Digitalisierung
Digitalisierung, Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz, Big Data: das sind die Schlagwörter, mit denen das Leben der Zukunft beschrieben wird.
… und mit denen gleichzeitig Befürchtungen und Ängste vor der Zukunft geweckt werden. Der Mensch als Sklave von Maschinen? Gefangener im Netz der Algorithmen?
Solchen pessimistischen Meinungen stellen sich die Optimisten gegenüber.
Chris Boos, Unternehmer im Bereich der KI, wies im Sommer 2017 bei der Noah-Konferenz in Berlin darauf hin, dass keiner die Absicht habe, das menschliche Leben durch Roboter zu ersetzen. Die KI wird dem Menschen 80-90% seiner überflüssigen Tätigkeiten abnehmen. Boos kommt zu dem Schluss: „Wir haben also viel mehr Zeit, um uns auf das Wesentliche zu konzentrieren“.
Mögliche Rückfrage des Philosophen: „Das Wesentliche? Was wäre das?“
Der Begriff „Digitalisierung“ ist sehr diffus und wolkig. Dass es trotz der großen Bedeutung der „Digitalen Revolution“ noch kein zuständiges Bundesministerium gibt, ist ja kein Zufall. Viele wissen nicht, was Digitalisierung eigentlich konkret sein soll und diejenigen, die es zu wissen meinen, kommen oft über ein „Alles wird sich ändern“ nicht hinaus.
Platon: der Mensch und die Daten
Wie so oft in der Philosophie, fangen wir mit den alten Griechen an, genauer mit Platon. Da gibt es in seinem Werk „Phaidros“ eine sehr interessante Erzählung.
Auch hier geht es um etwas Neues, das sich langsam durchsetzt und bei vielen Menschen für Unbehagen und Unsicherheit sorgt: die Schrift.
Platon kleidet das in eine nette Erzählung. Die Götter Ägyptens unterhalten sich über die Schrift, die gerade von ihnen erfunden wurde. Der eine Gott, Theut, ist stolz über diese Erfindung. Er prahlt damit: “Die Menschen werden damit weise und klug werden!“ Ein anderer Gott, Thamus, ist davon nicht überzeugt und sagt:
„Das Gegenteil wird der Fall sein. Die Menschen werden dümmer, sie werden vergesslicher werden. Sie werden in diesen komischen Zeichen die Wahrheit suchen, aber nicht mehr in sich spüren.“
Was Platon hier schildert, ist das aktuelle Problem der Digitalisierung: es gibt eine neue Art, Daten zu sammeln. Und diese neue und umfassendere Sammlung von Daten wird zwar das Wissen vermehren, auf das man zugreifen kann, aber zugleich auch zu einem Verlust führen. Platon spricht hier von Wahrheit. Was meint er damit?
Menschen existieren in einer bestimmten Art und Weise. Sie denken in einer bestimmten Art und Weise. Und aufgrund dieses Denkens handeln sie auch in einer bestimmten Art und Weise. Das ist die „Wahrheit“ des Menschen.
Und Platon sagt: die Schrift, dieses Sammeln von Daten, kann dem doch gar nicht gerecht werden, was der Mensch ist und wie der Mensch ist!
Der Mensch und die Technik
Heute ist es nicht die Schrift, die unser Denken revolutioniert, sondern die Künstliche Intelligenz. Sie denkt anders als wir Menschen: sie denkt im Rahmen einer formalen Logik. Das tun wir nicht.
Die Schwierigkeit besteht nun darin: wenn diese beiden verschiedenen Ebenen, die künstliche Intelligenz und die menschliche Intelligenz, sich vermischen, was passiert dann mit uns? Wie verändert es uns?
Verschiedene Leute weisen darauf hin, dass diese Vermischung nicht schlimm sei, da die Künstliche Intelligenz ja neutral ist. Formale Logik ist neutral. Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook, nennt als Beleg für diese Neutralität folgendes:
„Nicht der Revolver tötet, sondern die Hand, die den Abzug tätigt.“
So einfach ist es aber nicht mit der Neutralität.
Zu dieser Neutralität der Technik hat sich in sehr überzeugender Weise vor etwa 50 Jahren ein fast vergessener Philosoph geäußert, Günther Anders.
Er gibt zu, ein technisches Gerät ist theoretisch neutral, aber eben nur theoretisch. Nämlich, wenn es für sich steht. Also ohne Verwendung und Benutzung: das Gerät für sich ist neutral. Die Sache ist nämlich diejenige: ein Gerät ist nie für sich, es wird benutzt. Es wird dafür gebaut, benutzt zu werden, oder, um es mit Günther Anders zu sagen: „Jedes Gerät ist bereits Verwendung.“
Der von Zuckerberg erwähnte Revolver ist zwar theoretisch neutral, wenn er ungenutzt in der Ecke liegt, aber faktisch ist er eben eine Waffe.
