Frank Brettschneider ist der Don Quijote unserer Zeit. Wie der Ritter der traurigen Gestalt damals vergeblich gegen Heerscharen von Windmühlen kämpfte, hat sich Frank Brettscheider ebenfalls einen Gegner vorgenommen, der schon durch seine schiere Masse unbesiegbar ist: Brettschneider kämpft gegen die komplizierte, unverständliche Sprache.
Brettschneider ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim und analysiert regelmäßig, was die Spitzenleute aus Wirtschaft und Politik der Öffentlichkeit sprachlich zumuten.
Er kämpft gegen lange Schachtelsätze, Häufungen von Fachwörtern und neu erfundenen Endloswörtern, die kein Mensch verstehen kann. Brettschneider setzt für seine Analyse eine Skala von 1 bis 20 ein: je mehr Punkte, desto verständlicher; je weniger Punkte, desto mehr auf dem Level einer politikwissenschaftlichen Promotion.
Um es vorwegzunehmen: es mag Ausnahmen geben, die gut und verständlich sprechen und eine klare Rhetorik pflegen. Die meisten mündlichen und schriftlichen Äußerungen sind jedoch verheerend. Der aktuelle Koalitionsvertrag der Bundesregierung hat einen Wert von 5,7. Immerhin besser als der vorherige Koalitionsvertrag mit 3,8.
Nun geht es hier nicht darum, ein Bashing gegen die Rhetorik bestimmter Personen zu betreiben. Fürs Erste genügt die Erinnerung daran, dass diejenigen, die als Profis mit Sprache umgehen und in der Öffentlichkeit stehen, immer wieder Sprachmonster in die Welt setzen, die das Grundanliegen der Sprache konterkarieren: nämlich Verständigung zu schaffen.
Woran liegt das? Warum verfallen sprachlich eigentlich gewandte Leute in diesen furchtbaren Duktus? Warum machen die sprachlich kompliziert, was doch auch einfach und verständlich ginge?
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Eine Möglichkeit: sie wollen nicht verständlich sprechen.
Dieses Phänomen ist gerade bei Politikern zu beobachten. Selbst gewöhnlich bodenständige und verständige Politiker verfallen in einer politisches Chinesisch, wenn es um unangenehme Dinge geht. Die Politiker in diesen Fällen wollen nicht verstanden werden.
George Orwell ist der Autor des Romans „1984“, einem Roman, in dem es auch um die furchtbare manipulative Kraft der Sprache geht.
Orwell schreibt über die unverständliche Sprache:
„Der große Feind klarer Sprache ist die Unehrlichkeit. Wo es ein Loch gibt zwischen erklärten und wirklichen Zielen, greift man instinktiv zu langen Wörtern und erschöpften Redewendungen, so wie der Tintenfisch Tinte ausspritzt.“
Da, wo man die Wahrheit nicht rausrücken will, aber etwas sagen muss, flüchtet man sich in unverständliche Phrasen. Dann spricht man von „Platform-as-a-Service-Angebot“, weil es keinen guten Service gibt, oder von „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“, wo man keine Ideen hat, den Terrorismus zu bekämpfen.
Die unverständliche Sprache soll verschleiern. Dies kann zum einen daran liegen, dass man die Wahrheit über eine Sache nicht rausrücken will, kann aber auch daran liegen, dass man die einfache Wahrheit über eine Sache nicht kennt.
Eine Sache einfach darzustellen, kann daran scheitern, dass man es nicht einfach sagen will, kann aber auch daran scheitern, dass man es nicht sagen kann, weil man es nicht verstanden hat.
Klare Sprache erfordert klares Denken
Wenn ich klar spreche, habe ich es vorher klar gedacht. Das, was gedanklich durchdrungen und verstanden ist, kann auch verständlich in einer Rede präsentiert werden.
Die Erstellung einer guten Rede oder eines verständlichen Textes ist also nicht nur das Feilen an Formulierungen und das Niederschreiben von Wörtern, sondern erst einmal die Beschäftigung mit dem Thema und der Materie, die ich präsentieren will.
Klare Sprache erfordert klares Denken heißt: was ich für mich klar habe, kann ich auch klar darstellen. Rhetorik ist nicht nur Beschäftigung mit der Sprache, sondern zuerst Beschäftigung mit dem, was ich sprachlich darstellen will. Wenn ich es verstanden habe, kann ich dafür sorgen, dass auch andere es verstehen.
Fazit
Leute, die in der Öffentlichkeit mündlich oder schriftlich etwas darstellen müssen, verfallen oft in eine Sprache, die kein Mensch versteht. Dies liegt nicht nur an einer möglichen sprachlichen Unfähigkeit, sondern oft auch daran, dass das man etwas nicht sagen will oder nicht sagen kann, weil man sich zu wenig mit der Sache beschäftigt hat.
Hier kommt die Philosophie in Rennen: ihr geht es um die gedankliche Durchdringung von Inhalten, um die Reduzierung von Komplexität. Hier liegt die hohe Kunst, schwierige Dinge verständlich darzustellen und diese Kunst ist eine philosophische. Die Philosophie ist damit so etwas wie eine Übersetzung: die Übersetzung der Realität in die Sprache.
Literaturempfehlungen:
Deutscher, Guy: Im Spiegel der Sprache.
Schramm, Stefanie; Wüstenhagen, Claudia: Das Alphabet des Denkens.
Danke für die klaren Worte.
Als jemand der Jura studiert hat – da gibt es zu jedem Gesezestext unzählige Kommentare –
als Journalisten – da ist verständliche Ausdrucksweise aller Informations Vermittlung Anfang –
als Kommunikations Trainer kann ich mich nur für diesen Beitrag bedanken.
Der alte Cato sagte: “Rem tene, verba sequentur.” ‘Habe die Sache im Griff, dann werden die Worte folgen.’ Wer sich also mit mit einem Thema auskennt und dessen Inhalte, Strukturen und Systematik durchdrungen hat, sollte dementsprechend eigentlich verständlich darüber sprechen können.
Wenn man dazu bedenkt, dass nicht nur in der antiken, sondern wohl auch in der modernen Rhetorik die Ziele einer Rede das Belehren/Informieren (docere), das Erfreuen/Unterhalten (delectare) und das Bewegen (movere) der Zuhörer sind, lassen unverständliche Reden oder Texte nur zwei Schlüsse zu: Entweder kennen sich solche Redner nicht mit dem Thema aus, über das sie reden, und versuchen das durch unverständliches “Geschwafel” zu kaschieren oder sie wollen die Zuhörer zu etwas bewegen, das eigentlich nicht in deren Sinne sein kann, weshalb sie sich dann bewusst unverständlich ausdrücken.