Philosophen und Unternehmensberater: eine kleine Typologie
Die beiden Felder Philosophie und Unternehmensberatung scheinen auf den ersten Blick getrennten Welten anzugehören. Dennoch teilen sich ein gemeinsames Schicksal: das Schicksal, das beide nicht sehr klar definiert sind, daher schwammig und ungenau. Was dazu führt, dass sich schnell Karikaturen in den Köpfen der Menschen festsetzen – was menschlich durchaus sympathisch ist, aber den karikierten Disziplinen nicht unbedingt weiterhilft.
Man möge eine spontane Umfrage auf der Straße starten, was ein Philosoph ist.
Es ergäbe sich zumeist das Bild eines bärtigen Mannes, der in einer Höhle lebt, dort den ganzen Tag meditiert, in tiefer Einheit mit Natur und Tieren und der seine Besucher, die sich ratsuchend an ihn wenden, mit weisen Sprüchen beglückt.
Die Gegenprobe über den Unternehmensberater wäre ähnlich spannend.
Hier würde folgende Person geschildert: ein hektischer, junger Mann mit stark gegeltem Haar, BWL-Studium, Maßanzug und Aktentasche, der schnell in seinem Sportwagen vorgefahren kommt, schnell in die Firmenzentrale hechtet, dort keinen Stein auf dem anderen lässt und schnell wieder wegbraust, während die Zurückgebliebenen die Trümmer sortieren müssen.
Beide beschriebenen Typen sind Karikaturen ihrer Zunft – auch wenn es sie durchaus geben mag. Dennoch sind es verzerrende Karikaturen, weil sie wieder dem gerecht werden, was Philosophie eigentlich ist, noch dem, was Unternehmensberatung ist.
Unternehmensberatung: die Entdeckung des Humanen und der Philosophie
Gerade im Feld der Unternehmensberatung hat sich in den letzten Jahrzehnten vieles geändert. Während die klassische Unternehmensberatung auf einer betriebswirtschaftlichen Analyse des Unternehmens oder einer bestimmten Marktsituation basiert, hat sich neben dieser „harten“ Unternehmensberatung ein weites inhaltliches Feld etabliert, das grob gesprochen weniger die Zahlen des Unternehmens als vielmehr die Menschen im und um das Unternehmen in den Blick nimmt. Die humane Komponente spielt in der Beratungspraxis eine immer größere Rolle, weil völlig berechtigt erkannt worden ist, dass ein Unternehmen oder allgemeiner eine Organisation nicht nur aus Zahlen besteht, sondern primär aus den Menschen, die für die Zahlen sorgen. Die Dienstleistungen dieser „weichen“ Unternehmens- und Organisationsberatung reichen vom Coaching und Training der Führungskräfte oder Mitarbeiter bis hin zu Sozialanalysen der Unternehmenskultur oder der Marktsituation.
In diesem Gewusel von Betriebs- und Volkswirten, Bankern, Rhetorik-, Schlagfertigkeits- und Motivationstrainern, Kultur-, Kommunikations- und Sozialwissenschaftlern, Psychologen und Kaufleuten tummelt sich zusehends eine weitere Berufsgruppe: die Philosophen. In anderen Ländern – wie etwa in Frankreich – werden Philosophen von großen Unternehmensberatungen mittlerweile gezielt von der Universität abgeworben. In Deutschland ist man noch nicht so weit, aber auch hier tauchen immer mehr Philosophen in den Beratungsunternehmen auf. Roland Berger, einer der aktuell bedeutendsten Unternehmensberater, begründete dies mit der Fähigkeit der Philosophen „querdenken zu können“.
Die Philosophen gelten damit als Leute, die eben nicht betriebs- oder fachblind sind, sondern die in der Lage sind, die Dinge neu zu denken und dieses „Neu-Denken“ ist sehr wichtig für die Unternehmen, denen es gerade im Verlauf von Veränderungsprozessen darum gehen muss, alte und ausgetretene Pfade zu verlassen und sich selbst „neu“ zu denken.
