Oft ist es so, dass man Dinge leichter erklären kann, wenn man sie mit etwas anderem vergleicht oder in Beziehung setzt. Das hat auch damit zu tun, dass bestimmte Bereiche miteinander interagieren und man sie eigentlich nur dann erklären kann, wenn man sich diese Beziehungen anschaut.

Lange Rede, kurzer Sinn: so ist es auch mit der Ethik. Ohne jetzt den Anspruch zu erheben, nach 2.500 Jahren Philosophie eine erschöpfende Definition liefern zu können: man kann das, was Ethik ist und wie Ethik funktioniert, sehr gut erklären über die Interaktionen zu Elementen oder Faktoren, die eng mit der Ethik verbunden sind.


Ethik und Moral

Der geborene Partner der Ethik ist die Moral. Beide werden durchaus unterschiedlich voneinander abgegrenzt, aber ein gewisser Konsens ist schon vorhanden.

Was ist der Unterschied zwischen den beiden?

Unter der Moral versteht man die Sitten und Gebräuche, die konkret gelebt werden. Das „Man macht das so!“, das einem im Leben klarmacht, was man tun und was man nicht tun soll. Es sind Handlungsmuster, die oft uralt sind, die sich aber im Laufe der Zeit immer wieder ändern. Vermittelt wird die Moral durch Institutionen wie die Kirchen, das Bildungswesen, die Medien, die Politik usw.

Zentrale Instanz der Moral ist die Gesellschaft.

Die Ethik steht sozusagen eine Ebene über der Moral: sie reflektiert die Moral. Sie schaut auf die Sitten und Gebräuche der Gesellschaft, sie schaut auf die Werte, die in einer Gesellschaft gelebt werden und versucht sie einzuordnen. Sie schafft ein Wertesystem, aufgrund dessen man in der Lage ist, eine bestimmte Handlung als ethisch gut oder schlecht zu beurteilen.

Zentrale Instanz der Ethik ist das Gewissen.

 

Recht

Der dritte relevante Faktor ist der des Rechts: das Recht setzt die für den Erhalt der Gesellschaft wesentlichen Werte durch, indem Verstöße mit Sanktionen belegt werden. Zugleich muss es klären, wo eigentlich Regelungen und Gesetze nötig sind, um das Wertesystem durchzusetzen.

Zentrale Instanz des Rechts ist das Gericht.

 

Das Zusammen von Ethik, Moral und Recht

Die drei genannten Faktoren, Ethik, Moral und Recht gehören eng zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.

Die Moral, das konkret gelebte Wertesystem beeinflusst das Recht und die Ethik und bindet sie so an das konkrete Leben. Eine Ethik, die nicht an die Moral angebunden ist, wird zu einer luftleeren Diskussion. Ein Recht, das nichts mit dem konkreten Leben zu hat, wird nicht respektiert und damit irrelevant.

Das Recht wirkt auf die Moral ein, indem es die guten Seiten des Wertesystems einer Gesellschaft stärkt und die schlechten Seiten durch Sanktionen an ihrer Entfaltung hindert. Das Recht wirkt auf die Ethik ein, indem es sie praxisrelevanter macht: auch die Ethik in ihrer Wertediskussion muss die mögliche konkrete Umsetzung ihrer Ergebnisse im Auge haben.

Die Ethik erfüllt eine Schlüsselfunktion in dieser Dreiheit: sie gibt dem moralischen Leben einer Gesellschaft Orientierung, sie beurteilt, was gut ist und was schlecht ist, sie gibt die Richtung möglicher Veränderungen vor. Diese Funktion erfüllt die Ethik auch gegenüber dem Recht: sie gibt die Richtung vor, sie beurteilt, ob das Gesetz sich im Einklang mit den universalen Grundwerten befindet.


Wenn es nicht klappt …

Spannend wird es nun, wenn einer der drei genannten Faktoren ausfällt. Dann kommt es zu erheblichen Störungen, die auf lange Sicht gar nicht gut gehen können.

