In wenigen Tagen beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. Selbst hartgesottene Fans des runden Leders (vielleicht sogar gerade die!) können sich nicht daran erinnern, schon einmal derart lustlos auf eine Fußballweltmeisterschaft geschaut zu haben. Wo man sich früher selbst auf Spiele wie Senegal gegen Tunesien freute, regiert nun die Teilnahmslosigkeit.

Was ist mit diesem Sport passiert? Ein Blick auf den aktuellen Zustand des Fußballs. Dieser Blog ist etwas länger als die üblichen Blogs – Resultat der großen Leidenschaft des Autors, der den Fußball noch nicht komplett aufgegeben hat, aber mit großen Sorgen auf seinen Lieblingssport schaut.


Der Mythos des Maracanã-Stadions

Quelle: www.deutschlandfunk.de

Beginnen möchte ich mit der letzten WM, vielmehr mit dem Stadion, in dem Deutschland 2014 Weltmeister wurde: das Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro. Anfang 2017 gingen Bilder um die Sportwelt, die jeden Fußballfan erschüttern mussten – aber bezeichnenderweise nur wenig Reaktion hervorriefen: die Bilder des verrottenden Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro.

Um die Tragweite dieser Bilder zu ergreifen, muss man ein paar Jahrzehnte in die Geschichte zurückgehen.

Es ist der 16. Juli 1950, Anpfiff im Maracanã-Stadion zum entscheidenden Gruppenspiel der Finalrunde der Fußballweltmeisterschaft. Ein schwüler Nachmittag, dessen drückende Hitze sich auf das Publikum zu übertragen schien. Etwa 220.000 Menschen, die größte Menschenmenge, die je ein Fußballspiel live verfolgte, war in das Stadion geströmt. Die Euphorie im Land war erdrückend. Ganz Brasilien will, ja muss endlich Weltmeister werden. Glanzvolle Namen wie Ademir, Zizinho, Jair und Friaça hatten das Land zum absoluten Favoriten gemacht.

Mühelos war die „Seleção“ durch das Turnier spaziert und brauchte nur noch ein Unentschieden gegen den Außenseiter Uruguay, um den ersehnten Titel zu holen. Als Friaça in der 47. Minute das 1:0 erzielt, versinkt das riesige Rund des Maracanã in einem kollektiven Freudentaumel, Böllersalven schießen in den flimmernden Nachmittagshimmel.

Dann der Schock: Schiaffino gleicht in der 66. Minute für Urugay aus. Der entscheidende Angriff dann in der 79. Minute, der das Stadion von einem Augenblick zum nächsten totenstill machen wird: Uruguays Ghiggia geht auf der rechten Seite durch, nähert sich dem brasilianischen Torhüter Barbosa. Jeder rechnet mit einer Flanke in die Mitte, aber Ghiggia zielt auf das kurze Eck und macht das 2:1. Die Entscheidung. Das ganze Land ist betäubt und unter Schock, alleine im Stadion gibt es mehrere Selbstmorde.

Bis heute gibt es in der kollektiven Wahrnehmung dieses Landes kein einschneidenderes Erlebnis. Vielleicht hat es in der Geschichte des Fußballs kein Spiel gegeben, das derart mit den Hoffnungen und Träumen einer ganzen Nation aufgeladen war wie jenes „Maracanaço“. Entsprechend hoch war die Fallhöhe, entsprechend traumatisch die Niederlage.

Quelle: www.livemint.com

Trotz aller späteren Erfolge der „Seleção“: dieses Spiel ist bis heute das Spiel der brasilianischen Fußballgeschichte, die Zahl der Bücher, die über dieses eine Spiel verfasst wurden, ist Legion. Man muss die Ereignisse um dieses epische Spiel im Hinterkopf haben, wenn man die aktuellen Bilder dieses Stadions sieht, die herausgerissenen Sitze, den braunen Rasen, die kaputten Wände. Selbst die Bronze-Statue, die an den Journalisten Mario Filho erinnert, den offiziellen Namensgeber des Stadions, ist rausgerissen worden.

 

Wie konnte diese Schande passieren? Und warum steht der Verfall des Maracanã beispielhaft für das Ende des Fußballs?

 

Garrincha

Auch hier hilft ein Blick auf den brasilianischen Fußball und auf den brasilianischen Fußballer schlechthin: Garrincha.

