Welche Macht hat die Sprache und kann man diese Macht nutzen?

Der berühmte Roman „1984“ von Georg Orwell gibt eine klare und brutale Antwort: man kann. Er beschreibt das Leben in einem Staat, der seine Untertanen regiert und manipuliert, indem die Gedankenpolizei die Wörter auslöscht, die man nicht denken soll und umgekehrt neue Wörter schafft, um das Denken der Untertanen in bestimmte Richtungen zu lenken.

Die Frage, welche Macht die Sprache über das Denken besitzt, ist seit jeher umstritten. Und doch ist die Beantwortung dieser Frage nicht nur wichtig für unser menschliches Selbstverständnis („Wie denken wir eigentlich?“), sondern auch für nahezu alle Bereiche, in denen wir mit Sprache arbeiten: Literatur, Werbung, politische Diskussion, Beratung usw.

In der Linguistik und in der Sprachphilosophie gibt es grob gesprochen zwei unterschiedliche Richtungen, diese Frage zu beantworten. Der Einfachheit halber nennen wir die einen „Universalisten“, die anderen „Relativisten“.


Sprachlicher Relativismus

Ursprünglich galt folgende Meinung: Die Sprache ist ein Abbild der Gedanken. Das war eigentlich Konsens der Philosophie seit der Antike. Wenn die Sprache das abbildet, was ich denke, dann ist klar, dass ich unabhängig von der Sprache denke und die Sprache sozusagen ein Anhängsel dessen ist, was in meinem Kopf vorgeht.

Um 1800 begannen Autoren wie Wilhelm von Humboldt das zu bezweifeln und vertraten die These, dass wir die Sprache nicht nur brauchen, um unsere Gedanken auszudrücken, sondern dass wir die Sprache brauchen, um überhaupt zu denken: „Der Mensch denkt, fühlt und lebt in der Sprache.“

Benjamin Lee Whorf (1897-1941), Quelle: www.wikipedia.org

Für den wissenschaftlichen Durchbruch dieser These sorgte dann Benjamin Lee Whorf (1897-1941) in seinem Werk „Sprache – Denken – Wirklichkeit“. In den 20er und 30er Jahren hatte er die Sprachen amerikanischer Ureinwohner studiert, und hier machte er zuerst bei der Sprache der Hopi eine spannende Entdeckung: die Hopi haben kein Wort für Zeit und haben daher auch einen völlig anderen Zeitbegriff als ein englischsprachiger Mensch. Ähnlich sei es bei den Inuit: diese hätten aufgrund ihrer vielen Worte für „Schnee“ ein völlig anderes Verständnis von Schnee als andere Völker.

Als sog. „Sapir-Whorf-Hypothese“ wurde nun das Prinzip des sprachlichen Relativismus formuliert: die Sprache prägt das Denken. Die Begriffe, die ich denke, bestimmen auch den Inhalt dessen, was ich denke.

 

Sprachlicher Universalismus

Noam Chomsky (geb. 1928), Quelle: www.wikipedia.org

In den 60er Jahren setzte eine Kritik an, die man als „Sprachlichen Universalismus“ bezeichnen kann und den man vor allem mit Noam Chomsky (geb. 1928) verbindet. Alle Menschen, so Chomsky, verfügen über dasselbe Sprachvermögen, über eine „Universalgrammatik“. Das Denken ist nicht relativ zur Sprache oder abhängig von der Sprache, sondern folgt eigenen grammatischen Gesetzen, die universal sind. Der Mensch verfüge also über eine Art inneres Programm, auf das dann die Sprache hinterher aufgespielt würde.

In der Folgezeit konnte sich diese These weitgehend in der Wissenschaft durchsetzen und die „Sapir-Whorf-Hypothese“ verdrängen, zumal in Whorfs Werk einige inhaltliche Fehler festgestellt werden konnten.


Aktueller Stand der Forschung

Seit den 90er Jahren wächst die Kritik an der These, dass Sprache und Denken voneinander unabhängig seien. Das Pendel schwingt wieder in Richtung des Relativismus, ohne allerdings derart konsequent wie Whorf zu behaupten, dass Denken ohne Sprache nicht möglich sei. Zum einen wird auf einen logischen Fehlschluss der „Universalisten“ hingewiesen: die Meinung, dass wir nicht nur in der Sprache denken würden, heißt ja noch lange nicht, dass die Sprache auf das Denken keinen Einfluss habe.

