Die Wahlen in Thüringen und Sachsen sind ein politisches Erdbeben: die AfD erreicht um die 30%, das Bündnis Sahra Wagenknecht erreicht 11 bzw. 15%.

Was sich in den letzten Tagen auf Twitter tat, war schwer zu ertragen. Auf der einen Seite orchestriert wirkende und oft wörtlich gleiche Aufregung von AfD-Leuten, die sich darüber beklagen, bei ARD und ZDF als Nazis dargestellt worden zu sein.

Nun ja, die Partei ist durch Verfassungsschutz und mehrere Gerichte als gesichert rechtsextrem eingestuft, Funktionäre der Partei fallen immer wieder mit Nazi-Parolen auf und sind deshalb auch verurteilt. Da muss man als Partei auch Vergleiche mit den Nazis aushalten können.

Wenn dann hinterhergeschoben wird, dass ein Vergleich mit den Nazis die Nazis damals verharmlosen würde, wird es schon deshalb wirklich dreist, weil hohe Funktionäre der AfD die Nazi-Zeit immer wieder als kleinen „Fliegenschiss in deutschen Geschichte“ verharmlost haben oder das Gedenkmal an den Holocaust in Berlin als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet haben.

Wenn sich dann noch ein sächsischer Landtagskandidat nach der Wahl darüber beklagt, dass rechtsextremistische Parteien wie „Freies Sachsen“ zu viele Stimmen bekommen haben, die bei der AfD besser aufgehoben wären, wird endgültig deutlich, was zusammen gehört.

Diese Dinge sind bekannt. Und trotzdem wird die AfD gewählt. Das macht nicht jeden AfD-Wähler zu einem Nazi. Aber mindestens zu einem Menschen, der Nazis toleriert.

Der Osten

Hier kommen wir zu einer breiten Bevölkerungsgruppe in Ostdeutschland, die den Umgang in der Demokratie und die Mühen mit der Demokratie schlicht und einfach nicht gewöhnt sind. Und dass dies nach über 30 Jahre nach der deutschen Einheit noch der Fall ist, stellt ein völliges Versagen der Bildungspolitik dar.

In einem Fernsehinterview in der letzten Woche sagte ein nicht unsympathisch wirkender Herr in den 60ern:

„Ich habe keinen Bock mehr auf dieses ganze Gerede. Früher war nicht alles toll, aber wir wussten, was geht und was nicht geht, darauf hat man sich eingestellt und das war ok.“

Der Westen

Nun könnte man denken: egal, das sind ein paar kleine Bundesländer im Osten, der gesamte Osten zusammen hat weniger Leute als NRW.

So einfach ist es leider nicht, denn auch im Westen sind es nicht nur Nazis, die die AfD wählen. Diese Personengruppe ist kleiner als im Osten, aber es gibt sie.

Ich muss gestehen, dass ich mit einiger Sorge zur Kenntnis nehme, wie in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit, aber auch in meinem Bekanntenkreis viele Menschen, die eigentlich klassische CDU-Wähler waren, also konservativ, demokratisch, wirtschaftsfreundlich und oft auch christlich, immer mehr abdriften in Richtung AfD.

Diese Menschen fühlen sich auch weiterhin auf dem Boden der Demokratie, sind aber zuhöchst unzufrieden, was die Demokratie in den letzten Jahren hervorbringt und was ihren konservativen Werten oft zutiefst widerspricht.
Deshalb wollen sie die Demokratie nicht abschaffen, aber sie nehmen in Kauf, dass eine demokratiefeindliche AfD an Einfluss gewinnt, weil sie die einzige zu sein scheint, die für ihre Werte eintritt.

Das wird in Kauf genommen, weil diese Werte als überlebenswichtig für die Gesellschaft wahrgenommen werden. Dies gilt insbesondere für die Felder innere Sicherheit und Migration.

Von hier geht die Brücke zur Politik und zu den ehemaligen und gegenwärtigen Regierungsparteien, von der AfD liebevoll als „Systemparteien“ bezeichnet (übrigens eine Begrifflichkeit der Nazis).

Was tun die Parteien?

Was mich in den letzten Tagen noch mehr entsetzte als der Ausgang dieser beiden Wahlen war der Umgang mit dem Ergebnis.

Die SPD? Von Scholz ist nichts Substantielles zu hören, Kühnert und Esken sprechen davon, den Wähler nicht genug erreicht zu haben, man müsse klarer kommunizieren.

Genauso gefährlich wie die nahezu autistische Realitätsverweigerung der SPD ist die Haltung der Union: ihr Hauptfeind ist nicht die AfD, sondern sind die Grünen. Wenn Söder dann einen Tag nach den Wahlen im Bierzelt tobt, man müsse nicht die Gerichte, sondern das deutsche Volk über Migranten entscheiden lassen, dann bekommt man zumindest kein gutes Gefühl, wenn es um eine Bekämpfung der AfD geht.

