Manchmal entscheidet sich die Geschichte in wenigen Sekunden oder in wenigen Zentimetern.

Ein Attentäter schießt auf Trump, verletzt ihn nur leicht. Wenige Zentimeter weiter wäre es tödlich gewesen.

Was wäre gewesen, wenn Trump getötet worden wäre?

Was wäre gewesen, wenn der Schütze John F. Kennedy verfehlt hätte? Oder Stauffenberg die Tasche mit dem Sprengstoff nur wenige Zentimeter verschoben hätte?

All diese Diskussionen sind müßig. Unsere Geschichte wird eben auch von Zufall und Glück regiert. Von wenigen Sekunden und Zentimetern, die entscheidend sein können, alles auf den Kopf zu stellen.

Trump wurde angeschossen. Was bedeutet das für die Zukunft? Die der USA und damit auch für uns, die wir in Europa gerade in der Sicherheit von den USA abhängig sind?


Die Ikone

Eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche und hat ja bereits in den Minuten nach dem Attentat eingesetzt: die Glorifizierung Trumps als Märtyrer.

Quelle: dpa

Und man muss neidlos anerkennen: Trump ist eine Rampensau. Nur 75 Sekunden nach den Schüssen mit blutüberströmten Gesicht die Faust nach oben zu recken, verrät einen unglaublichen Kampfeswillen und Machtinstinkt, der beeindruckend ist. Dass im Hintergrund die US-Flagge weht, ist zudem ein Zufallstreffer, wie Trump ihn sich nicht besser wünschen konnte.

Dieses Foto wird zur Ikone werden. Die Frage ist, wofür:

  • – Entweder zur Ikone eines Epochenwechsels in den USA, die mit einem Trump-Sieg einsetzen würde.
  • – Oder die Ikone des Untergangs von Trump, der die Gewalt erntet, die er viele Jahre gesät hat.

In den Stunden und Tagen nach dem Attentat schossen die Umfragewerte für Trump in die Höhe, was viele Beobachter zu der Aussage verleitete, dass die Wahl für Trump so gut wie gewonnen ist.

Auf den ersten, distanzierten Blick erscheint es eigenartig, dass jemand gewählt wird, weil man auf ihn geschossen hat. Gerade in Deutschland sollten wir das nicht als irrationalen Blödsinn abstempeln. Bei uns wurde auch jemand Bundeskanzler, weil er einmal mit Gummistiefeln durch den Schlamm stapfte.

Dennoch sollte man mit Prognosen vorsichtig sein. Es sind noch vier Monate bis zur Wahl in den USA. Bis dahin können Stimmungen wieder kippen. Zynisch betrachtet, war das Attentat für eine Wahlentscheidung noch zu früh.

Gefahren für Trumps Sieg

Trump ist in der jetzigen Situation der große Favorit für die Wahl. Was kann ihn noch gefährden?

  1. Trump selbst.

    Jeffrey Epstein (Quelle: wikimedia)

    Trump ist ein Vorbild an Kampfeswillen. Er wird die Märtyrerrolle brutalstmöglich einsetzen und hier keine Schwäche zeigen. Aber Trump ist ein Mensch, der Skandale ohne Ende produziert und eigentlich jeden Tag deutlich macht, dass er aufgrund seines Charakters überhaupt kein öffentliches Amt erhalten dürfte – geschweige denn das des Präsidenten. Diese Skandale prallen bislang völlig an seinen Anhängern ab.
    Ein Skandal ist seit 1-2 Wochen jedoch wieder nach oben gekommen, der wahrscheinlich selbst für Trumps Anhänger zu viel wäre: Jeffrey Epstein.
    Sollte zweifelsfrei belegt werden können, dass Trump Teil von Epsteins Netzwerk war, das regelmäßig mit minderjährigen Sexualpartnern versorgt wurde, hätte Trump bei seiner eigenen Klientel keine Chance mehr. Offensichtlich ist ein derartiges Vergehen das einzige, das ihm nicht verziehen würde. Was an sich schon schlimm genug ist, denn eigentlich sollten die anderen Skandale ausreichen, aber so ist eben nicht, und leider ist das Leben kein Wunschkonzert.

  2. Der politische Gegner: die Demokraten.
    Wie stehen die Chancen, dass die Demokraten Trump schlagen können?
    Auf den zweiten Blick vielleicht gar nicht so schlecht. Der Märtyrer-Effekt wird noch vor der Wahl wieder abnehmen. Er wird Trumps Anhänger mobilisieren, aber ob er neutrale Wähler ziehen kann, ist fraglich. Dafür ist Trump zu polemisierend. Aufgrund seiner vielen Skandale ist er für viele Amerikaner völlig unwählbar.

