Was ist Philosophie?
Das ist gar nicht so einfach. Und das ist durchaus kennzeichnend für diese Disziplin, nicht einmal kurz und einfach sagen zu können, was sie ist.
Philosophie ist ein sehr schwammiger Begriff.
Entsprechend ist der Ruf, der Philosophen oft vorauseilt.
Entweder gelten Philosophen als tiefgeistige Denker, die derart verschwurbelt und kompliziert denken, dass nur wenige Auserwählte sie verstehen können. Und sie selbst vielleicht nicht die Frage beantworten können, was denn ihr Denken mit der Welt zu tun hat.
Oder die Philosophen gelten als elende Labersäcke, die wirklich zu alles und jedem mit hochwichtiger Mimik ihren Senf dazugeben und von Talkshow zu Talkshow eilen. Und anschließend Bücher darüber schreiben, warum Talkshows schlecht sind.
Oder Philosophen sind die Lebensberater, die mit weißem Bart und überzeugt von der Kraft der Geister ihren Kunden Heilkräuter verkaufen.
Sie alle sind Verzerrungen von Philosophie, die man dann als solche identifizieren kann, wenn man der Frage nachgeht, was Philosophie eigentlich ist.
Philosophie
Vom Wortlaut her ist die Philosophie die „Liebe zur Weisheit“.
Wenn man sich unter Weisheit einen bestimmten klugen und lebenserfahrenen Umgang mit der Welt vorstellt, dann muss man bereits feststellen, dass diese notwendige Weltzuwendung nicht von allen Philosophen ernst genommen wird.
Die Philosophie soll also helfen, zu einem irgendwie besseren, klugen und tragfähigen Verhältnis des Menschen zur Welt zu kommen.
Wie macht sie das?
Erkenntnis
Wenn ich ein kluges Verhältnis zur Welt haben will, muss ich die Welt kennen.
Die Philosophie setzt an bei der Erkenntnis. Wie kann ich erkennen? Was kann Basis von Erkenntnis sein, was nicht? Wie gewichte ich das, was ich wahrnehme? Welche Erkenntnisse gewinne ich daraus und kann ich sie rational begründen? Was ist eigentlich eine rationale Begründung?
Das sind viele Fragen und es sind komplizierte Antworten.
Letztlich geht es der Philosophie darum, einen fundierten Zugang zur Wirklichkeit zu gewinnen und Kriterien der Welterkenntnis zu entwickeln.
Ethik
Das 2. Standbein der Philosophie ist die Ethik.
Eine Konsequenz der gewonnenen Erkenntnis aus der Welt ist ja die Frage, welche Auswirkungen das für den Menschen hat. Wie soll der Mensch aufgrund dieser Erkenntnisse handeln? Was ist eigentlich das Ziel seines Handelns? Was macht ein Handeln gut oder schlecht?
Die Philosophie steht auf zwei Standbeinen: der Erkenntnislehre und der Ethik.
Dabei geht es ihr nicht um bloße Wahrnehmungen oder bloße Meinungen, sondern darum, aus diesen Wahrnehmungen und Meinungen etwas Gültiges zu begründen. Die Betonung liegt auf Begründen. Es geht um Rationalität.
Rationalität ist nicht Logik. Menschliche Erkenntnis und menschliches Handeln funktioniert nicht aufgrund einer formalen Logik, weil der Mensch selbst auch nicht nach einer formalen Logik funktioniert.
Philosophie muss natürlich logisch argumentieren, aber das Fundament der Philosophie, der Mensch und sein Handeln, sind eben nicht logisch.
Wie will man beispielsweise ein Thema wie die Menschenrechte formallogisch begründen? Trotzdem sind sie gültig und trotzdem sind sie begründbar. Durch Werte, die der Mensch für sich als gültig erkannt hat und von denen aus man dann rational argumentieren kann.
Erst die Begründbarkeit macht aus einer bloßen Meinung eine philosophische Meinung.
Aufgabe der Philosophie
Welche gesellschaftliche Aufgabe ergibt sich daraus für die Philosophie?
Aus ihrer Erkenntnislehre ergibt sich die Funktion, eine Antenne zu sein: sie muss die gesellschaftliche Realität aufmerksam verfolgen und auf Entwicklungen hinweisen – und sie beurteilen -, die sonst nicht gesehen werden.
Aus ihrer Ethik ergibt sich die Funktion, diese Entwicklungen zu beurteilen: sind sie gut, sind sie schlecht?
Nehmen wir das Beispiel Homosexualität.
Früher gab es einen gesellschaftlichen Konsens, dass Homosexualität zu verurteilen ist. Ausdruck dieses Konsenses waren u.a. staatliche Gesetze, die Strafen verhängten. Natürlich gab es immer Fälle gelebter Homosexualität, die waren aber tabuisiert.