Doch die Bedeutung der Philosophie für die Praxis der Unternehmens- und Organisationsberatung beschränkt sich nicht nur auf den Exoten, der für den frischen Wind und neue Ideen zuständig ist; sie ist umfassender, weil auch die Philosophie selbst umfassender ist.
Philosophie als Aufbruch des Denkens
Die Philosophie ist etwa um das Jahr 600 v. Chr. im antiken Griechenland entstanden. Mit ihr ist eine neue Art des Denkens entstanden: sie ist der Versuch, die Welt vernünftig und rational zu erklären. Damit hat sie die Welt in einer völlig anderen Art und Weise erklärt als bis dahin üblich.
Bis dahin waren es religiöse, mythologische oder kulturelle Vorstellungen, die alles dominiert haben, auch die Sicht auf die Welt. Nun wird auf einmal nach rationalen Begründungen gesucht und schon bricht eine geistige Revolution aus, die dazu führt, dass der Mensch hellwach nach logischen Begründungen sucht, mit denen er sich die Welt erklären kann. Diese neue Wachheit führt zu großen Erfindungen, zu naturwissenschaftlichen Entdeckungen, zu einer neuen Einschätzung, was eigentlich der Mensch ist, und damit zu dem Denken, das wir heute als unser europäisch-abendländisches Denken ansehen.
Philosophie in der Unternehmensberatung
Aus der Tatsache, dass in der Philosophie die Wurzel unserer Vernunft und unserer Rationalität liegt, leitet sich eine große Möglichkeit ab, die die Philosophie für die unternehmerische Beratung noch nicht besitzt, aber besitzen kann.
Die Situation eines Unternehmens ist ausgesprochen komplex, viele Faktoren spielen hier hinein und beeinflussen sich gegenseitig. Damit ein Unternehmen überhaupt agieren und re-agieren kann, muss es verstehen, in was für einer Situation es sich befindet. Die Philosophie bietet die Möglichkeit, die verschiedenen Faktoren nach rationalen Kriterien zu gewichten und so die Grundlage dafür zu schaffen, dass ein Unternehmen angemessen und überlegt handelt.
Die Stärke der Philosophie liegt weniger in der konkreten Durchführung von Veränderungen; sie besteht vielmehr in dem, was den Veränderungen vorausgeht: dem Nachdenken, dem rationalen Überlegen darüber, was eigentlich die Situation ist und welche Möglichkeiten sich aus dieser Situation ergeben.
Hierbei kommt der Philosophie das zugute, was ihr oft als Schwäche ausgelegt wird: nicht konkret zu sein und überall mitzureden. Die Philosophie liefert kein Fachwissen. Der Philosoph ist ohne die Aneignung von zusätzlichem Fachwissen erst einmal nicht in der Lage, zu beurteilen, woran der Fachkräftemangel liegt oder ob es sinnvoll ist, Schrauben in Ecuador zu produzieren.
Aber er ist in der Lage, die für die richtige Entscheidung relevanten Faktoren zu beurteilen und das Zusammenspiel der einzelnen Elemente zu strukturieren. Hier kann die Philosophie gegenüber den einzelnen Fachdisziplinen ihre ganze Stärke entfalten und hier liegt auch ihre große Möglichkeit in der Beratung von Unternehmen und Organisationen.
Danke für diesen informativen Beitrag zum Verhältnis von Philosophie und Unternehmensberatung! Die Herausforderung besteht also darin, möglichst konkret zu sein, um den passenden Unternehmensberater zu finden. Dieser sollte also in einer goldenen Mitte zwischen einer Philosophie und konkreten Handlungsaufgaben agieren. Oder ist das anders zu verstehen?
Interessant, dass Sie Philosophie und Unternehmensberatung miteinander verbinden. Ich verstehe die Verbindung, die Sie machen. Vor allem, dass Sie Diogenes mit einem Unternehmensberater vergleichen, finde ich lustig.
Ich stimme zu, dass man im ersten Moment denken würde, dass dies zwei unterschiedliche Welten sind. Ich kenne jedoch mehrere Philosophen, die nun in der Unternehmensberatung tätig sind. Wenn man darüber nachdenkt ergibt es Sinn: im Studium lernt man viel über das logische Denken.