Es ist Montag, der 17. Juni 2019. Rom brennt. Nicht so schlimm wie damals, als Kaiser Nero das brennende Rom besang, aber schlimm genug.
Francesco Totti, die römische Fußballikone schlechthin, hatte zur Pressekonferenz geladen – standesgemäß im Hauptsitz des italienischen NOK – und teilte mit, den Verein AS Rom zu verlassen und sämtliche Ämter niederzulegen.
Was in den letzten Jahren beim AS Rom passiert war, kann als Lehrstück durchgehen: wie man es nicht machen soll und welche Macht die Kultur eines Unternehmens über das Unternehmen besitzt.
A. S. Roma
Der AS Rom war der römische Verein. Vor allem römisch. Gegründet im Arbeiterviertel Testaccio. Die Farben des Vereins – gelb und rot – sind die Farben der Stadt, das Wappen ist die römische Wölfin, die Jugendarbeit war vorzüglich, mehrere Spieler des Kaders waren immer gebürtige Römer, die gewöhnlich stolz darauf waren, ihre Interviews im römischen Dialekt zu geben. Effektiv und erfolgreich – auch das gehört zur römischen Folklore – war der Verein nicht unbedingt: er galt als ein Fass ohne Boden, in dem Gelder schneller versickern als man sehen und glauben kann.
Präsidenten wie Giuseppe Ciarrapico endeten auch mal im Gefängnis, aber auch das kann man noch als Folklore abhaken.
2001 wurde dann endlich wieder – mit Totti als Kapitän – eine Meisterschaft gefeiert, die römische Familie Sensi hatte den Verein mit Geld und viel Liebe erfolgreich gemacht.
Aber dann begannen die Probleme: Fußballvereine können große Schuldenberge anhäufen. Das geht solange, wie jemand für diese Schulden haftet. Als die Familie Sensi – Erdöl, Immobilien usw. – Pleite ging, wurde es eng. Es folgte eine monatelange Schlacht, an deren Ende der Amerikaner James Pallotta – milliardenschwerer Hedgefondsmanager – den Verein 2011 übernahm.
Und damit begann das, was Totti am letzten Montag „Deromanizzazione“, „Entrömisierung“ genannt hat. Die römischen Spieler und Funtionäre verschwanden, Ausnahmen waren nur – eine Zeitlang – die beiden Römer Totti und de Rossi. Gleichzeitig begann sich das Verhältnis des Vereins zu seinen Fans merklich abzukühlen, vor allem hervorgerufen durch eine neue Kultur von Verboten und Geldstrafen im Stadion.
Um das Ganze etwas plastischer zu machen: als der Autor dieser Zeilen in Rom lebte und regelmäßig im Stadion war, war es bei Spitzenspielen nicht unüblich, das Stadion so voll zu packen, dass zwei Leute auf einer Sitzschale standen – und vor einem stand noch wer. Das wurde nun geändert: es hagelte absurde Geldstrafen, wenn man nicht den richtigen Platz einnahm oder – wie bis dahin üblich – stand. Barrieren wurden willkürlich durch die klassischen Fanblöcke gezogen.
Das Wichtige: bei diesen Maßnahmen ging es nicht um die Sicherheit – was ja durchaus ein Argument hätte sein können – , sondern darum, eine bestimmte soziale Gruppe aus dem Stadion zu vertreiben und eine andere zahlungskräftigere Gruppe ins Stadion zu holen. Die allerdings nicht kam, weil die Stimmung im Keller war.
Unterm Strich: aus einer Mannschaft von Römern wurde eine Mannschaft von „Söldnern“, die fast jedes Jahr ausgetauscht wurde, Fans, Öffentlichkeit und Medien waren aus verschiedensten Gründen frustriert, aus einem Verein, der für römisches Lokalkolorit und Emotionen stand, wurde ein austauschbarer Verein, für den sich immer weniger interessierten und dessen Stadion zusehends einem Friedhof glich.
Jetzt kann man natürlich sagen: der Autor dieser Zeilen soll sich nicht so aufregen, er ist da emotional aufgrund seiner römischen Vergangenheit zu sehr eingebunden. Das ist zwar richtig, aber nicht relevant: denn das ganze Geschäft Fußball besteht daraus, emotionale Bindungen zu schaffen und zu erhalten. Was an mir als ehemaligem Römer sichtbar wird, wird an den anderen „Kunden“ noch viel sichtbarer – dies gilt gerade in Rom, wo die Dinge seit Jahrtausenden dramatischer sind als in anderen Teilen der Welt.
Unternehmenskultur
Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen über das, was in Rom in den letzten Jahren genau passiert ist: die Fehler, die dort gemacht wurden, passieren nicht nur beim Fußball, sondern auch in vielen anderen Unternehmen: die Unternehmenskultur zu unterschätzen.
Die meisten unternehmerischen Veränderungen scheitern an der Missachtung der je eigenen Kultur des Unternehmens. Eine Unternehmenskultur zu beachten, bedeutet nicht, dass alles so weitergehen muss wie bisher. Veränderungen sind oft notwendig. Aber diese Veränderungen müssen die Unternehmenskultur beachten.
Dies setzt erst einmal voraus, sie zu kennen und zu respektieren. Und dann zu schauen, wie man diese Kultur verbessern und dahingehend verändern kann, dass die schlimmen Dinge abgestellt werden und neue gute Dinge wachsen können.
Grundlage hierfür ist erst einmal eine genaue Überlegung: was will ich eigentlich genau ändern? Was ist warum schlecht? Veränderung ist kein Selbstzweck, sondern muss einen Grund und ein Ziel haben.
All diese Dinge haben in Rom nicht funktioniert. Es war sicherlich notwendig, den römischen Klüngel auszumisten. Aber auch da gilt die Frage: was genau ist der römische Klüngel? Wo ist er gut, weil er Identität und Familienwärme vermittelt und wo genau sind die Punkte, wo er schlecht ist?
Das Geheimnis dieser Veränderungen beim AS Rom hätte bedeutet, diese Mischung gut hinzukriegen: der römischen und italienischen Öffentlichkeit immer wieder das Gefühl zu vermitteln: wir sind und bleiben Rom!, und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die römische Empfangsdame nicht immer die Neuigkeiten an die Medien durchsticht oder dass Gelder nicht einfach spurlos verschwinden.
Um die Kultur des Unternehmens AS Rom zu kennen und angemessen agieren zu können, wäre es wichtig gewesen, dass die Entscheider auch in Rom sind – und nicht in Boston. Also muss der Besitzer Pallotta entweder nach Rom ziehen oder – was wahrscheinlicher gewesen wäre – er muss vor Ort entscheiden lassen und sich öffentlich stärker zurückhalten.
Fazit
Die aktuellen Ereignisse um den AS Rom sind ein Musterbeispiel dafür, warum eine Missachtung der Unternehmenskultur scheitern muss. Natürlich gibt es bei einem Fußballverein eine andere Unternehmenskultur als in der „normalen“ Ökonomie. Aber die Mechanismen sind die gleichen: man kann Unternehmen nur verändern, wenn man die Kultur kennt und mitnimmt. Ansonsten scheitern alle Bemühungen an einer störrischen Belegschaft, verstörten Kunden und einer entsetzten Öffentlichkeit. Quod erat demonstrandum, wie der Römer sagt.
Sehr guter und informativer Text. Mehr Bilder hätten das ganze anschaulicher gemacht. LG Felix und Julian