Nicht nur, weil ich in Rotterdam lebe, habe ich mich hin und wieder mit Erasmus von Rotterdam beschäftigt, dem großen Gelehrten, der um 1500 lebte. Manchmal ist es so, dass man auch bei Autoren, die man glaubt, gut zu kennen, noch auf Sachen stößt, die einem vorher nie aufgefallen sind, einem aber auf einmal ins Auge springen.

Erasmus von Rotterdam (1467-1536), Quelle: wikimedia.
Das „Lob der Torheit“ war damals das meistgelesene Buch in Europa (vgl. den Blog: „Ihr seid dumm!„). Es schildert den manchmal etwas satirischen Auftritt der „Torheit“, die von sich sagt, dass sie alle Macht über die Menschen hat.
Und dann kommt etwas, das ich bisher überlesen hatte, mir aber vor einigen Tagen auffiel und ich sehr spannend fand. Die „Torheit“ nennt ihren Vater, es ist der „Reichtum“. Der Reichtum als Vater der Torheit.
Ein interessantes Motiv in heutigen Zeiten, in denen der Mensch oft als „homo oeconomicus“ gesehen wird und in denen viele eben genau nach dem streben, was Erasmus als den „Vater der Torheit“ bezeichnet: nämlich nach Reichtum.
Der Reichtum hat gefährliche Seiten. Wir wissen das. Ein guter Freund, der einer der bekanntesten Strafrechtler im Ruhrgebiet war, sagte mir nach jahrzehntelanger Erfahrung mit Schwerverbrechern: „Eigentlich geht es bei Verbrechen fast immer nur um zwei Dinge: um Geld oder um Sex.“ Passenderweise hat Erasmus neben dem Reichtum als Vater der Torheit die Jugend als ihre Mutter bezeichnet. Vielleicht wollte er das gleiche sagen. Aber bleiben wir beim Geld.
Nun würden viele von uns sagen: das Geld an sich ist ja nicht schlecht, es ist eben immer die Frage, was man tun muss, um es zu kriegen und was man dann damit macht!
Erasmus würde dem kalt lächelnd erwidern: nein, das Problem ist bereits das Geld an sich! Erasmus hat natürlich gewusst, dass eine Welt ohne Geld naiv wäre und nicht funktionieren würde. Das Geld, so Erasmus, führt in den Irrsinn und wir müssen mit diesem Irrsinn leben. Mit der Herrschaft der Torheit.
Ich hatte das letzte Mal an diesen Irrsinn denken müssen, als ich vor einigen Tagen tankte. An der Zapfpistole war ein kleiner Bildschirm. Als ich die Zapfpistole in den Tank einführte, lief auf diesem Bildschirm Werbung. An der Pistole das Bild, über mir aus dem Lautsprecher der Ton. Die Herrschaft der Torheit, die einen nicht mal in Ruhe tanken lässt.
Auch wenn Erasmus noch keine Zapfpistolen kannte: genau um diesen Irrsinn geht es, der uns jeden Tag umgibt und der eine Konsequenz des Reichtums ist.
Erasmus hat sich keinen Illusionen hingegeben, dass diese Herrschaft einmal zu Ende sein könnte. Das Heilsame, deshalb schrieb Erasmus damals dieses Buch, besteht darin, diesen Irrsinn als solchen zu erkennen.
Es ist der Irrsinn, der einem die Werbung beim Tanken vordudelt, aber auch der Irrsinn, warum ein Fußballer 200 Millionen im Jahr verdienen kann, warum Trump Präsident der USA ist, es ist charmanter Irrsinn, warum man sich anschaut, wie 22 Männer einem Ball hinterlaufen, aber auch trauriger Irrsinn, sich mit Menschen zu zerstreiten, ohne dafür einen Grund zu haben.
Die Torheit regiert unsere Welt, so Erasmus, und sie wird auch nicht verschwinden. Sie ist Teil von uns. Aber manchmal muss man sie eben als solche verstehen, um nicht völlig verrückt zu werden. Ein kleiner, aber wichtiger Beginn der Vernunft.
In diesem Sinne: Ihnen allen einen guten Sommer und einen schönen Urlaub!