Er ist strafrechtlich verurteilt.
Er verachtet Schwarze und Frauen.
Er lügt und sät Hass, sobald er den Mund aufmacht.
Er bewundert Diktatoren wie Putin, Xi und Kim und will regieren wie sie.
Er will Militär gegen die Opposition einsetzen.
Er wünscht sich solche Militärs, wie Hitler welche hatte.
Er hat seine letzte Wahlniederlage bis heute nicht anerkannt und zum gewaltsamen Putsch aufgerufen.
Er hat angekündigt, die verurteilten Gewalttäter des Putsches im Kapital zu begnadigen.
Und er wurde trotzdem zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Für einen Menschen wie mich, der an den Wert der Demokratie und der Vernunft glaubt, ein schwer bis gar nicht zu ertragender Zustand.
Nun wäre es zu einfach zu sagen, dass alle Wähler von Trump dumm wären. Genau das passiert jedoch – in den USA und in Europa – und ist letztlich ein klassisches Eigentor. Denn es macht nichts anderes, als einen der wesentlichen Impulse der Trump-Wähler zu bedienen: von einer linken, arroganten Elite regiert zu werden, die einen ständig bevormundet und alles als dumm und gestrig verkauft, woran man glaubt.
Und dann kommt einer wie Trump und sagt: Lasst euch nicht unterdrücken! Ich nehme euch ernst! Ich verhelfe euch zu eurem Recht!
Was klingt besser?
Die Blindheit der anderen
Man kann viel über die Blindheit der Trump-Wähler sagen. Dass sie so blind sind, ihren eigenen Wertekanon, ihr Unbehagen an der Moderne so hoch zu hängen, dass sie dafür in Kauf nehmen, die Demokratie zu opfern. Das ist blind und man kann es auch dumm nennen.
Aber:
Es gibt auch die Blindheit der anderen, die man als dumm bezeichnen kann, es ist die Blindheit derjenigen, die die Macht haben.
Aus der Weimarer Republik wissen wir, dass eine Demokratie nicht nur von den Wählern zerstört werden kann, die eine demokratiefeindliche Partei wählen, wir wissen auch, dass die zusätzliche Blindheit derjenigen nötig war, die Hitler unterschätzten, seinen Lauf nicht aufhielten und ihm schließlich die Macht servierten.
So kann man heute sicherlich lange über die Trump-Wähler schimpfen und viele werden es in diesen Tagen auch tun. Aber wichtiger – gerade für uns in Deutschland und Europa – wäre ein Blick auf diejenigen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Macht besaßen, Trump zu verhindern und es nicht getan haben.
Weil sie ihn unterschätzt haben. Weil sie die Botschaft seiner Wähler nicht verstanden. Weil sie blind waren.
Biden und die Demokraten
Beginnen wir bei Biden und seiner Administration bzw. bei der Demokratischen Partei. Seit Jahrzehnten stehen die Demokraten einer Radikalisierung der Republikaner und ihrem Sturm auf die Institutionen hilflos gegenüber. Einer der langfristig schwersten Fehler besteht sicherlich darin, die Mehrheit im obersten Gericht, dem „Supreme Court“, abgegeben zu haben.
Wie kann es sein, dass in der Trump-Zeit gleich drei demokratische Richter aus Altersgründen ersetzt werden mussten? Warum wurden die nicht vorher ausgetauscht? Trump griff zu und sicherte sich und seinen Leuten für die nächsten Jahrzehnte eine Mehrheit in dem wichtigsten Gremium, das die Macht des Präsidenten einhegen kann. Wenn es denn will.
Einer der historisch schwersten Fehler der Demokraten war sicherlich das Aufstellen von Hillary Clinton als damalige Kandidatin. Wenn es in weiten Teilen der Bevölkerung einen deutlichen Unwillen gegenüber einer als abgehoben empfundenen politischen Klasse in Washington gibt, ist es taktisch unklug, eine Symbolfigur dieser Klasse ins Rennen zu schicken.