Auch wenn Pelé der berühmteste und wohl auch stärkste Fußballer Brasiliens gewesen ist: der bis heute populärste Fußballer Brasiliens ist Manuel Francisco dos Santos, genannt Garrincha. Er war ein Krüppel, sein Rücken war deformiert, sein linkes Bein war 6 cm länger als sein rechtes, zudem war sein linkes Bein ein O-Bein, während das rechte ein X-Bein war. Großgeworden ist er in einem elenden Dschungeldorf, mit 19 Jahren wurde er zu einem Probetraining zum Erstligisten Botafogo nach Rio de Janeiro eingeladen. Botafogo war eine der stärksten Mannschaften jener Zeit, entsprechend mitleidig schauten die Spieler auf diesen Krüppel, der auf das Spielfeld gewankt kam.

Als Garrincha jedoch den Ball bekam, sahen sie Dinge, die sie nie vorher gesehen hatten. Als er zum wiederholten Male der Verteidiger-Legende und vielfachen Nationalspieler Nílton Santos den Ball zwischen die Beine geschoben hatte, hatte der Trainer genug gesehen: Garrincha bekam den Vertrag und wurde zu dem Spieler jener Zeit.

Quelle: www.sueddeutsche.de

Was Garrincha bot, war unerhört: es war Slapstick, ganz große Komödie. Man könnte auch sagen: Garrincha wollte nur spielen, mit dem Ball und mit dem Gegner. Diese Ballverliebtheit konnte auch zum Selbstzweck werden: bei einem Freundschaftsspiel in Florenz umdribbelte er zuerst die gesamte Abwehr samt Torhüter, stoppte den Ball vor der Torlinie, wartete auf die Verteidiger um sie erneut zu umdribbeln und schoss dann erst das Tor. Das Publikum war begeistert, der Trainer schäumte vor Wut.

Biograph Ruy Castro nannte Garrincha in zu Recht den „amateurhaftesten Spieler, den der Profifußball je hervorgebracht hat“. Es ging Garrincha immer nur um das Spielen und dafür liebten ihn die Leute, er wurde zur „allegria do povo“, zur „Freude des Volkes“. Ebenso kometenhaft wie Garrinchas Aufstieg war auch sein Abstieg: völlig verarmt und vom Alkohol zerstört starb der zweimalige Weltmeister bereits 1983.

Die vielleicht beeindruckendste Szene seiner Karriere wird von einem normalen Ligaspiel berichtet: Garrincha liefert sich einen intensiven Zweikampf mit einem Verteidiger; beide schenken sich nichts, kämpfen minutenlang um den Ball, sind derart auf das Duell fixiert, das sie nicht einmal merken, dass sie mit dem Ball die Außenlinie überschritten haben.

Und das Erstaunliche: der Schiedsrichter pfeift nicht ab, er lässt sie beide weiter um den Ball ringen. Stadion, Mitspieler und Schiedsrichter schauen wie gebannt auf dieses Duell der beiden Spieler. Ehrfurchtsvoll schauen sie zu, weil sie ahnen, dass es in dieser Szene um den Fußball selbst geht: den Kampf um den Ball, den Willen, den Ball zu haben und zu spielen.

Der niederländische Kulturgeschichtler Johan Huizinga hat in seinem Werk Homo ludens das Spiel als eine Kulturform beschrieben, die um ihrer selbst willen in einem durch Regeln abgegrenzten Bereich stattfindet. Das Spiel, so Huizinga, sei eine Handlung, die „ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.“ Das Spiel steht außerhalb der „realen“ Welt, es ist etwas „anderes“, was auch immer das konkret bedeuten mag.

Diese Szene von Garrincha ist deshalb so faszinierend, weil die Welt des Spiels seine eigenen Grenzen in die reale Welt hinein ausgeweitet hat: die Außenlinie des Spielfelds wurde überschritten, die ganze Welt wurde zum Spielfeld.


Die Welt regiert den Fußball

Was wir heute im Fußball beobachten können – und damit kommen wir zu den Ursachen des aktuellen Desasters –, ist leider das genaue Gegenteil: nicht das Spiel regiert die Welt, sondern die Welt regiert das Spiel.

Dies tut sie, wenn zu große spielexterne Interessen auf das Spiel einwirken: machthungrige und korrupte Funktionäre, prestigesüchtige Politiker sowie Sponsoren, die der Kommerzialisierung alles opfern. Das Maracanã in Rio ist nur der zurzeit auffälligste Zeuge einer Entwicklung, die den Fußball als Spiel in ihrem Innersten bedroht. Halten wir fest: in nur zwei Jahren wurde dieses Stadion im Vorfeld der Weltmeisterschaft 1950 errichtet mit dem Anspruch, ein Stadion des „Volkes“ zu sein. Es wurde deshalb derart gigantisch errichtet, damit in der Tat möglichst viele aus dem „Volk“ für entsprechend wenig Geld Spiele in diesem Stadion verfolgen können.

