Erasmus vs. Machiavelli

Leadership ist kein neues Thema. Schon in früheren Jahrhunderten machte man sich Gedanken darüber, wie ein Fürst zu regieren hat, wenn er erfolgreich und gut regieren will. Das hieß anders, war aber nichts anderes als Leadership.

Die heute berühmteste, aber auch berüchtigste Schrift ist sicherlich „Der Fürst“ (Il principe) von Niccoló Machiavelli von 1513. Dieses Büchlein machte schon damals Furore und hat lebhaften Widerspruch hervorgerufen. Unter anderem vom damals in Europa wohl anerkanntesten Denker, Erasmus von Rotterdam (1467-1536), der 1516 die „Erziehung des christlichen Fürsten“ (Institutio principis christiani) für Kaiser Karl V. verfasste, an dessen Hof er zu diesem Zeitpunkt tätig war. Dieses Buch ist vielleicht nicht so bissig und zynisch wie das Machiavellis, aber vielleicht deshalb auch heute noch durchaus lesenswert für das Thema „Führung“.

Während es Machiavelli um eine schonungslose Analyse darüber ging, wie Macht funktioniert und durchgesetzt werden kann, geht es Erasmus darum, wie Macht sich an den Werten des Humanismus und Christentums orientieren kann. Das ist vielleicht nicht so sexy wie Machiavelli, aber deshalb nicht weniger wichtig.

Was kann Erasmus heutigen Führungskräften mitteilen? Eine Auswahl.


 

“Erziehung des christlichen Fürsten”

 

Wähle die Führungskraft nach Kriterien aus, auf die es wirklich ankommt:

„In der Seefahrt vertraut man das Steuer nicht dem Vornehmsten oder Reichsten an, sondern dem Kundigsten, Wachsamsten und Zuverlässigsten. Genauso wird die Herrschaft dem übertragen, der die anderen durch staatsmännische Talente überragt, d.h. mit Weisheit, Gerechtigkeit, Maß, Voraussicht und Eifer für das Gemeinwohl sorgt.“

 

Jede Aufgabe erfordert eine entsprechende Qualifikation und Expertise. Auch Führung:

„Jedes bedeutende Können wird durch Mühe erworben. Trotzdem ist keines bedeutender und zugleich anspruchsvoller als die Kunst des Herrschens. Warum glauben wir, gerade für diese Kunst auf eine Ausbildung verzichten zu können?“

 

Macht, Weisheit und Güte gehören zusammen und sind Kennzeichen guter Führung:

„Denn Macht ohne Güte ist finstere Tyrannei; Macht ohne Weisheit erzeugt Verderben, aber keine Führung.“

 

Als Führungskraft ist einem weniger erlaubt als den Untergebenen:

„Glaube ja nicht, dass die erlaubt sei, was dir gefällt. Richte dich so ein, dass nichts gefällt, was nicht erlaubt ist, und glaube nicht einmal, dass dir das erlaubt ist, was irgendeinem Privatmann freisteht. Was für andere ein Irrtum ist, das bringt einem Fürsten Schande.“

 

Die Erasmus-Universität in Rotterdam.

Die Menschen ahmen ihre Vorgesetzten nach – im Guten wie im Schlechten:

„Es gibt keinen kürzeren und wirksameren Weg, das Verhalten des Volks zu bessern, als durch untadeligen Lebenswandel eines Fürsten. Die Menge ahmt nichts lieber nach als den Lebenswandel ihres Regenten.“

 

Was steckt hinter der Show? Oder hinter dem tollen Dienstwagen oder den Titeln?

„Wenn du ihnen den Königsornat abnimmst und sie bis auf die nackte Haut entblößest, dann bleibt nichts übrig als ein ganz pfiffiger Betrüger, ein unersättlicher Plünderer, ein Mensch, der sich an Meineiden, Wortbrüchen und Schlechtigkeiten aller Art nicht genug sein kann. … Willst du wissen, was einen König vom Schauspieler unterscheidet? Ein wahrhaft königlicher Sinn.“

 

Jede Innovation stößt auf Widerstand, auch wenn sie noch so gut ist:

„Jede Art Neuerung sollte der Fürst nach Möglichkeit vermeiden. Denn auch wenn es sich um eine Besserung handelt, erregt das Neue doch Anstoß.“




Wenn alles auf das Geld ausgerichtet ist und nur das Geld entscheidet, ob jemand erfolgreich ist, dann werden diejenigen am erfolgreichsten sein, die am geldgierigsten sind:

„Aristoteles erinnert daran, dass man Gewinne aus der Amtsführung bei den Inhabern dieser Ämter unter allen Umständen unterbinden müsste. Die habgierigsten und bestechlichsten Bewerber würden sich in den Ämtern breitmachen.“

 

Von den Guten geliebt, von den Schlechten gefürchtet:

„Gott wird von allen Guten geliebt und nur von den Schlechten gefürchtet, freilich mit einer Art Furcht, die man als Art Schaden bezeichnen muss. Genauso sollte ein guter Fürst nur für die Schuldigen und Verbrecher furchterregend sein.“

 

Größere Aufgaben – größere Verantwortung:

„Glaube nun nicht, dass du umso glücklicher bist, je ausgedehnter die Herrschaft ist, die du übernimmst. Denk lieber daran, dass du dann umso mehr Sorgen und Aufregungen auf deine Schultern lädst und dass du umso weniger Muße und Zeit für Vergnügungen hast!“

 

Vorher überlegen – und nicht hinterher jammern:

„Nachdem du dich einmal dem Staat gewidmet hast, hast du nicht mehr die Freiheit, nach deinem Geschmack zu leben; die Rolle, die du übernommen hast, musst du behalten und zu Ende bringen. Keiner kommt zum olympischen Wettstreit, der nicht vorher wohl überlegt hat, wie die Bedingungen des Kampfes sind. Er beklagt sich nicht über die Beschwerlichkeit der Hitze, des Staubes, über die Anstrengungen und was sonst dazu gehört: denn dies alles gehört ja notwendig zu den Bedingungen der Spiele.“

 

Leadership damals und heute

Erasmus von Rotterdam beschreibt einen Fürsten, der mit Vernunft und Weisheit seine Aufgaben erfüllt. Seine Herrschaft ist ein Dienst, dem er sich zu unterwerfen hat, keine Selbstverwirklichung. Es geht nicht darum, möglichst viel Macht zu erlangen, sondern darum, die Macht, die man hat, für die Sache einzusetzen. Es ist ein anderes Verständnis von Führung und von den Aufgaben einer Führungskraft, als wir es heute gewöhnt sind. Aber vielleicht deshalb umso interessanter und inspirierender.

 

Literatur:
Erasmus von Rotterdam: Fürstenerziehung.