Vor einigen Tagen wurde ein Podcast mit Richard David Precht veröffentlicht. In diesem ging es um den Umgang mit China und hier ging Precht gegen Außenministerin Baerbock in die Vollen:

„Was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist. … unter normalen Bedingungen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum gekriegt. … mit dem moralischen Inbrunst einer Klassensprecherin …“

An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, wie richtig Baerbock in ihrer Einschätzung des Ukrainekriegs lag – im Unterschied zu Precht, der seine eigene Einschätzung mittlerweile mit einem „konnte ja keiner damals ahnen“ revidieren musste. Insofern zeugt das schon von einer gewissen Dreistigkeit, die Außenministerin in diesem Terrain anzugreifen, aber das lasse ich mal so stehen und würde auch keinen Blog draus machen.

Interessanter finde ich Prechts Hinweis auf die „moralische Inbrunst“. Was er damit meint, führt er ebenfalls aus: es geht um den Umgang mit den „westlichen Werten“:

„Warum können wir die Chinesen nicht in Ruhe lassen. Die haben doch ein Recht, ihren Weg zu gehen.“

Ja?


 

Werte als Kolonialismus?

Diese Meinung höre ich recht oft, auch im politischen Raum. Ist es legitim, die Wertvorstellungen des Westens als Maßstab für die ganze Welt zu nehmen? Ist das nicht Fortsetzung des Kolonialismus? Baerbock spricht von „wertegeleiteter Außenpolitik“. Ist das legitim?

Ähnlich heißt es in der Wirtschaft: die hiesigen Arbeitsbedingungen sind nicht überall übertragbar. Es ist nicht unsere Aufgabe, in fremden Ländern über Menschenrechte zu reden.

Fanal dieser Haltung war sicherlich die letzte Fußballweltmeisterschaft in Qatar, wo einzelne Länder – auch Deutschland – auf die miese Menschenrechtslage in Qatar hinwiesen und damit eine üble Bauchlandung erlitten haben, auch in der deutschen Öffentlichkeit.

Sind die Menschenrechte Werte des Westens? Und ist es legitim, sich für die weltweite Durchsetzung dieser Werte einzusetzen?

 

Vereinte Nationen

Die Antwort ist auf den ersten Blick eindeutig: die Menschenrechte sind festgeschrieben in der “Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte” der Vereinten Nationen von 1948: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“

Diese Menschenrechte beinhalten die Freiheit und Sicherheit der Person, den Schutz vor Diskriminierung, das Verbot von Folter und Sklaverei, die Gleichheit vor dem Gesetz.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist eine Weiterführung der Charta der Vereinten Nationen, die in ihrer Präambel vom Glauben an die Menschenrechte als wesentlicher Motivation der Gründung der Vereinten Nationen spricht.

Mit anderen Worten: die Menschenrechte sind offiziell von allen in den Vereinten Nationen vertretenen Staaten anerkannt. Damit ist es nicht nur legitim, sondern sogar geboten, eine Politik zu betreiben und auch gegenüber anderen Staaten einzufordern, die diesen Grundsätzen entspricht.


Menschenrechte nur da, wo sie entwickelt wurden?

Diese Grundrechte sind in der Tat eine Entwicklung des sog. Westens. Sie sind das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses und wurden erstmals 1776 in der Unabhängigkeitserklärung der USA und 1789 in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution proklamiert. Die Menschenrechte sind eine Erfindung des Westens.

Aber sind sie daher nicht gültig für Menschen in anderen Ländern? In Riad? In Peking? In Moskau? Findet es etwa ein Mann in Teheran gut und seiner Kultur entsprechend, dass er aufgehängt wird, weil er homosexuell ist? Ist es für jemanden in Kairo in Ordnung, dass er nachts verhaftet und in einen Folterkeller gesteckt wird, weil er im Internet den Regierungschef kritisierte? Ist es für einen Uiguren in Ordnung, in ein Umerziehungslager gesteckt zu werden? Ist es für ein Mädchen in Afghanistan angemessen, ausgepeitscht zu werden, weil sie eine Schule besuchen will?

Weltweit wird gegen die Menschenrechte verstoßen, werden Menschen verfolgt, getötet und gefoltert. Ist es legitim, all diesen Menschen zu sagen: das ist ok für dich, weil deine Kultur die Menschenrechte nicht erfunden hat?

Indem wir diese Erzählung der nur im Westen gültigen Werte übernehmen, übernehmen wir nur die Erzählung jener Machthaber, die ihre eigenen Bevölkerungen quälen wollen. Vielleicht es einfacher so. Vielleicht ist es wirtschaftlich vorteilhafter. Vielleicht sichert es die deutsche Gasversorgung. Aber ist es legitim gegenüber den Menschen in diesen Ländern?

Wenn jemand – wie Precht etwa – behauptet, dass diese Machthaber das Recht haben, ihre Bevölkerungen zu töten und zu foltern, gesteht auch Hitler das Recht zu, Auschwitz zu errichten.

 

Wertegeleitet

Wertegeleitete Außenpolitik darf nicht bedeuten, den Ländern den Krieg zu erklären, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Es bedeutet aber, diesen Ländern nicht zu vertrauen. Warum sollten sie sich an irgendwelche Versprechen und Verträge halten, wenn sie die grundlegenden Verträge der Vereinten Nationen nicht erfüllen? Es ist naiv das zu glauben. Wie es auch für Wirtschaftsunternehmen naiv ist, zu glauben, dass in diesen Ländern Eigentumsrechte gesichert seien. Warum sollten diese Regierungen politische und wirtschaftliche Partner besser und fairer behandeln als ihre eigene Bevölkerung?

Man kann diesen Ländern keinen Krieg erklären. Aber man muss ihnen auch nicht in den Hintern kriechen.

Wertegeleitete Außenpolitik bedeutet, in der Überzeugung der allgemeinen Gültigkeit der Menschenrechte diesen Ländern gegenüberzutreten und sich im Rahmen des Möglichen für diese Menschenrechte einzusetzen. In dem Glauben, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, in Sicherheit und ohne Angst vor der Folterzelle leben zu können. Aber auch in dem Wissen, dass es für einen selbst früher oder später nach hinten losgeht, den falschen Partnern zu vertrauen. Grüße aus Russland.

Die Rechte der Staaten gegenüber den Menschen, die in ihnen leben, sind nicht absolut. Jeder Mensch hat eine Würde und ein Recht darauf, sein Leben ohne Angst vor Folter führen zu können. Jeder Mensch, nicht nur der, der im Westen geboren wurde.