die an allen Schaltern der Macht sitzt.

Jede andere Koalition als eine Große Koalition würde die Demokratie genauso stärken wie die Option einer Minderheitsregierung.

Kanzlerin Merkel stand in besonderer Weise für die Große Koalition und für einen Politikstil, der die Demokratie als Wettkampf der Ideen nicht gerade gefördert hat. Ihr angekündigter Rückzug wird hier sicherlich neue Kräfte freisetzen, die der Demokratie als solcher guttun werden.


Fazit

100 Jahre nach der Gründung der ersten Demokratie auf deutschem Boden ist deutlich, dass Demokratie nie etwas Selbstverständliches ist, sondern eines immerwährenden Einsatzes für die Demokratie und einer immerwährenden Aufmerksamkeit für die Feinde der Demokratie bedarf. Viele westliche Demokratien – auch die deutsche – stehen vor großen Herausforderungen, die vor einigen Jahren undenkbar schienen. Man darf diese Gefahren nicht unterschätzen, aber auch nicht überschätzen.

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung steht hinter der demokratischen Verfassung Deutschlands. Deshalb darf man nicht die vergessen, die dies nicht tun. Aber es ist ein Fortschritt: vor 100 Jahren war dies nicht der Fall und dies war die Ursache für das kurze Leben der Weimarer Republik.

 

Literaturempfehlungen:

Hafner, Sebastian: Die deutsche Revolution 1918/19.

Mann, Golo: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Winkler, Heinrich August: Weimar 1918-1933: Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie.