Disruption, VUCA, Change Mangement: Begriffe, die für die immer wieder notwendigen Veränderungen stehen, denen sich die Unternehmen immer neu stellen müssen und die für immer neues Chaos und für immer neue Unruhe sorgen.

Es gilt das Motto: Erneuerung um jeden Preis, wer stehen bleibt ist tot! Entsprechend hektisch werden Veränderungen durchgeführt und dies oft nicht nur unter Opferung des Betriebsfriedens, sondern manchmal auch des ganzen Unternehmens.

Der Wille zur Veränderung ringt oft mit dem Willen zur Beharrlichkeit: der Wunsch nach neuen Zeiten, nach Innovationen und Visionen scheitert oft an einem trockenen „Blödsinn! Das haben wir immer schon so gemacht!“

 

Innovation und Beharren, Neues und Altes scheinen sich in einem immer neu aufflackernden Streit zu befinden, der nie gelöscht werden kann. Hier ist der entscheidende Moment, der notwendige Veränderungen im Unternehmen gelingen oder scheitern lässt. Ein Unternehmen kann sich genauso zu Tode verändern, wenn es seine eigene Vergangenheit, sein eigenes Profil und seine eigene Identität nicht mitnimmt, kann aber auch unsanft entschlafen, wenn es nur noch in der Vergangenheit lebt und das eigene Profil zu einem bröckelnden Denkmal wird.


Reformation!

Wie kann Neuerung gelingen? Wie kann das Verhältnis von Neu und Alt aussehen, dass wirklich etwas Neues, Tragfähiges entsteht, das im Alten eine gute Basis hat?

Werfen wir einen Blick auf die großen Reformer der Geschichte. Da fällt etwas auf.

Martin Luther (1483-1546), Quelle: www.wikipedia.org

Nehmen wir Martin Luther. Er hat im 16. Jahrhundert das Christentum reformiert und eine dauerhafte und lebensfähige neue Art des Christentums geschaffen. Dies kann man aus katholischer Perspektive bedauern, aber man muss anerkennen, dass Luther mit diesem Anliegen erfolgreich war.

Was auffällt: Luther war kein „Externer“ gewesen, er war katholischer Mönch. Er kannte die katholische Kirche aus dem Innersten. Und war deshalb in der Lage, sie auf den Kopf zu stellen.

In dem Wort “Reformation” steckt das lateinische Wörtchen “Re”. Dieses Wörtchen bedeutet: Zurück! Eine Veränderung ist immer auch die Perspektive nach hinten, die genaue Kenntnis dessen, was da ist.

 

Gehen wir weiter zurück: Paulus. Er war derjenige, der das Christentum aus dem Judentum löste und damit eine neue, christliche Religion schuf. Was war er? Ein jüdischer Schriftgelehrter, ein Mann aus dem Inneren des Judentums.

Was gab es noch für Reformer und Neudenker? Die Vordenker der französischen Revolution waren Adlige wie der Baron de Montesquieu oder der Graf von Mirabeau, die Begründer des Sozialismus waren tiefbürgerliche Leute wie Karl Marx, Friedrich Engels oder Ferdinand Lassalle, der Vernichter der modernen Moral war der Pastorensohn Friedrich Nietzsche.

Diese Häufung ist kein Zufall. Es gilt: man kann nur das wirklich verändern, das man zutiefst kennt. Luther kannte das Christentum und er spürte sehr intensiv, wo die katholische Kirche seiner Zeit den Boden des Christentums verlassen hatte. Aus diesem Wissen heraus konnte er ein neues Christentum entwerfen.

Ebenso spürten auch die anderen Reformer, wo wirklicher Veränderungsbedarf besteht und dieses Wissen konnten sie nur haben, weil sie Insider waren.

Erneuerung bedeutet damit nicht, alles Alte kaputt zu schlagen und dann zu hoffen, dass das Neue funktioniert. Erneuerung funktioniert dann, wenn man weiß, was am Alten nicht funktioniert, was erneuert werden muss, aber auch, was vom Alten weiterhin tragfähig ist und die Basis darstellt, auf der das Neue wachsen kann.


Re-form der Unternehmen

Dies ist bei Unternehmen nicht anderes als in Religionen, Gesellschaften oder Staaten: es braucht ein sehr genaues Wissen darüber, wie das Alte funktioniert, um es verändern zu können. Es braucht die Fähigkeit, das zu erkennen, was zerstört werden muss und was erhalten bleiben muss. Das Neue ist meist im Alten bereits präsent: man muss es aber erkennen können und wissen, wie man es nach oben bringt, damit es sich durchsetzt.

Zugleich bleibt aber auch Altes im Neuen präsent: es gibt Anbindung und Identität, vielleicht aber auch die nötige Motivation, sich für das Neue einzusetzen.

Die großen Reformer der Geschichte haben alle gewusst, wohin sie wollten. Sie hatten alle eine Vision für die Zukunft. Vor allem aber hatten sie ein sehr klares, sehr genaues Bild von der Gegenwart. Neues durchzusetzen, hat weniger mit der Fähigkeit zu tun, das Alte zu zerstören, als vielmehr damit, zu wissen, wo Neues wachsen kann – und wo nicht.

Eine Re-form baut nicht etwas komplett Neues: sie bringt wieder etwas in die Form zurück – nicht als bloßer Konservativsmus, sondern als die Fähigkeit, das Alte neu zu bauen.