Quelle: www.expedia.com

Dieses „Stadion des Volkes“ fasste mit jedem Umbau im Laufe der Jahrzehnte immer weniger Zuschauer, die Karten wurden immer teurer. Für die Weltmeisterschaft 2014 wurde das Stadion für umgerechnet ca. 315 Millionen umgebaut und ist nun ein austauschbares Abziehbild einer jeden anderen modernen Arena auf der Welt. Brasilianische Besucher klagten nach der Fertigstellung des neuen Stadions, dass die Symbolik, die besondere Aura des Maracanã unwiderruflich verloren sei. Ein Betreiberkonsortium um den Baukonzern Odebrecht hat den Betrieb des Stadions für 35 Jahre übernommen, die Preise wurden weiter angehoben, die Zuschauerzahlen gingen in den Keller.

Mittlerweile sind die Verträge mit den großen Vereinen Rios ausgelaufen, Odebrecht selbst ist in einen handfesten Skandal verwickelt, der ganz Südamerika umfasst. Die völlige Kommerzialisierung des Fußballs hat einen ihrer heiligsten Orte zerstört.

Die Kommerzialisierung beschränkt sich nicht auf die Zerstörung alter Sportstätten. Welt- und Europameisterschaften werden sinnlos aufgebläht, die europäische Champions League wird zur Geldbeschaffungsmaschine der immer gleichen Teilnehmer, die nationalen Wettbewerbe sind an Langeweile nicht mehr zu überbieten.

Dies alles ist bedauerlich, aber noch nicht der Kern des Problems. Erst einmal ist Kommerzialisierung neutral. Es ist völlig in Ordnung, mit dem Fußball Geld zu verdienen. Das Problem beginnt dann, wenn nicht nur mit dem Fußball Geld verdient wird, sondern der Fußball verändert wird, um mehr Geld damit zu verdienen. Dann wird die Grenze überschritten, von der Huizinga gesprochen hat: der Fußball ist kein Spiel mehr, weil er nicht mehr für sich steht.

Quelle: www.stuttgarter-nachrichten.de

Die Kommerzialisierung des Fußballs betrifft eben nicht nur die äußere Struktur des Spielplans oder die Kasse eines Fußballsvereins, sondern auch das Spiel selbst. Ein wichtiger Aspekt des Spiels ist der Wettbewerb, der zusehends zerstört wird, weil die Reihenfolge der Vereine in der Liga immer berechenbarer wird und sich auch auf internationalem Parkett immer nur die gleichen wenigen Vereine um die Trophäen streiten. Herbergers alte Weisheit, dass man eben nicht wisse, wie das Spiel ausgeht, war damals eine Zustandsbeschreibung, heute ist es ein Appell.

Die Herstellung eines ausgeglichenen Wettbewerbs stößt natürlicherweise auf den Widerstand der etablierten Vereine, seien es die nationalen zwei bis drei Spitzenvereine, seien es die europäischen acht bis zehn Spitzenvereine, welche die jeweiligen Wettbewerbe dominieren. Man muss sich klarmachen, dass es eigentlich eine Wettbewerbsverzerrung darstellt, wenn Teilnehmer am gleichen Wettkampf unterschiedliche Prämien und Fernsehgelder bekommen.

Es gibt keinen Rechtsanspruch des FC Bayern München oder von Real Madrid, durch den Wettbewerb und die Prämien ein Vielfaches an Einnahmen zu erzielen gegenüber den Mitbewerbern. Ebensowenig gibt es einen Rechtsanspruch, eine bestimmte Anzahl an internationalen Spielen zu haben, um Planungssicherheit zu haben. De facto laufen sämtliche Reformen der UEFA-Champions-League jedoch auf einen solchen Anspruch für die in Europa dominierenden Vereine hinaus, der den Wettbewerb – und damit das Spiel selbst – sowohl national als auch international tötet.

 

Der Tod des Spiels

Das vielleicht noch schwerwiegendere Problem liegt jedoch darin, dass die Kommerzialisierung in all ihren Facetten das Spiel selbst tötet.

