Digitalisierung, Arbeit 4.0, VUCA und Agilität sind die großen Stichworte des neuen Arbeitslebens. Sie alle stehen für tiefgreifende Veränderungen, die auf die Unternehmen zukommen. Diese Veränderungen müssen von den Unternehmen zum einen inhaltlich gefüllt werden, zum anderen erfordern sie eine neue Selbstreflexion darüber, was denn die Basis und was die Identität des eigenen Unternehmens ist. Erst eine Kenntnis dieser eigenen Basis erlaubt erfolgreiche und tragfähige Veränderungen. Diese Basis besteht nicht nur aus den Produkten und den äußeren Strukturen des Unternehmens, sondern auch aus seiner Unternehmenskultur und aus den Werten, die im Unternehmen gelebt werden.

Das Christentum verfügt über ein Wertesystem, das seit 2000 Jahren die moralische Grundlage der europäischen Kultur darstellt und auch heute prägend sein kann für die moralische Gestaltung der Unternehmenskultur, insbesondere des Leitungs- und Führungsverhaltens in den Unternehmen. Unternehmen und insbesondere Führungskräfte in den Unternehmen müssen klären, wie sie zukünftig arbeiten und leben wollen. Hier kann das christliche Wertesystem auch heute wichtige Impulse setzen. Veränderungen setzen eine Basis voraus, auf der sie stattfinden können. Diese Basis können die christlichen Werte sein.

Hierbei ist wichtig: es geht weniger um die ethische Praxis der Kirche, die ja leider immer wieder in die Schlagzeilen kommt (vgl. dazu den Blog: “Kirche und Missbrauch“). Es geht vielmehr um das Wertegerüst, das das Christentum hervorgebracht hat und das zur DNA der europäischen Kultur und Ethik gehört. Hier liegen durchaus Schätze, die man wieder neu entdecken kann.


Werte

Das Christentum spricht ganz fundamental von der „Nächstenliebe“, die einen Grundwert darstellt. Die Aufforderung Jesu, seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist sicherlich der Kern der christlichen Botschaft, das Markenzeichen des Christentums schlechthin. Dieser christliche Grundauftrag hat wichtige Konsequenzen für verschiedene Felder beruflichen und unternehmerischen Lebens.

 

1.) Respekt

Ganz grundsätzlich geht es erst einmal darum, dem Mitmenschen respektvoll gegenüberzutreten. Jeder Mensch – so die christliche Lehre – ist von Gott geschaffen und deshalb mit einer unverlierbaren Würde ausgestattet. Unabhängig davon, ob man den religiösen Glauben an einen Gott teilt, ist hier ein wichtiges Fundament, jedem Mensch einen Wert und eine Würde zuzuschreiben. Dies bedeutet, den Mitmenschen auch entsprechend gegenüberzutreten und sie so zu behandeln. Ein Mitarbeiter soll Leistung bringen, aber er wird nicht nur über Leistung definiert. Man soll an seinen Fehlern und Schwächen arbeiten, aber man wird durch Fehler und Schwächen kein Mensch 2. Klasse. Das Gegenüber spürt, ob man ihn als Menschen respektiert oder ob man in ihm nur eine funktionierende Nummer sieht. Dieser Unterschied ist wesentlich für ein dauerhaftes Miteinander.

 

2.) Verantwortung

Den Mitmenschen nicht nur über seine Leistung zu definieren, sondern über seine unverlierbare Würde, beinhaltet auch eine bestimmte fürsorgende Haltung, eine Haltung, die darum weiß, für das Leben des anderen eine bestimmte Verantwortung zu besitzen. Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass jemand nicht in erster Linie für sein eigenes Leben verantwortlich ist. Trotzdem besitzt man auch eine Verantwortung für das Leben der Menschen, mit denen man zusammen lebt und arbeitet. Überall da, wo es ein Miteinander gibt, sind beide Seiten auch für dieses Miteinander verantwortlich. Dies gilt besonders dann, wenn es irgendeine Form von Abhängigkeiten gibt, etwa die Abhängigkeit des Angestellten von seinem Vorgesetzten. Hier ist der Vorgesetzte in besonderer Weise dazu aufgefordert, sich seiner Verantwortung für den Mitarbeiter bewusst zu sein. Eine solche abhängige und somit nicht gleichberechtigte Beziehung erfordert auch entsprechendes verantwortungsvolles Verhalten.

 

3.) Vertrauen

Das Wissen um die Würde des Mitmenschen erfordert nicht nur Fürsorge und Mitverantwortung, sondern auch Vertrauen in seine Fähigkeiten. Der Mitmensch hat einen Vertrauensvorschuss verdient und hat nur so die Möglichkeit, seine Fähigkeiten frei zu entfalten. Die gegenteilige Haltung würde Misstrauen und Kontrolle hervorbringen. Natürlich darf nicht vollständig auf Kontrollmechanismen verzichtet werden, dennoch ist es offensichtlich, dass zuviel Kontrolle jede Art von Eigeninitiative abwürgt. Gerade in Zeiten, in denen in den Unternehmen Flexibilität und Agilität gefordert sind, muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass diese Faktoren eine große Freiheit der Mitarbeiter und damit großes Vertrauen seitens der Leitungsebene erfordern.