    Joe Biden (Quelle: wikimedia)

    Die Frage wird also lauten, ob die Demokraten die neutralen Wähler auf ihre Seite ziehen und viele eigene Leute motivieren können. Das ist durchaus möglich, aber schwierig. Präsident Biden wird zusehends von seinem Alter behindert, immer mehr Gerüchte über eine Parkinson-Erkrankung tauchen aus seinem Umfeld auf. Zurücktreten will er nicht und ihn herausfordern oder absägen will ihn auch (noch) keiner.
    Entsprechend stellt sich die Situation bei den Demokraten zur Zeit als Hängepartie dar: Biden ist Kandidat, aber eigentlich kann er nicht mehr und eigentlich will ihn auch keiner mehr. Dies ist keine Situation, mit der man gegen eine Kraftmaschine wie Trump bestehen kann.
    An diesem Dilemma ist kein anderer schuld als die Demokraten selbst, die es versäumt haben, neben Biden einen guten Kandidaten aufzubauen. Diese politische Kurzsichtigkeit macht es schwer, daran zu glauben, dass die Demokraten in den nächsten Wochen ihre letzte Chance ergreifen werden und 1. einen guten Kandidaten auf den Schild heben, und ihn 2. mit einem guten Wahlkampf ins Weiße Haus tragen können.



Aufgrund des bereits bislang eher schwachen Wahlkampfs der Demokraten ist es eher unwahrscheinlich, dass sie Trump in den nächsten Monaten gefährlich werden können und ihn in seinem Märtyrerstatus angreifen können. Dies könnten sie, indem sie das Foto des blutenden Trump umdeuten von einem Foto eines Märtyrers hin zum Bild eines Menschen, auf den die Gewalt zurückfällt, die er ins Land geredet hat. Ein schmaler Grat.

Trumps größte Gefahr in den nächsten Monaten dürfte daher er selbst sein. Da selbst Beschimpfungen von Kriegsveteranen, Ankündigungen diktatorischer Akte und gerichtliche Verurteilungen ihm nicht geschadet haben, könnte der Epstein-Skandal endlich die Grenze darstellen, die seine Anhänger mitzutragen nicht mehr bereit sind.

 

Was passiert, wenn Trump gewinnt?

Innenpolitisch

Bereits jetzt ist Amerikas Demokratie durch die letzte Trump-Amtszeit nachhaltig beschädigt. Insbesondere die Entscheidung des Supreme Courts, dem Präsidenten bei Amtshandlungen eine weitgehende Immunität zu gewähren, ist ein bedeutender Einschnitt in die Rechts- und Verfassungsgeschichte der USA, der auf eine faktische Diktatur des jeweiligen Präsidenten hinauslaufen kann und von Trump auch genauso ausgeführt werden wird.

Supreme Court Buildung, Washington D.C.

Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern von konservativen Denkfabriken in den USA seit über 30 Jahren geplant und durchdacht worden. Das berüchtigte Projekt 2025, das die totale Übernahme aller Institutionen durch konservativ-autoritäre Kreise und die faktische Abschaffung der Demokratie vorsieht, ist nur ein Produkt von vielen dieser Denkfabriken.

Mit anderen Worten: was wir in den USA erleben, ist nicht nur das Phänomen Trump, sondern eine konservativ-autoritäre Bewegung, die in Trump die bestmögliche Rampensau gefunden hat und sich mit einem möglichen Sieg Trumps in den verschiedenen Institutionen des Staats nahezu unausrottbar einnisten wird. Die USA drohen, ein autoritär regierter Staat zu werden.

Das bedeutet wohl nicht, dass die USA eine Diktatur wie China oder Russland werden. Es bedeutet aber, dass sie in Zeiten zurückfallen, die noch gar nicht lange her sind und in denen faktisch eine konservative, weiße Minderheit den Staat regierte. Bis in die 1960er Jahre hinein durften Schwarze nicht die weißen Schulen und Universitäten besuchen. Die Versuche der letzten Jahrzehnte, die mit Martin Luther King und vielen anderen begonnen haben, die Rassentrennung aufzuhaben und nichtweiße und ärmere Schichten stärker in das politische Geschehen einzubinden, würden zurückgedreht. Die USA würden zur Oligarchie einer weißen, wohlhabenden Minderheit. Der Rest wäre wieder Abschaum.


Außenpolitisch

Die beiden außenpolitischen Felder sind China, das die USA in seiner Vorherrschaft angreifen will, und Russland, das die Ukraine überfallen hat und Europa bedroht. In Bezug auf China ist von Trump eine sehr energische Haltung zu erwarten, in Bezug auf Russland und die Ukraine stehen viele Fragezeichen im Raum. Einerseits gilt Trump als „Buddy“ von Putin und schwärmt von ihm in höchsten Tönen. Seine Vorschläge in Bezug auf die Ukraine dürften kaum ihren Vorstellungen entsprechen. Erstaunlicherweise kommen aus der Ukraine in den letzten Monaten immer mehr Töne, dass eine Trump-Wahl für die Ukraine vielleicht sogar besser wäre als Biden.