Günther Anders weist sehr entschieden darauf hin: ein technisches Gerät ist mehr als ein bloßes Hilfsmittel, es hat ein Eigenleben, das wir ihm eingebaut haben. Mit diesem Eigenleben ist ein Gerät Teil unserer Gesellschaft und das gilt heute um ein Vielfaches mehr als in der Vergangenheit:
„Der Triumph der Apparatewelt besteht darin, dass er den Unterschied zwischen technischen und gesellschaftlichen Gebilden hinfällig und die Unterscheidung zwischen beiden gegenstandslos macht.“
Wenn man sich die philosophische Technik-Kritik anschaut, von Platon in der Antike bis zu heutigen Autoren: es geht immer um die Sorge, dass da etwas unser Denken und unseren Geist verändert, das nicht unser ist.
Es geht um etwas, das Maschinen und Künstliche Intelligenz nicht besitzen: es geht um den Raum des Geistes. Was ist damit gemeint?
Hierzu der Bonner Philosoph Markus Gabriel:
„Wenn im Meer zu viel Müll ist, kann ich da nicht mehr schwimmen. Wenn im Raum des Geistes zu viel Müll ist, kann ich da nicht mehr denken.“
Es geht bei der Digitalisierung ganz wesentlich um die Frage, was eigentlich dasjenige ist, was der Mensch hat und was Maschinen nicht haben können: Was ist Denken? Was ist Rationalität? Was ist Vernunft?
John Searle: das Chinesische Zimmer
Es gibt ein interessantes Gedankenexperiment des Philosophen John Searle (Berkeley, USA), das sog. „Chinesische Zimmer“.
Eine Person sitzt in einem geschlossenen Zimmer, umgeben von chinesischen Schriftzeichen. Diese Person kann weder Chinesisch sprechen noch schreiben noch irgendeines dieser Worte entziffern. Durch eine Öffnung erhält er verschiedene Schnipsel mit verschiedenen Fragen auf Chinesisch und ein Handbuch in seiner Muttersprache mit Anweisungen: „Auf dieses Zeichen antworte mit jenem Zeichen.“
Er folgt dieser Anleitung und gibt die chinesischen Antworten heraus. Draußen vor der Öffnung steht ein Chinese. Die Antworten sind korrekt und er denkt: der da drinnen spricht Chinesisch!
John Searle fasst zusammen: Dieser Mann macht das, was unsere Technik heutzutage auch macht: sie täuscht Verstehen vor, aber sie kann nicht verstehen.
Der Mensch und das Denken
Hier kommen wir dem näher, das Chris Boos als das „Wesentliche“ bezeichnet hat. Dieses Wesentliche kann dasjenige sein, das den Menschen gegenüber der Maschine auszeichnet: seine Kreativität, sein Denken, seine Vernunft, das, was man „Geist“ nennt.
Diese Dinge zu fördern, braucht es eine auf den ersten Blick sehr unspektakulären Sache: Bildung. Die Bildung, auf die es ankommen wird, wird nicht diejenige der praktischen Anwendung der Technik sein.
Die Frage der Zukunft ist nicht diejenige: Wie bediene ich jetzt das Gerät?, sondern: Wie verändert uns die Digitalisierung?
Um das zu erkennen, brauche ich das, was man als Allgemeine oder Klassische Bildung bezeichnet, näherhin die sog. „Geistes“wissenschaften. Es wird darum gehen, den Menschen zu erkennen: das, was den Menschen ausmacht.
Wie will ich einschätzen können, was die Technik mit dem Menschen macht, wenn ich den Menschen nicht kenne?
Wenn ich seine Geschichte nicht kenne, sein Handeln, wenn ich nicht weiß, was Vernunft eigentlich ist, menschliche Vernunft?
Es wird viel davon gesprochen, dass die Maschinen den Menschen besiegen werden. Dass es einen Krieg zwischen Maschine und Mensch geben wird. Dieser Krieg ist in dieser Form Science Fiction und wird in Hollywood bleiben. Die Maschine kann den Menschen nur auf eine Weise besiegen: wenn er sich selbst besiegt. Wenn er nicht mehr weiß, was ein Mensch ist und eine Maschine werden will.
Der Mensch ist dann Mensch, wenn er denkt. Wenn er erfindet. Wenn er interpretiert. Wenn er „geist“voll ist.
Noch einmal Günther Anders:
„Es genügt nicht, die Welt zu verändern. Das tun wir ohnehin. Und weitgehend geschieht es sogar ohne unser Zutun. Wir haben diese Veränderung auch zu interpretieren. Und zwar, um diese zu verändern. Damit sich die Welt nicht weiter ohne uns verändere. Und nicht schließlich in eine Welt ohne uns.“
Literaturempfehlungen:
Anders, Günther: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. II (Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution).
Hubig, Christoph; Huning, Alois; Ropohl Günter: Nachdenken über Technik. Die Klassiker der Technikphilosophie und neuere Entwicklungen.
Nordmann, Alfred: Einführung in die Technikphilosophie.
Weitere Literaturempfehlung (konkreter:) Jansen, Markus: Digitale Herrschaft, Stuttgart 2015.