Dann verlor Trump gegen Biden und wurde abgewählt. Trump hatte – abgesehen von seinen sexuellen und geschäftlichen Vergehen – mehr als genug Material hinterlassen, ihn ins Gefängnis zu bringen und politisch endgültig auszuschalten. Insbesondere seine Anrufe bei Wahlleitern, um Wahlergebnisse zu korrigieren oder seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol sind keine Kavaliersdelikte.
Was machte die Biden-Regierung? Sie bremste die Justiz aus Angst vor einer Eskalation. Ein verhängnisvoller Fehler, der die Mühlen der Justiz viel zu spät in Gang brachte und es Trump erlaubte, für seine Verhältnisse relativ unbescholten in den Wahlkampf zu gehen.
Appeasement hat jedoch noch nie funktioniert. Außenpolitisch nicht und innenpolitisch auch nicht. Hier wie dort beruhigt es nicht den Aggressor, sondern treibt ihn an.
Der wesentliche Fehler der Demokraten und der Biden-Regierung besteht jedoch darin, die Botschaft der Trump-Wähler überhaupt nicht verstanden zu haben. Diese Botschaft besteht darin, von der komplizierten Moderne überrollt zu werden und sich nach der einfachen Vergangenheit zurückzusehnen.
Nun kann man dieses Unbehagen nicht berechtigt finden: es ist aber da und man muss darauf reagieren. Und es ist ein Zeichen von Blindheit, dies nicht zu tun.
Aber auch die Justiz selbst hat schwere Fehler begangen. Von Staatsanwälten, deren Klageschriften von Experten von vornherein als völlig untauglich bezeichnet wurden und die dementsprechend abgewiesen wurden bis hin zu Richtern, die eine Verurteilung aussprachen, das Strafmaß aber erst nach der Wahl verkünden wollten, „um die Wahl nicht zu beeinflussen“.
Darf eine Verurteilung kein Kriterium für eine Wahl sein?
Europa und Deutschland
Welche Rolle spielten die Deutschen und die Europäer? Erst einmal muss man feststellen, dass die Einflussmöglichkeiten der Europäer auf die amerikanische Innenpolitik eher begrenzt oder vielmehr kaum vorhanden sind.
Wie blicken viele Amerikaner auf Europa und Deutschland? Sie sehen sich ausgenutzt von ihren „Partnern“: die USA sind es, die den allergrößten Teil der finanziellen und militärischen Sicherheit des Westens liefern. Die meisten Länder des Westens – insbesondere Deutschland – ruhen sich faktisch seit Jahrzehnten unter dem Deckmantel der USA aus.
Trump weist seit Jahren völlig zu Recht darauf hin, dass Länder wie Deutschland mehr in die Sicherheit investieren müssten und nicht die USA die einzigen sein dürfen, die dies tun. Biden tut dies auch, ohne Erfolg. Wäre es nicht auch eine Stütze für Biden gegenüber Trump gewesen, wenn Länder wie Deutschland endlich mehr in ihre eigene Sicherheit investieren würden anstatt weiter von den USA zu schmarotzen?
Diese Problematik ist jedoch nicht nur für die Beziehungen mit den USA verheerend, sondern an erster Stelle für die eigene Sicherheit.
Merkel hat bereits in der ersten Trump-Zeit völlig zu Recht festgestellt, dass wir uns in Europa nicht mehr auf die USA verlassen dürfen und mehr in unsere eigene Sicherheit investieren müssen. Ist irgendetwas in diesem Sinne geschehen?
Die USA sind mit Trump schon vor vielen Jahren nicht mehr verlässlich gewesen, Putin führte einen Krieg nach dem anderen und Europa und Deutschland: machten nichts. Weder für die eigene Sicherheit, noch für die der anderen.
