Vor etwa zwei Wochen wurde ein Politiker der Linken in einer Talkshow über mögliche Waffenlieferungen an die Ukraine befragt.
Sein empörter Ausruf: „Nennen Sie mal ein Beispiel dafür, dass Waffenlieferungen etwas gebracht hätten!“
Kein Problem.
Ohne Waffenlieferungen der USA hätten weder Großbritannien noch die Sowjetunion eine Chance gehabt gegen Nazi-Deutschland. Ich vermute mal, dass auch der Linken-Politiker diesen Kriegsverlauf durchaus begrüßt.
Noch spannender als dieser Hinweis wäre die Gegenfrage, wann der Verzicht auf Waffen mal einen Krieg verhindert hat.
Waffenlieferungen?
Seit mehreren Wochen zieht Russland massive Truppenverbände an den Grenzen zur Ukraine zusammen. Die Rolle des Aggressors ist eindeutig, zumal es ja eigentlich nicht um die vielbeschworene Nebelkerze geht, ob Russland einen Puffer gegenüber dem Westen braucht, sondern darum, ob ein unabhängiges Land gezwungen werden darf, zu einem Puffer zu werden.
Es soll jetzt gar nicht um die Spielchen gehen, die Putin mit dem Westen spielt – und der Westen mit sich spielen lässt (vgl. den Blog “Der Westen und Putin“), sondern um die Frage, ob es legitim ist oder nicht, der Ukraine Waffen zu liefern.
Gerade in Deutschland führt dies zur erregt geführten Diskussion, ob man in einem derartige Fall Waffen liefern darf. Ist es eine Provokation, die noch mehr zum Krieg reizt oder ist es ein Angleichen der Kräfte, das den Krieg verhindert?
In Deutschland wird gerne auf die Geschichte verwiesen und auf die Verantwortung, die sich aus dieser Geschichte ergibt. Doch ergibt sich aus der Geschichte Deutschlands ein Verzicht auf Waffen? Ein absoluter Pazifismus?
Eigentlich eher das Gegenteil.
Man muss feststellen, dass das Naziregime weder freiwillig zurücktrat noch intern weggeputscht wurde, sondern militärisch besiegt wurde. In der historischen Forschung wird noch immer (oder wieder) darüber gestritten, ob die Appeasement-Politik des britischen Premiers Chamberlain ein völliges Versagen war oder notwendig war, um die nötige Zeit für die eigene Rüstung freizuschaufeln, Fakt ist, dass es nicht möglich war, Adolf Hitler mit Worten von seinem Kriegskurs abzubringen.
Gerade der richtige Hinweis auf die deutsche Geschichte und der sich daraus ergebenden Verantwortung lehrt nicht, dass militärische Rüstung und im Notfall militärisches Handeln die einzigen Alternativen sind, um noch größeres Unrecht zu verhindern.
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es nicht möglich war, Diktatoren oder Aggressoren nur durch Worte von ihrem Kriegswunsch abzubringen. Dies gelang nur mit entsprechenden militärischen Drohungen, die dem Aggressor deutlich machten, dass ein Krieg einfach zu riskant ist.
Nicht anders funktionierte die einmalig lange Friedenszeit in Europa nach dem II. Weltkrieg, die man eigentlich „kalter Friede“ nennen müsste.
Gewaltlosigkeit?
Gibt es Gegenbeispiele?
Oft genannt wird Mahatma Gandhi, der wie kein anderer für den gewaltlosen Kampf steht und auf diese Weise Indien befreit hat. Schauen wir genau hin. Worum ging es?
Es ging um die Unabhängigkeit Indiens, das von Großbritannien besetzt war. Der gewaltlose Widerstand gegen Großbritannien konnte deshalb glücken, weil Großbritannien ein demokratisches Land mit einer liberalen Öffentlichkeit war, die nicht gewillt war, einen Krieg in Indien zu akzeptieren.