Dies zu erkennen, muss man einen Spieler wie Garrincha vor Augen haben, wie er die gegnerischen Spieler das eine ums andere Mal vernarrt und mit ihnen und dem Ball spielt. Das Erzielen eines Tores mochte das Ziel des Spiels sein, aber es unterbrach auch das Spiel und war damit für Garrincha zweitrangig. Welche Chance hätte ein solcher Spieler noch im heutigen, modernen Fußball?

Eduardo Galeano, einer der bedeutendsten Schriftsteller Südamerikas, stellte in seinem Fußballbuch „Der Ball ist rund“ resigniert fest:

„Die Geschichte des Fußballs ist eine traurige Reise von der Lust zur Pflicht.“

Wenn die kommerziellen Interessen zu stark in den Fußball hineinwirken, dann wird aus der Lust eine Pflicht. Dann muss auch ein Garrincha diszipliniert am eigenen Strafraum den Ball weggrätschen. César Luis Menotti, die argentinische Trainerlegende, forderte einen „linken Fußball“, der ungezwungen und frei nach vorne spielt. Jorge Valdano, ehemaliger argentinischer Nationalspieler und scharfer Kritiker des „modernen Fußballs“ wünscht einen „progressiven“ Fußball und fasst diesen im Interview mit dem Spiegel 2006 zusammen:

„Gegen einen Fußball, in dem das Kollektiv mehr Bedeutung hat als das Individuum. Gegen einen Fußball, in dem Ideen des Trainers wichtiger sind als die Ideen der Spieler und in dem Angst wichtiger ist als Mut.“

Dies sind fromme Appelle, und das wissen Menotti und Valdano, die das Geschäft gut genug kennen. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Es geht in jedem Fußballspiel um viel Geld, viel Geld erzeugt Druck und Angst; diese wiederum vernichten das, was das Spiel zum Spiel gemacht hat: die Freiheit und die Lust am Spiel. Diese Zustände völlig ändern zu wollen, hieße, den Fußball in die Amateurzeiten zurückzuversetzen, was zum einen keiner will und zum anderen völlig illusorisch ist.

Dennoch bleiben Stellschrauben, die aktuelle Entwicklung immerhin positiv zu beeinflussen. Eine wichtige Funktion kommt hier den einzelnen Verbänden zu, seien es die nationalen Verbände wie der DFB, seien es UEFA oder FIFA, die ja theoretisch immun sein sollten gegen die Kommerzialisierung, weil sie theoretisch keine Gewinne erzielen dürften. Theoretisch.

Quelle: www.dw.de

Diese Verbände bilden jedoch ein in sich geschlossenes System, das auf Geldvermehrung angelegt ist und die Gewinnmaximierung zum Lebensprinzip gemacht hat. Dies zu beheben, dazu helfen auch keine Transparenzoffensiven. Wenn z. B. FIFA-Chef Infantino den kleinen Verbände neue WM-Startplätze verspricht, dafür gewählt wird und anschließend die WM aufgeblasen wird, dann ist alles völlig transparent gelaufen und im Ergebnis trotzdem Gift für den Fußball. Es geht in der aktuellen Krise des Fußballs nicht nur um Transparenz und auch nicht nur um die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit.

Die Forderungen nach Transparenz und einer Stärkung des Wettbewerbs sind oft erhoben worden – ohne Erfolg. Der entscheidende Punkt ist vielleicht derjenige, dass man nicht genau wusste, was das Problem des Fußballs eigentlich ist. Das entscheidende Problem des modernen Fußballs ist eben nicht die mangelnde Transparenz oder die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, so wichtig sie auch sein mögen, sondern schlicht und einfach die Tatsache, dass der Fußball kein Spiel mehr ist und auch keine Chance mehr hat, ein Spiel zu sein.

Entsprechend muss man die Strukturen in den Verbänden darauf ausrichten, das Spiel als Spiel zu schützen. Das ist etwas anderes als die Bekämpfung der Korruption, auch etwas anderes als das bloße Schreien: „Ihr habt zuviel Geld!“ Weil man dann begründen muss, warum viel Geld schlecht ist. Es geht um das Spiel, und ein Spiel ist mehr als das Produkt von Transparenz und Wettbewerb, auch wenn es ohne sie nicht existieren kann.


Die Kultur des Spiels?

Was ist Fußball als Spiel? Worum geht es? Huizinga hat das Spiel definiert als den Beginn des kulturellen Handelns.