Diese beiden Parteien, SPD und Union, sind die Parteien, die seit Jahrzehnten unser Land dominieren und regieren, und sie haben noch immer nicht verstanden, worum es im Konflikt mit der AfD geht.

Grüne und FDP sind da nur in Nuancen besser. Auch die Grünen sprechen von Kommunikationsproblemen, die FDP kündigt immerhin an, nun aktiv an den Missständen etwas tun zu wollen. Die scharfe anti-grüne Rhetorik der letzten Jahre lässt aber auch hier Fragezeichen zu, ob man den wahren Feind schon identifiziert hat.

Dass AfD und jetzt die neugegründete BSW einen derartigen Aufschwung erleben, ist zu großen Teilen (neben eigener abgebrühter Cleverness und russischen Geldern) das Verdienst der anderen Parteien, die erschreckend hilflos agieren.

Der erste große Fehler im Umgang mit der AfD bestand darin, sie nicht zu verbieten. Wenn eine Partei vom Verfassungsschutz und von verschiedenen Gerichten als verfassungsfeindlich eingestuft wird: mit welcher Berechtigung darf sie auf Stimmenfang gehen?
Die Toleranz in der Demokratie endet da, wo man sie abschaffen will (vgl. den Blog “Darf man eine Partei verbieten?“)

Was ist zu tun?

Klärung: wer ist eigentlich der Gegner?

Die Unionsparteien dreschen seit Jahren vorzugsweise auf die Grünen ein. Natürlich sind die Grünen – was das Lebensgefühl betrifft – in vielen Punkten am anderen Ende der Skala als ein typischer CDUler oder CSUler. Gleiches gilt auch für die FDP, auch dort hat man sich seit Jahren vorzugsweise auf die Grünen eingeschossen.

Auf der linken Seite sieht es jedoch nicht besser aus: sowohl SPD und Grüne schießen am liebsten auf die Unionsparteien (zu konservativ, zu viel law-and-order) und die FDP (zu kapitalistisch).

Diese Parteien sollten sich möglichst schnell klarmachen, wo die wirkliche Gefahr für die Demokratie überhaupt, aber auch für die eigenen politischen Ziele lauert.

 

Priorisierung: was ist wichtig?

Neben der parteipolitischen Frage, wer eigentlich der Hauptgegner ist, steht die inhaltlich-politische Frage, was eigentlich die aktuell wichtigste Aufgabe ist, das zur Zeit drängendste politische Problem. Hier hat jede Partei ihre klaren Ziele, für die sie sich auch deutlich sichtbar einsetzt: den einen geht es um das Klima, den anderen um Bürokratieabbau usw.

Das sind alles wichtige Ziele. Nur: sollte die AfD an die Macht kommen, können diese Ziele samt und sonders in die Tonne gekloppt werden. Die Parteien müssen sich darüber im Klaren werden, dass eine funktionierende Demokratie die einzige Grundlage ist, die eigenen politischen Ziele zu erreichen.

Das Thema Demokratie muss auf die Agenda. Dies beinhaltet nicht nur eine effektivere Bekämpfung von AfD oder BSW, sondern noch viel mehr und an erster Stelle ein Blick darauf, was in der jetzigen Demokratie nicht gut funktioniert. Das geht von Mängeln in der Gewaltenteilung (Justiz, öff. Medien) über die Korruptionsbekämpfung bis zur inneren Sicherheit.

Medien: wie funktionieren die?

Bei den Medien muss man unterscheiden zwischen den alten und den neuen Medien. In den neuen Medien gibt es eigentlich nur eine Partei, die sich wirklich gut und effektiv präsentiert, und das ist die AfD. An der anderen Seite haben wir die Tiktok-Kampagne von der Aktentasche von Olaf Scholz.

Hier müssen die Parteien nicht nur lernen, dass neue Medien mit anderen Algorithmen und Aufmerksamkeitsfenstern arbeiten als Zeitungen vor 50 Jahren. Hinzu kommt, dass man deutlicher als bisher gegen Desinformationskampagnen vorgehen muss, die häufig aus Russland orchestriert und von der AfD übernommen werden.

Aber auch die alten Medien müssen lernen. Wäre etwa Sahra Wagenknecht nicht gefühlt in jede 2. Talkshow eingeladen worden, hätte sie diese breite Aufmerksamkeit gar nicht bekommen. An ihr wird ein grundlegendes Problem des Talkshow-Formats sichtbar. Wenn zu einer bestimmten Frage ein Experte eingeladen wird und dazu noch ein prominenter Sänger und beide sich zum Thema des Experten äußern, dann wirkt es so, als gäbe es zu diesem Thema zwei anerkannte Meinungen.

Quelle: wikimedia.