  • Ohne Moral: es gibt zwar ein ausgebildetes Rechtssystem und auch eine ausgefeilte Ethik, aber diesen Faktoren fehlt jede Anbindung an die konkrete Wirklichkeit, daran, wie die Werte in der Realität gelebt werden. Die Gefahr liegt in einer mangelnden Glaubwürdigkeit bzw. in einer mangelhaften Durchsetzung der Regeln.
    Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die katholische Kirche und ihr Umgang mit der Missbrauchsthematik: die Kirche verfügt über ein jahrtausendealtes Rechtssystem und auch über eine funktionierende ethische Reflexion, woran es mangelt, ist die Moral: die Anbindung an das konkrete Leben, das ihr die Durchsetzung ihrer eigenen ethischen Grundsätze unmöglich macht. Die Lösung läge in einer engeren Anbindung von Ethik und Recht an das konkrete moralische Leben.
  • Ohne Ethik: es gibt zwar feste Regeln und fest eingebürgerte Handlungsmuster, aber keine ethische Reflexion dessen, was da eigentlich passiert, kein Abgleich mit den universal gültigen Werten. Die Gefahr liegt hier in einer dauerhaften Kriminalisierung.
    Ein Beispiel hierfür sind Diktaturen, die eng angebunden an die gelebte Moral sind und auch über ein Rechtssystem verfügen, aber keinerlei ethische Grundsätze haben bzw. ihr Handeln überhaupt nicht ethisch reflektieren. Im Extremfall können aus dieser Haltung verbrecherische Regimes wie die NS-Diktatur entstehen. Die Mafia wäre ein weiteres Beispiel für eine Organisation, die zwar über Moral und Recht verfügt, aber keine ethische Anbindung hat.
  • Ohne Recht: es gibt zwar eine ethische Reflexion und auch eine gelebte Moral, aber keine Instanz, die in der Lage wäre, sich durchzusetzen. Die Gefahr ist hier diejenige, dass das Recht des Stärkeren sich durchsetzt, weil keine Rechtsprechung greifbar ist. Beispiel hierfür wäre z. B. Russland oder die Türkei, deren Rechtsprechungen nur verlängerte Arme der Regierung sind und damit im Land – bedingt durch Korruption – das Recht des Stärkeren regiert.

 

Ethik, Moral und Recht gehören zusammen. Sie beeinflussen sich gegenseitig und in dieser gegenseitigen Beeinflussung schaffen sie eine Gesellschaft oder eine Organisation, die auf gerechten und tragfähigen Werten beruht und ihren Mitgliedern das Gefühl gibt, in einer ethisch und moralisch guten Umgebung leben zu können. Die Erfahrung von persönlichem Sinn oder Glück hat ganz viel mit einem gegenseitigen Funktionieren dieser Faktoren zu tun.

Im Unternehmen

Diese drei Faktoren sind in genau dieser Funktionalität auch auf Unternehmen übertragen: auf die Unternehmenskultur (welche die Moral ist), auf die Unternehmensethik (Ethik) und auf die Unternehmensrichtlinien (Recht).

Wie in der Gesellschaft ist auch für ein Unternehmen notwendig, diese drei Elemente in einem guten Miteinander zu halten.

Die Unternehmenskultur muss die Unternehmensethik und die –richtlinien beeinflussen, da diese sonst abgehoben und nicht glaubwürdig sind.

Die Richtlinien müssen die Kultur und die Ethik im Auge haben, da sie sonst tyrannisch werden.

Die Ethik muss sowohl die konkrete Unternehmenskultur als auch die rechtliche Umsetzung im Auge haben, da sie sonst irrelevant wird.

Das Zusammen der drei Elemente gibt die Möglichkeit, den Mitarbeitern eine Umgebung zu schaffen, in der sie mit Werten konfrontiert werden, die für sie tragfähig, motivierend und sinnstiftend sind. Das Ausbalancieren dieser drei Elemente ist nicht immer einfach und kommt eigentlich nie an ein Ende, weil es immer wieder Veränderungen in der konkret gelebten Kultur gibt. Auf diese muss das Unternehmen in seiner Ethik und in seinem Recht immer wieder achten und nachsteuern, damit das Miteinander im Unternehmen stabil und stabilisierend bleibt.