Heute, am 22. April, jährt sich der Geburtstag von Immanuel Kant zum 300. Mal. Er wurde am 22. April 1724 in Königsberg geboren. Dieses Jubiläum ist Anlass genug, einen Blick auf diesen Mann zu werfen, der ohne Zweifel einer der größten und bedeutendsten Denker der Geschichte war und ohne den unsere Welt eine andere wäre. Eine schlechtere.
In den letzten Jahren gibt es verstärkt Kritik an Kant und den Vertretern der Aufklärung. An Kant selbst wird der Vorwurf gerichtet, er sei ein Rassist gewesen.
In der Tat gibt es von ihm einige Äußerungen, die rassistisch klingen oder zumindest deutlich machen, dass er sich nicht von allen rassistischen Stereotypen seiner Zeit lösen konnte. Die Frage ist jedoch, wie sehr man einen Menschen, der vor einigen Jahrhunderten gelebt hat, nach heute gültigen Maßstäben beurteilen kann. An die damals noch keiner dachte. Und die für sein Gesamtwerk gar keine Rolle spielen.
Schwerer wiegt hingegen der Vorwurf, der sich mit Kant an alle Aufklärer richtet: dass die Aufklärung ein europäisches Projekt sei, dass für Nichteuropäer als eine koloniale Beeinflussung anzusehen sei.
Nun kann man schon fragen, inwiefern der zentrale Wunsch der Aufklärung nicht für alle Menschen auf der Welt gültig sein sollte?
Sind nicht alle Menschen frei und gleich geboren und sollen nicht alle Menschen durch Bildung auch in die Lage versetzt werden, frei und mündig über ihr Leben zu entscheiden? (Vgl. auch den Blog: “Menschenrechte: nur eine Sache des Westens?”)
300 Jahre nach seiner Geburt: Was hat diesen Mann so bedeutend gemacht? Dass wir sagen können: unsere Welt heute wäre eine andere ohne Kant?
Die “kopernikanische Wende”
Kant selbst hat seine Philosophie eine „kopernikanische Wende“ genannt und als solche hat sie alles auf den Kopf gestellt.
Was verbirgt sich hinter seiner „kopernikanischen Wende“?
Nikolaus Kopernikus war ein Mathematiker und Astronom, der um 1500 lebte. Er hatte das Weltbild der Menschen damals revolutioniert, weil er nachwies, dass nicht die Sonne um die Erde kreist, sondern umgekehrt die Erde um die Sonne. Die Erde war damit nicht mehr – wie bis dahin gedacht – der Mittelpunkt der Welt. Und damit war der Mensch es auch nicht mehr.
Diese „Kopernikanische Wende“ hat die Perspektive des Menschen und damit auch sein Selbstverständnis grundlegend geändert.
Die Philosophie Kants hat dies ebenfalls getan und deshalb spricht man bei seiner Philosophie von einer „kopernikanischen Wende“: ein Perspektivwechsel, der alles auf den Kopf gestellt hat.
Was war das für ein Perspektivwechsel?
Es geht um die urphilosophische Frage, wie man zu einer sicheren Erkenntnis kommen kann. Bis dahin hatten die Philosophen auf einen Gegenstand geblickt und sich über folgende Frage zerstritten:
- – Die einen fragten: beruht unsere Kenntnis von diesem Ding auf unserer Wahrnehmung? Ist Erkenntnis also empirisch?
- – Die anderen stellen fest, dass diese Wahrnehmung eine doch etwas wackelige Angelegenheit sei und fragten: beruht unsere Kenntnis von diesem Ding auf dem, was wir logisch schließen können? Ist Erkenntnis also rationalistisch?
Kant sagte diesen beiden: ihr habt beide recht, liegt aber trotzdem falsch. Eure Perspektive ist das Problem. Eure Erkenntnis richtet sich aus an den Gegenständen.
Aber eigentlich richten sich die Gegenstände an eurer Erkenntnis aus.