Quelle: wikimedia

Der Grund: Biden – wie auch Scholz – gelten als zu zögerlich. Beide versagen der Ukraine wichtige Waffen „um nicht zu eskalieren“. Selbst einen Tag nach dem Angriff auf das ukrainische Kinderkrankenhaus bestätigte die Biden-Regierung, dass die Ukraine mit US-Waffen keine Ziele auf russischem Boden angreifen dürfe. Entsprechend richten sich viele Hoffnungen auf Trump, der als Dealer, der er ist, Putin vielleicht (!) ein Angebot macht und ansonsten droht – wenn dieser ablehnt – die Ukraine mit Waffen derart zu ersäufen, dass die Russen keine Chance mehr haben.
Ob Trump für die Ukraine wirklich besser ist als Biden, ist durchaus fraglich. Aber für die Ukraine gilt: mit der Biden-Regierung und ihren Einschränkungen und Verzögerungen ist ein Sieg kaum möglich. Mit Trump kann es noch schlechter, aber auch besser laufen. Nicht viel Hoffnung, aber immerhin etwas.

Was die Europäer betrifft: Trump braucht sie gegen China, will aber keine Last am Bein haben. Das heißt: Trump wird die Europäer nur dann stützen, wenn diese endlich größere militärische Verantwortung übernehmen – eine Forderung, die nüchtern betrachtet berechtigt ist und von allen (!) US-Präsidenten der letzten Jahrzehnte erhoben wurde.

Mit einem Wahlsieg Trumps wächst der Druck auf die Europäer, mehr in ihre eigene Sicherheit zu investieren. Die Wirtschaftskraft der EU übertrifft die Russlands um das Siebenfache, alleine Deutschland verfügt fast über eine doppelt so hohe Wirtschaftskraft wie Russland. Entsprechend kann man zu Recht fragen, warum sich Europa den Luxus erlaubt, die eigene Wehrhaftigkeit komplett aufzulösen und nur nach den USA zu schreien, wenn es mal brennt. Im Fall einer ernsthaften Bemühung Europas, diesen Rückstand aufzuholen, dürfte Trump an seinen Verpflichtungen gegenüber der NATO und Europa festhalten.

Die andere Baustelle betrifft die europäische Innenpolitik: demokratiefeindliche Parteien und Gruppierungen dürften sich gestärkt fühlen. Entsprechend dürften sich die europäischen Demokratien einem großen Stresstest gegenüber stehen, wenn Trump gewinnen sollte. Und Stresstest heißt hier nicht – wie bei einer Firma: wir üben mal, wie es stressig wird. Sondern dieser Stresstest der Demokratien kann ihr Ende bedeuten. Ein Blick zu Orbans Ungarn dürfte deutlich machen, wie so ein verlorener Stresstest aussieht.


Fazit

Trump hat die Wahl noch nicht gewonnen, geht aber nach dem Attentat als großer Favorit ins Rennen. Die größte Gefahr für ihn dürfte in der Epstein-Affäre liegen, die gerade neu nach oben kommt. Ob gerichtliche Verurteilungen bis zur Wahl wirksam werden können, ist fraglich. Der politische Konkurrent hat bisher kein Rezept gegen Trump gefunden und wird wohl auch keins in den nächsten Monaten finden.

Im Falle eines Wahlsiegs dürften für die Demokratie in den USA mehr als schwere Zeiten anbrechen. Die Institutionen sind bereits jetzt angeschlagen und dürften eine weitere Amtsperiode Trumps nicht als neutrale Kontrollinstanzen überstehen. Trump wird wahrscheinlich keine faschistische Diktatur errichten. Wahrscheinlich nicht. Aber er könnte es. Und auf die Selbstdisziplin eines Mannes wie Trump zu vertrauen, ist keine gute Idee.

Außenpolitisch ist nicht vorherzusagen, wie Trump in den aktuellen Krisen reagieren wird. Im Unterschied zu Biden wird er jedoch nicht zu zögerlich, sondern mit „Friß-oder-stirb“ agieren. Dass etwa die Ukraine hier eine gewisse Hoffnung hineinsetzt, ist kein gutes Urteil für Biden.

So oder so: auf Europa kommen ungemütliche Zeiten zu. Ob Trump weiter zur NATO steht oder nicht: Europa wird deutlich mehr militärisch rüsten und deutlich mehr in seine Sicherheit investieren müssen. Einige europäische Länder sind hier bereits auf einem guten Weg, Deutschland gehört nicht dazu.

Olaf Scholz, Ursula von der Leyen and Emmanuel Macron (Quelle: wikimedia)

Zudem wird sich die innenpolitische Situation in den europäischen Ländern verschärfen. Auch hier gilt es, von dem zu lernen, was in den USA passiert und darauf in das eigene Land zu schauen: Wie kann man angemessen und erfolgreich auf politischen Populismus und Extremismus reagieren? Wie kann man Kontrollinstanzen (Rechtsprechung, Presse, Verfassungsschutz) sicher machen? Wie kann man das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen? Auch hier ist ein Aufbruch oder eine Vorbereitung nur in Ansätzen erkennbar.

Oder, um es kurz zu sagen: sollte Trump gewinnen, wird er den Europäern keine Probleme schaffen, die es nicht eh schon hätte. Aber er wird sie zwingen, diese Probleme endlich anzugehen und nicht immer nur auf die USA zu hoffen. Das tut weh, ist aber so oder so bitter nötig.