Das heißt, ein gewaltloser Widerstand kann gegen ein Land gelingen, in dem die militärische Führung gegenüber einer freien Öffentlichkeit rechtfertigen muss bzw. die Öffentlichkeit gegen den Krieg ist.
Nun muss man in autokratisch regierten Ländern erst einmal davon ausgehen, dass die Öffentlichkeit erst spät oder nie in der Lage sein wird, sich gegen den Krieg aufzulehnen, schon alleine, weil jahrelange Propaganda wirksam ist.
Verhinderung von Krieg
Es gibt zwei Faktoren, die einen Aggressor davon abhalten, ein anderes Land zu überfallen:
- Das militärische Risiko ist zu groß. Dafür braucht es eine glaubwürdige Abschreckung.
- Die eigene Bevölkerung will keinen Krieg und geht auf die Barrikaden. Dazu braucht es eine Gesellschaft, die in der Lage ist, sich gegen die Regierung aufzulehnen. Die Frage ist, ab wann eine Bevölkerung in einer Diktatur dazu in der Lage ist. Das lange Durchhalten der Bevölkerung in Nazi-Deutschland hat hier nicht allzu optimistisch gemacht.
Es gibt einen Faktor, der keinen Aggressor davon abhält, ein anderes Land zu überfallen:
- Warme Worte.
Waffen
Nicht jede Waffe dient dem Frieden. Deutschland treibt Waffenhandel mit Ländern wie Saudi-Arabien oder Ägypten. Eine andere Motivation als wirtschaftliche Interessen ist hier nicht erkennbar, der Erhalt des Friedens ist es bestimmt nicht.
Bei allem Unheil, das Waffen in der Welt anrichten, darf aber nicht vergessen werden, dass Waffen und militärische Rüstung notwendig sind, eine friedliche Stabilität zwischen den Ländern zu erhalten. Das Reden des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, dass mit dem Ende des Kalten Krieges das „Ende der Geschichte“ im Sinne des Endes einer Geschichte von Kriegen und Konflikten gekommen sei, war schlicht und einfach naiv.
Schon die alten Römer sagten: “Si vis pacem, para bellum” / “Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor!” Hinter diesem Zitat steckt eine lange geronnene historische Erfahrung.
1994 hat sich die Ukraine entschlossen, sämtliche Atomwaffen abzugeben. Unter anderem Russland garantierte damals den Bestand der Ukraine, um auf diese Weise diesen Schritt zu einer waffenärmeren Welt zu würdigen. Das Ergebnis ist bekannt.
Frieden
Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich in einem Land zu einer Zeit geboren wurde, in der es keinen Krieg gab. Darüber bin ich glücklich, weil ich aus der Geschichte weiß, dass dieser jahrzehntelange Zustand einmalig ist und keine Generation sonst dieses Glück hatte.
Ich musste nie aus Angst vor Bombern in den Keller laufen, ich musste nie Angst haben, dass Angehörige irgendwo in der Ferne erschossen oder von Panzern überrollt werden, ich musste nie Angst haben, dass fremde Truppen durch meinen Ort ziehen, alle Häuser zerstören, die Frauen vergewaltigen und auf alles schießen, was sich bewegt.
Dieses Glück habe ich. Meine Vorfahren hatten es nicht und viele Menschen, die heute leben, auch nicht. Angesichts des Elends, was ein Krieg konkret für die Menschen bedeutet, gilt es, auf das zu schauen und das zu machen, was effektiv einen Krieg verhindern kann, was effektiv einen davon abschrecken kann, seinen Soldaten den Marschbefehl zu erteilen.
Angesichts dieses Elends nur auf die Stärke der eigenen Worte und auf das hohe Ideal der Waffenlosigkeit zu vertrauen, ist eine zynische Wette mit dem Leben vieler anderer, die historisch gesehen noch nie gut ging und wohl auch nicht gut gehen wird.
Liebe zum Frieden braucht Ideale. Aber auch Realismus.
“An appeaser is one who feeds a crocodile – hoping it will eat him last.”
Winston Churcill
Das ist alles korrekt. Jetzt können wir nur noch hoffen und beten.