Das heißt: die Grundlage eurer Erkenntnis ist nicht der Gegenstand selbst, sondern das Bild, das ihr von ihm habt. Eure Vorstellung. Eure Wahrnehmung. Eure Verarbeitung.
Das Individuum
Der subjektive, je eigene und persönliche Zugriff auf die Welt ist Dreh- und Angelpunkt des Wissens über die Welt. Natürlich gibt es unabhängig von unseren Vorstellungen die Welt an sich oder die Gegenstände selbst. Aber sie können in dieser Reinform nicht zur Basis unserer Erkenntnis werden, weil wir sie nie in ihrer „Reinform“ wahrnehmen können, sondern immer nur in unserem persönlichen individuellen Zugriff. Es gibt all diese Dinge, aber wir können uns nur über das äußern und als Erkenntnis gewinnen, was zu unserer Vorstellung geworden ist.
Damit will Kant nicht plump sagen: jeder sieht seine eigene Welt und alles ist irgendwie egal.
- Denn in diesen vielen individuellen Zugängen zur Wirklichkeit werden Gemeinsamkeiten sichtbar: sie tauchen auf in unseren Denkstrukturen, in der Art und Weise, wie wir Menschen die Wirklichkeit verarbeiten, in der Logik. Kant spricht hier von „Erkenntnissen a priori“: sie stecken in uns drin und sind völlig unabhängig von jeder Erfahrung der Außenwelt.
- Daneben, so Kant, gibt es die „Erkenntnisse a posteriori“: es sind die empirischen Erkenntnisse, die wir konkret in unserem Leben gewinnen. Auch hier tauchen Strukturen und Gemeinsamkeiten auf, die allgemeingültig sind.
Jede Art von Erkenntnis ist abhängig von diesen beiden Erkenntnisweisen und hier wird deutlich, dass Kant in keinen plumpen Individualismus verfällt.
Trotzdem ist Kant Erkenntnislehre natürlich eine Stärkung der Bedeutung des Individuums und hier liegt die große historische Bedeutung der „kopernikanischen Wende“ Kants.
Erkennen heißt nicht, sich mit einem Gegenstand zu beschäftigen, sondern mit dem, was wir aus diesem Gegenstand machen.
Kant heute
Diese kopernikanische Wende hat in vielen Dingen unser Bild vom Menschen und damit auch unsere Gesellschaften verändernd – und diese Veränderungen sind bis heute wirksam.
Kant hat verändert, wie wir über Erkenntnis und Wissen nachdenken – und hat damit wichtige Fundamente für unser heutiges Wissenschaftsverständnis gelegt.
Kant hat ganz entscheidend das Bild des modernen Menschen geschaffen.
Kopernikus hatte damals mit seiner Wende dafür gesorgt, dass der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt der Welt ist.
Kant hat mit seiner Wende dafür gesorgt, dass der Mensch der Mittelpunkt seiner Welt ist. Seiner Welt, die er erkennen und die er gestalten kann.
Kant erschafft das Bild eines Menschen, der in der Lage ist, mit den Mitteln der Vernunft und des Verstandes sich und seine Welt besser zu machen.
Der Mensch ist nicht nur dem ausgeliefert, was er vorgesetzt bekommt – sondern er kann sich davon freimachen, den Dingen auf den Grund gehen. Der Mensch ist nicht mehr nur ein Opfer seiner Umstände, sondern er kann sich und die Welt gestalten – erkennend.
Die Vernunft und die Erkenntnis sind die Werkzeuge, mit denen wir die Welt verändern können. Und der Ort, an dem diese Werkzeuge ansetzen müssen, Vernunft und Erkenntnis: sind wir selbst.
Genau hier beginnt das, was Kant Aufklärung genannt hat.
Damals wie heute ein großes Projekt, auch 300 Jahre nach seinem Geburtstag.
Literaturempfehlungen:
Kühn, Manfred: Kant: Eine Biographie.
Schnädelbach: Kant. Eine Einführung.
Willaschek, Marcus: Kant. Die Revolution des Denkens.