Zahlreiche Experimente mit verschiedenen Sprachgruppen und vergleichende Studien (Daniel Everett; Michael Siegal; Rosemary Varley) belegen, dass die Sprache durchaus Einfluss auf das Denken hat. Und zwar nicht im Sinne Whorfs als einzige Grundlage, auf der alles aufbaut, sondern im Sinne eines Gerüstes, als eine Art Speichermedium, das nicht das Denken selbst ermöglicht, sondern das Denken bewusst und greifbar macht. Insofern gibt es schon einen Relativismus, weil dieses je unterschiedliche sprachliche Gerüst je andere Vorstellungsvermögen und rationale Zugänge ermöglicht. Insofern stimmt aber auch die Grundthese einer Universalgrammatik, das die Grundlage des Denkens selbst, das gedankliche Wahrnehmen und Reagieren nicht sprachlich gebunden ist.

Mit anderen Worten: es läuft auf die Freud’sche Unterscheidung Bewusstsein – Unbewusstsein hinaus. Sobald Denken im Bewusstsein verarbeitet wird, ist diese Verarbeitung sprachlich. Und hier kann die Sprache durchaus ihre große Macht entfalten.

 

Fazit

Was heißt das nun konkret?

Die Wichtigkeit der Sprache darf nicht unterschätzt werden. Wenn ich mit Sprache arbeite, muss ich darum wissen, dass Sprache mehr ist als eine bloße Information und dass ich mit der Sprache durchaus das Denken in bestimmte Bahnen lenken kann. Das heißt konkret:

  1. Sprachlich darstellen: wenn es darum geht, Inhalte sprachlich zu vermitteln, muss ich zum einen darum wissen, dass ich nicht in der Lage bin, den Inhalt exakt sprachlich wiederzugeben. Die Sprache ist etwas Eigenes, aber das kann man sich zunutze machen, indem man z. B. einen bestimmten Inhalt durch bestimmte sprachliche Nuancierungen eine annehmbare Bedeutung gibt und so den Hörer/ Leser überzeugt. Dies ist nicht nur wichtig für Werbung im engeren Sinne, sondern für jeden, der andere überzeugen will.

    Die Sprache macht auch den Inhalt: dies hat die Konsequenz, durch die Sprache auch das inhaltliche Bild im Gegenüber zu beeinflussen.

 

  1. Sprache erkennen: Die Fähigkeit, Inhalte durch die Sprache in eine angenehme Richtung zu drehen, ist in besonderer Weise vielen Politikern zu eigen, wird aber auch in der Werbung massiv eingesetzt. In einem gewissen Rahmen ist das legitim – es geht im Gespräch gar nicht anders – , dennoch gibt es immer wieder Fälle verbaler Nebelkerzen oder auch bewusster Manipulationen. Diese kann man besser erkennen, wenn man um diese auch relative Funktionsweise der Sprache weiß.

    Die Sprache macht auch den Inhalt: dies hat die Konsequenz, sprachliche Manipulationen zu durchschauen.

 

  1. Verarbeitung sprachlich: im Beratungs- und Therapiebereich wird oft ausdrücklich auf nichtsprachliche Arbeit gesetzt: Bewegung, Musik, Malen usw. Diese Elemente sind wichtige Zugänge zum Unbewussten des Menschen. Die gedankliche Verarbeitung, die darauf folgen sollte, ist allerdings bewusst und sie findet sprachlich statt. Insofern ist ein Verzicht auf die Sprache bzw. das Gespräch nicht möglich, wenn es um eine bewusste Verarbeitung und damit auch um eine bewusste Verhaltensänderung geht. Dies gilt für die individuelle Therapie genauso wie für unternehmerisches Chance Management.

    Die Sprache macht den Inhalt: ich kann den Inhalt erst dann erfassen, verstehen und greifbar machen, wenn ich die Sprache einsetze.

 

Literaturempfehlungen:

Deutscher, Guy: Im Spiegel der Sprache.

Schramm, Stefanie; Wüstenhagen, Claudia: Das Alphabet des Denkens.

Zimmer, Dieter E.: So kommt der Mensch zur Sprache.