Hieraus ergab sich dann aber vor einigen Jahrzehnten die philosophische Aufgabe, diese Verurteilung zu hinterfragen. Hierzu brauchte es zwei Faktoren: zum einen ein Menschenbild, das dem Menschen das Recht zubilligte, prinzipiell selbst über seine sexuellen Neigungen bestimmen zu können. Und zum anderen eine immer stärkere gesellschaftliche Anfrage, ob das, was in den Gesetzen steht, eigentlich legitim ist.
In dem Augenblick hatte die Philosophie die Aufgabe, die Diskussion anzutreiben, die Argumente zu gewichten und zu schauen, ob das, was die Gesellschaft so annimmt, wirklich ethisch vertretbar ist oder nicht. Und dann auch in die Gesellschaft hineinzutragen, mit welchen Gründen der bisherige gesellschaftliche Konsens fragwürdig ist.
Die Philosophie kann und darf keine Entscheidungen treffen, aber sie muss der Gesellschaft helfen, zu einer guten und tragfähigen Entscheidung zu kommen.
Nehmen wir als aktuelles Beispiel den Krieg in der Ukraine.
In den letzten Jahrzehnten hat sich in der deutschen Gesellschaft – auch aufgrund der Erfahrungen des II. Weltkriegs – der Konsens entwickelt, dass eine militärische Auseinandersetzung nie ein Mittel der Politik sein darf. Konsequenz davon war u.a. die militärische Abrüstung. Dieser Konsens ist in den letzten Monaten ins Schlingern geraten, da durch den Angriff Russlands auf die Ukraine sehr konkret erfahren wurde, dass man auch ohne eigenen Willen in einen militärischen Konflikt gezwungen werden kann.
Aufgabe der Philosophie ist es nun, die Konsequenzen zu reflektieren. Ist es legitim, dem Angegriffenen militärisch beizustehen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die eigene Wehrfähigkeit?
Diese Beispiele zeigen auch eines: Philosophie ist immer zeit- und gesellschaftsabhängig. Die Philosophie hat die Aufgabe, die Fragen der jeweiligen Zeit in Begriffe zu kleiden und mögliche Antworten zu diskutieren – rational und begründet.
Aus dieser Abhängigkeit von Zeit und Gesellschaft ergibt sich auch die Tatsache, dass die Philosophie nie fertig ist. Weil immer neue Fragen auftauchen. Weil alte Antworten ihre Gültigkeit verlieren oder neu begründet werden müssen. Weil eine neue Antwort immer neue Fragen hervorbringt.
Die Philosophie begleitet, fördert und schärft einen gesellschaftlichen Diskussionsprozess. Sie nimmt sensibel gesellschaftliche Veränderungen und Neubewertungen wahr und versucht sie einzuordnen und rational zu bewerten.
Wo dieser gesellschaftliche Diskussionsprozess nicht möglich ist, gibt es auch keine funktionierende Philosophie. In autokratischen Staaten – seien sie religiöser oder nichtreligiöser Natur – mag es Ideologen geben, die sich Philosophen nennen: eine philosophische Kultur ist nicht möglich und kann nur in freien Gesellschaften gedeihen.
Philosophie in der Öffentlichkeit
In Deutschland ist das öffentliche Engagement der Philosophen vergleichsweise gering. Während sich in anderen Ländern die bekannten Philosophen stark in die öffentlichen Debatten einbringen und die philosophischen Fakultäten sogar oft einige Professoren offiziell mit „öffentlicher Philosophie“ beauftragen, zeigt die universitäre Philosophie in Deutschland relativ wenig öffentliche Präsenz.
Dies liegt teilweise an mangelndem Interesse oder auch an Standesdünkel – was zusammenhängt. Zumindest ist die weitverbreitete Haltung, dass ein Philosoph kein Niveau hat, wenn er sich in der Öffentlichkeit verständlich äußert, nicht unbedingt förderlich für eine öffentliche Präsenz. Stattdessen sind Philosophen aus der 2. Reihe oder Seiteneinsteiger oft in den Medien präsent, die nur wenig philosophische Expertise mitbringen. Was man ihnen nicht zum Vorwurf machen sollte, sondern denen, die Expertise haben, aber kein Interesse, diese über Fachkreise hinaus zu äußern.
Die Folge ist, dass man als Philosoph mit seiner Tätigkeit in Deutschland deutlich erklärungsbedürftiger ist als in anderen Ländern. Dort muss man nicht erklären, was ein Philosoph eigentlich macht, weil es in den öffentlichen Debatten deutlich sichtbarer ist als in Deutschland.
Was ist Philosophie?
Sie ist eine dauerhafte Aufgabe. Sie ist der Versuch, das professionell und mit wissenschaftlichem Anspruch zu betreiben, was jeder Mensch tut: sich selbst in der Welt einzuordnen, in der er lebt. Die Wissenschaftlichkeit beginnt da, wo diese Einordnung auf ihre Regeln und Methoden hin untersucht wird und dabei auch eine neue Einordnung entstehen kann.
Damit erfüllt die Philosophie einen großen, sehr umfassenden Auftrag, der sie angreifbar und unverzichtbar zugleich macht.