Putin überfällt die Ukraine 2022 zum zweiten Mal, Scholz ruft eine Zeitenwende aus … und macht nichts. Und steht jetzt sicherheitspolitisch völlig blank da, weil die USA mit Trump von Neuem ein sehr unsicherer Partner geworden sind.
Deutschland
Auch innenpolitisch werden in Deutschland die gleichen Fehler gemacht wie in den USA. Dies betrifft an erster Stelle die Blindheit gegenüber der Botschaft der Wähler der AfD oder auch des BSW.
Wie in den USA äußert sich hier ein Unbehagen gegenüber der Moderne, gegenüber der Auflösung vieler Dinge, die als Teil der nationalen Identität gesehen werden, gegen zu viel Migration, gegen das „Woke“, gegen übertriebene politische Korrektheit, gegen Gender usw.
Es ist ein Unbehagen, das inhaltlich in vielen Teilen nicht gerechtfertigt ist. Man muss es aber ernstnehmen und darf nicht glauben, dass Probleme weg sind, wenn sie nicht ausgesprochen werden. Nicht nur die Fakten liefern Probleme, sondern auch die Köpfe, die auf die Fakten blicken.
In der letzten Woche hielt ich in Bottrop einen Vortrag zum Thema „Buntheit und Vielfalt – Fluch oder Segen für die Gesellschaft“. Aus dem Rathaus kam das Signal, die Zeile mit dem Wort „Fluch“ zu streichen, da dies suggerieren würde, dass Migration ein Fluch sei.
In dieser Episode wird ein grundsätzliches Problem deutlich: selbst wenn man die Migration nicht als Fluch ansieht, muss man die Menschen ernst nehmen, die die Migration als Fluch sehen und darauf reagieren, indem man diese Angst thematisiert und ihre Ursachen bearbeitet.
Was machen die Menschen, die in der Migration einen Fluch sehen, dies aber komplett ausgeklammert wird? Sie wählen diejenigen, die sagen: Migration ist ein Fluch!
Diese Ängste ernst zu nehmen, bedeutet nicht, ihnen selbst nachzugeben und blind das zu tun, was die Ängste vieler wünschen. Diese Ängste ernst zu nehmen, bedeutet, ihre Ursachen ernsthaft in den Blick zu nehmen.
Das bedeutet damit eben nicht, beispielsweise die Migration oder das Asyl zu beenden. Sie sind oft humanitär geboten und demographisch sinnvoll. Es bedeutet aber, offensichtliche Missstände abzustellen, die sich ergeben aus der Nichtanwendung des Rechts und einer selbstverordneten Ohnmacht gegenüber Menschen und Gruppen, die neuen Hass und neue Gewalt in unsere Gesellschaften bringen.
Es gibt faktische Zustände, die Angst machen. Diese Zustände müssen benannt und bearbeitet werden – auch um die zu entzaubern, denen es letztlich nicht um die Behebung von Problemen geht, sondern um ein immer neues Anheizen.
Wie in den USA stellt sich auch in Deutschland die Frage, warum die Justiz noch nicht stärker gegen die AfD vorgegangen ist. Wie in den USA ist es eine Angst vor der Eskalation. Die aber – wie in den USA – nur dazu führt, dass immer weiter eskaliert wird.
Man tut dies dann ab mit einem „Wir müssen die Feinde der Demokratie politisch stellen, nicht juristisch!“ Dies ist jedoch aus zwei Gründen Blödsinn: zum einen kann man brutal fragen, warum das auf einmal klappen sollte, wenn es seit einem Jahrzehnt nicht klappt; zum anderen gilt, dass man juristisch vorgehen muss, wenn juristische Fakten vorliegen. Und nach Meinung des Verfassungsschutzes liegen die vor.
“Es ist doch immer gut gegangen.”
Die deutschen Politiker bzw. die klassischen demokratischen Parteien, die Union, die SPD, die FDP und die Grünen haben noch nicht genug verstanden, wie groß die aktuelle Gefahr für die Demokratie in Deutschland ist.