Das ist aber nicht immer der Fall. Es geht immer auch um Wissen und das sollte auch entsprechend dargestellt werden. Dies betrifft auch den Umgang mit Fake-News und dreisten Lügen. Die werden rausgehauen und drei Tage später sagt ein „Faktencheck“, das alles gelogen war. Zu spät. Die Lüge ist längst über alle Berge.

 

Führung: was ist das und wer kann führen?

Zur Zeit findet seitens der Regierenden keine politische Führung statt. Der Bundespräsident ist entweder nicht zu hören oder stößt hohle Phrasen aus, der Bundeskanzler ist nur nicht zu hören. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das gesamte Land, sondern auch auf die konkrete Regierungsarbeit. Wir wissen es aus der Schule: bei den schwachen Lehrern tanzen die Schüler auf dem Tisch.

Politische Führung in Bezug auf das ganze Land heißt nicht, diktatorisch das Land zu beherrschen. Führung heißt klare Stellung zu beziehen, warum man was macht und wie man eine Situation einordnet. Führung bedeutet, einen inneren Kompass zu haben, sich an diesem zu orientieren und die eigenen Entscheidungen mit diesem zu begründen. Führung heißt, ein Ziel und eine Vision umreißen zu können: wo wollen wir eigentlich hin und was bedeutet das?

Führung heißt nicht, immer nur auf die aktuellen Umfragen zu schielen. Vor dem Beitritt Deutschlands zur NATO war die Mehrheit der Deutschen gegen den Beitritt. Es hat Adenauer nicht beeindruckt. Er hat Recht behalten und er wurde mit absoluter Mehrheit wiedergewählt.

Das Problem der Führung betrifft nicht nur die SPD, sondern jede der etablierten Parteien. Und damit stellt sich die schwierige Frage, wie diese eigentlich ihr Führungspersonal rekrutieren.

Quelle: wikimedia.

Wie steigt jemand auf in einer Partei? Jemand kriegt einen guten Listenplatz bei einer Wahl, wenn er in den entsprechenden Kreis- oder Landesverbänden bekannt und beliebt genug ist.
Mit anderen Worten: er muss viel Zeit investieren, um einfach mal mit Leuten zu quatschen.
Diese Zeit hat jedoch keiner, der beruflich tätig ist. Diese Zeit haben Leute, die bereits ein politisches oder parteigebundenes Amt innehaben oder Praktikant einer solchen Person sind. Aber kein „normaler“ Mensch mit einem „normalen“ Beruf. Das bedeutet: es rücken immer nur Parteisoldaten nach, die nicht immer einen Bezug zum wahren Leben haben. Und entsprechend oft nicht die wirklichen Probleme bearbeiten, sondern die ihrer Blase.

Führung bedeutet, Erfahrung mit Leitung und dem Leben zu haben. Hieraus ergibt sich die Fähigkeit, zu führen und diese Führung auch anderen Menschen erklären zu können. Was wir oft erleben, sind Menschen wie Scholz und andere, die weder führen können, noch irgendwie in der Lage sind, ihre Politik den Menschen erklären zu können. Sie wirken abgehoben und arrogant.

Die Menschen wenden sich ab und gehen zu denen, die einfache Wahrheiten verkünden und anscheinend alles erklären können.

Fazit

Es sind harte Zeiten. Vielleicht ist das, was gerade passiert, nur ein Strohfeuer, das in ein paar Jahren vorbei ist. Vielleicht. Das weiß eben keiner. Ob es nur ein Strohfeuer ist oder sich hier ein grundlegender Epochenwechsel in der politischen Landschaft ankündigt, hängt ganz wesentlich vom politischen Personal der sog. etablierten Parteien ab: Union, SPD, Grüne, FDP. Allen muss klar sein, dass weder eine einzelne Partei, noch ein demokratisches System aus sich heraus unsterblich sind.

Natürlich entscheidet immer der Wähler, aber wenn die bisherigen Parteien so blind, zerstritten und kurzsichtig agieren, ist es eben eine logische Konsequenz, dass der Wähler sich eine Alternative sucht.

Ich bin ein Liberaler, im Sinne Kants und seiner Aufklärung, die den Einzelnen befähigen und ermündigen will, seine Gesellschaft frei gestalten zu können.

Diese Freiheit ist in großer Gefahr, wenn Parteien nach der Macht greifen, die entweder die Nazi-Zeit oder die DDR-Zeit verherrlichen oder zumindest verharmlosen,
die glauben, dass Putins Russland ein guter Freund ist, die ihren Feinden – ob Deutsche oder nicht – Gewalt androhen und auch antun, die immer leichte Antworten haben auf Probleme, für die sie die einzige Lösung sind, die jeden verfolgen und verachten, der nicht ihrer Meinung ist und die nur das für demokratisch halten, was ihre eigene Meinung ist.

Es wäre gut, wenn die Parteien diese Gefahr endlich sehen würden. Die bisherigen Reaktionen auf die Wahlen in Sachsen und Thüringen machen mich nur begrenzt optimistisch.