3.) Soziales Engagement

Das soziale Engagement, der Wille, armen und notleidenden Menschen zu helfen, ist seit jeher das Aushängeschild des Christentums. Selbst vor 2000 Jahren, als das Christentum von den Römern verfolgt wurde, waren viele Zeitgenossen beeindruckt von der Hilfsbereitschaft, mit sich die christlichen Gemeinden um die gekümmert haben, die hilfsbedürftig waren. Sich an christlichen Werten zu orientieren, soll auch ein nach außen sichtbares Handeln hervorbringen, in dem deutlich wird, dass es einem Unternehmen nicht nur um eigenen Profit geht, sondern auch um eine soziale Verantwortung und um Mitgestaltung der Gesellschaft.

 

4.) Ehrlichkeit

Ehrlichkeit beinhaltet ganz verschiedene Aspekte: zum einen den Willen, die Wahrheit zu sagen und nach außen ehrlich zu sein. Erst einmal geht es aber darum, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein: die eigenen Stärken und Schwächen realistisch einzuschätzen und sich diesen Stärken und Schwächen entsprechend zu verhalten. Authentizität ist anders nicht erreichbar. Wenn es darum geht, ein Profil und eine Identität glaubwürdig nach außen weitergeben zu können, müssen sie erst einmal ehrlich gegenüber sich selbst erarbeitet und erkannt werden.

 

5.) Demut

Demut darf nicht verwechselt werden mit Unterwerfung oder mit einem irgendwie anbiederndem Verhalten. Bei der Demut geht es fundamental darum, sich selbst und die eigenen Anliegen nicht zum Mittelpunkt der Welt zu machen. Man selbst ist nicht alles, was zählt. Man macht Fehler und ist nicht allwissend. Die christliche Tradition spricht von Demut, wenn es darum geht, dass man sich selbst gegenüber Gott klein machen soll. Unabhängig von dieser religiösen Komponente weist die Demut darauf hin, dass es Situationen gibt, in denen man gegenüber dem Unternehmen und dem Mitarbeiter auch zurückstehen muss. Dabei geht es nicht darum, sich vom Unternehmen ausbeuten oder vom Mitarbeiter ausnutzen zu lassen, sondern darum, für sich eine Haltung zu gewinnen, die nicht nur dem eigenen, sondern auch dem Anliegen des Anderen Raum lässt.

 

6.) Vergebung

Jeder Mensch macht Fehler. Die Frage ist, wie man mit Fehlern umgeht: sowohl mit den eigenen Fehlern, als auch mit den Fehlern der anderen. Die christliche Tradition spricht hier von Vergebung. Vergebung meint nicht, alles hinzunehmen und zu akzeptieren, was einem von den Mitmenschen angetan wird. Die christliche Tradition fügt hier hinzu, dass der Vergebung Reue vorausgehen muss. Es geht also nicht darum, immer alles zu verzeihen, sondern da Vergebung zu gewähren, wo der Mitmensch seine Fehler erkannt hat und ihm diese Fehler ehrlich leid tun. Auch das Miteinander im Arbeitsleben und im Unternehmen ist auf solche „Vergebung“ angewiesen, auf solche Punkte, bei denen man wieder bei Null startet und die alten Geschichten, die die Gegenwart belasten, beiseite schiebt.


7.) Mensch im Mittelpunkt

Gegenüber den zahllosen religiösen Gesetzen und Geboten seiner Zeit hat Jesus die Haltung gesetzt: Nicht der Mensch ist für das Gesetz da, sondern das Gesetz für den Menschen. Da, wo das Gesetz zum Hindernis des Menschseins wird, ist es nicht legitim. Es soll dem Menschen helfen. Dies gilt auch heute für Vorschriften, Regeln und Gesetze, die oft auch das Miteinander im Unternehmen eher belasten und befördern. Gerade von Führungskräften wird hier ein entsprechendes Augenmaß verlangt, darum zu wissen, wann eine Vorschrift gegenüber der menschlichen Situation zurückstehen muss und wann nicht. Vorschriften und Regeln sind notwendig, um das Zusammen von Menschen zu regeln und irgendwie kontrollierbar zu machen. Dennoch muss man darum wissen, dass auch diese Vorschriften und Regeln ihre Grenzen haben, und diese zu erkennen, erfordert Erfahrung und Fingerspitzengefühl. Eine Vorschrift ist kein Selbstzweck, sondern dient einem bestimmten Anliegen. Um dieses geht es, nicht um den Wortlaut der Vorschrift.

 

Fazit:

Das Christentum verfügt über einen seit 2.000 Jahren gewachsenen Wertekanon, der das menschliche Zusammenleben auf eine moralische Grundlage stellt und der auch heute für die Gestaltung einer gelebten Unternehmensethik wichtige Impulse bieten kann.

Noch einmal sei darauf hingewiesen, dass es nicht um die ethische Praxis der Kirchen geht, sondern um den Wertekanon, der dem Christentum zugrundeliegt (und an dem das Christentum leider selbst oft scheitert) und der – ob man will oder nicht – zur DNA der europäischen Kultur gehört (vgl. dazu den Blog: “Das brennende Haus Europa“). Ein neues Nachdenken über die christlichen Werte ist daher ein Entdecken der eigenen kulturellen Wurzeln, was gerade in Zeiten wichtig ist, in denen alles durcheinander zu geraten scheint und man vor Digitalisierung, Agilität und VUCA nicht mehr weiß, woher man kommt und wohin man will.