Kürzlich sprach ich mit einem älteren, erfahrenen Politiker, seit Jahrzehnten bundesweit aktiv. Er blickte relativ gelassen auf die aktuellen Geschehnisse: „Das System ist seit Jahrzehnten stabil!“ Ja, aber was vor diesen Jahrzehnten? Viele Politiker, gerade die erfahrenen, nehmen die Äußerungen eines Trump oder von AfD-Leuten gelassen hin: „So schlimm wird es nicht werden, das ist Wahlkampf, das ist Übertreibung.“
Sollten wir nicht gerade in Deutschland gelernt haben, solche Äußerungen ernst zu nehmen?
Viele Politiker sind blind, weil es bisher immer gut ausging: die Parteien existieren und regieren noch immer; die AfD ist ja nicht an der Macht und wird wieder runtergedampft werden; die USA garantieren über die NATO unsere Sicherheit.
Doch all diese Dinge wackeln gehörig und sind auch – wenn man die Perspektive etwas erweitert – keine Selbstverständlichkeit.
Die deutsche Demokratie ist schon einmal unter die Räder geraten; die Geschichte Europas ist bis heute eine Geschichte von Kriegen und eroberungswilligen Machthabern. Die USA waren zumeist isolationistisch und hatten den größten Teil ihrer Geschichte keine Lust, sich in der Welt zu engagieren. Das Engagement der letzten Jahrzehnte ist eine Folge des II. Weltkriegs. In den die USA auch erst eintraten, als sie selbst angegriffen wurden.
Die Blindheit
Der Aufstieg Trumps ist wie der Aufstieg rechter und rechtsextremer Parteien in Europa die Folge einer Blindheit der bisherigen politischen Eliten,
- die blind sind gegenüber dem, was in weiten Teilen der Bevölkerung passiert,
- die blind sind gegenüber den Folgen, die der Sieg einer Partei oder Person bedeutet, die die Zerstörung der Demokratie beabsichtigen,
- die blind sind gegenüber der gemeinsamen Gefahr der demokratischen Parteien und aus kurzfristigen taktischen Gründen übereinander herfallen,
- die blind sind gegenüber Diktaturen wie Putin, die jahrzehntelang finanziell gepuscht werden und deren Aggressionen man nichts entgegensetzt,
- die blind sind gegenüber einer Weltsituation, in der die Diktaturen gemeinsam einen großen gemeinsamen Kampf gegen die freie Welt führen und auch in die freie Welt hineintragen.
Diese Blindheit ist nicht mutwillig. Sie ist die Folge davon, dass wir alle glaubten, dass die Demokratie eine Selbstverständlichkeit sei und dass die Vernunft letztlich siegen wird. Demokratie und Vernunft gewinnen aber nicht von selbst, sondern erfordern einen Einsatz.
Dieser Einsatz besteht zum einen darin, aktiv an einer demokratischen und freien Gesellschaft zu bauen. Tun das die Parteien? Haben sie überhaupt eine Vision? Wenn ja: wird die kommuniziert? Oder verlieren sich die Parteien nicht vielmehr im taktischen Geplänkel des Alltags, das sie blind macht für die großen Fragen?
Der Einsatz besteht darin, für die Demokratie zu kämpfen, er besteht aber auch darin, die effektiv zu bekämpfen, die in der Demokratie nur ein Hindernis sehen und die Hass und Zwietracht säen, um die Demokratie lahm zu legen. Wenn es eine Lehre aus der deutschen Geschichte gibt, dann doch wohl diese.
Wenn es überhaupt einen positiven Effekt dieser US-Wahl für Deutschland und Europa geben kann, dann den eines Weckrufs. Dass dieser Weckruf in dieser Deutlichkeit erfolgen musste, ist bitter genug. Nicht auf ihn zu hören, wird noch bitterer.