Das Spiel ist nicht nur Teil der Kultur, Kultur entsteht überhaupt nur als ein Spiel. Erst da, wo der Mensch spielt, wird er zu einem kulturellen Wesen. Die Kultur ist ja das, was der Mensch als Gestalter und Schöpfer hervorbringt. Dieses kreative Hervorbringen ist spielerisch.

Quelle: www.pixabay.com

Auf diese Weise steht der Fußball als das Spiel schlechthin nicht nur für Werte wie Fairness oder Wettbewerb, sondern für das, was den Menschen zu einem kulturellen Wesen macht. Wie sich die Kultur entfaltet als ein freies Spiel der Kräfte, muss auch der moderne Fußball dieses freie Spiel der Kräfte abbilden. Freiheit ist hier nicht nur als die innere Freiheit des Spiels selbst zu verstehen, das immer Neues hervorbringt, sondern auch als Freiheit nach außen hin.

Das Spiel ist nur dann Spiel, wenn es außerhalb des realen Lebens steht, somit außerhalb externer Interessen. Natürlich darf das Spiel kommerziell genutzt werden, aber es darf nicht auf den Kommerz ausgerichtet werden. Alle im Fußball handelnden und den Fußball regierenden Personen sollten diese Trennung des Spiels vom Nichtspiel eigentlich im Kopf haben. Theoretisch.

Da dies praktisch nicht passiert, müssen die Strukturen des Fußballs – in den nationalen und internationalen Verbänden – auf diese Trennung hin neu konstruiert werden: eine fußballerische Legislative schützt das Spiel als Spiel, sie hat nichts mit der Vermarktung des Spiels zu tun, sondern nur damit, in den Regeln den Rahmen abzustecken, in dem das Spiel als Spiel stattfinden soll.

Eine fußballerischer Exekutive hingegen kümmert sich darum, wie dieser Rahmen gefüllt werden kann: die Vermarktung. Das eine ist der Gesetzgeber, das andere die Verwaltung. Beide Bereiche sind zu trennen. Die Kommerzialisierung des Spiels braucht eine Grenze und diese Grenze muss immer wieder neu sehr konkret definiert werden. Eine strukturelle Trennung der Verbände in diese beiden Bereiche würde das Spiel als Spiel schützen und dennoch vermarktungsfähig lassen.

Was in der Politik als „check and balances“ die Gewaltenteilung eines Staates garantiert und eine Diktatur verhindert, muss auch in den Fußballverbänden eine Einseitigkeit und Diktatur des Kommerzes verhindern, um das Spiel als Spiel zu retten. Die Freiheit, die durch die Gewaltenteilung im Staat Grundbedingung der Demokratie ist, ist im Fußball die Grundbedingung dafür, dass das Spiel ein Spiel bleibt.

 

Der Sieg des Kommerzes

Das Maracanã-Stadion in Rio ist das Denkmal des Scheiterns der heutigen vollständig kommerzialisierten Fußballwelt. Aus dem „Stadion des Volkes“ ist eine Bauruine geworden, weil man nicht mehr der Bevölkerung die Freude am Spiel schenken wollte, sondern einfach nur noch möglichst viel Geld verdienen wollte.

Ein Spieler wie Garrincha würde im heutigen Fußball scheitern. Er könnte nicht aus Spaß an der Freude den gleichen Verteidiger siebenmal umdribbeln. Entweder würde er von seinen Trainern und der Öffentlichkeit zu einem gut funktionierenden Einzelteil einer perfekt abgestimmten Maschine geschliffen oder er würde seine Karriere an den Nagel hängen.

Quelle: www.wbur.org

Doch Leute wie Garrincha oder vielmehr Momente, wie sie Garrincha den Menschen geboten hat, machen die Faszination dieses herrlichen Sports aus. Unvorhergesehene und überraschende Momente, mit den man nicht rechnen konnte, unerwartete Spielwendungen, falsche Schiedsrichterentscheidungen, geniale Geisteblitze wie völliges Versagen bieten den Stoff, aus dem die Geschichten des Fußballs gewoben sind und die den Fußball zu einem Narrativ machen.

 

Diese Magie des Spiels muss geschützt werden und dazu ist es nötig, sich neu darauf zu besinnen, dass ein Spiel ein Spiel ist. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

 

Literaturempfehlungen:

Christoph Bausenwein: Geheimnis Fußball. Auf den Spuren eines Phänomens.

Galeado, Eduardo: Der Ball ist rund.

Valdano, Jorge: Über Fußball.