Erasmus von Rotterdam hat viele Werke verfasst. Keines wurde so berühmt wie das „Lob der Torheit“ – Wie kann man Dummheit loben? Und warum wurde ausgerechnet dieses Werk so berühmt? Was kann es uns heute verraten?

 

Erasmus von Rotterdam

Erasmus von Rotterdam gilt als der bedeutendste Gelehrten seiner Zeit. Er wurde um 1467 in Rotterdam als nichtehelicher Sohn eines Priesters aus Gouda und seiner Haushälterin geboren. Den größten Teil seiner Kindheit verbrachte er in Gouda, Rotterdam war zwar seine Geburtsstadt und Erasmus bezeichnete sich Zeit seines Lebens als „aus Rotterdam“, dort gelebt hat er nur in den allerersten Lebensjahren. Erasmus erhielt eine erstklassige Schulausbildung in Gouda und Deventer. Als junger Mann ging er ins Kloster zu den Augustiner Chorherren und wurde 1492 zum Priester geweiht.

Erasmus von Rotterdam (Gemälde von Holbein d. J., Quelle: www.wikipedia.org)

In den nächsten Jahren studierte er in England, Paris und verschiedenen Orten in den Niederlanden. Zu seinen Freunden zählten mittlerweile John Fisher und Thomas Morus, aber auch der spätere König Heinrich VIII. Erasmus wurde in Europa immer bekannter als einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Nach einer längeren Italienreise von 1506 bis 1509 pendelte er zwischen England, Anderlecht, Löwen und Basel, mehrere Jahre lebte er auch in Freiburg.

Zeit seines Lebens setzte er sich sehr stark für eine Reform der Kirche ein. Entsprechend groß war die Hoffnung, vieler Reformatoren, den großen Gelehrten auf ihre Seite ziehen zu können, was sich aber nicht erfüllte. Am 12. Juli 1536 verstarb Erasmus in Basel, als einer der berühmtesten Männer seiner Zeit, der durch seine große Gelehrsamkeit in ganz Europa geachtet und geschätzt war.



 

„Lob der Torheit“

Das berühmteste Werk des Erasmus ist sein „Lob der Torheit“, das er 1509 in England verfasst hatte und das 1511 publiziert wurde.

„Lob der Torheit“ ist die übliche, aber vielleicht sogar etwas verharmlosende Übersetzung des Titels „Laus stultitiae“, das man auch mit „Lob der Dummheit“ wiedergeben kann.

Die „Dummheit“ tritt als Person auf und hält eine Lobrede auf sich selbst. Die „Dummheit“ sagt, dass SIE eigentlich diejenige ist, die die Macht über die Menschen hat, und das will sie jetzt erzählen – ehrlich, nicht mit der sonst üblichen Lügerei und Schönfärberei.

Die folgende Lobrede hat eigentlich zwei inhaltliche Stoßrichtungen:

1. Dumm ist besser als weise!

Die „Dummheit“ weist in ihrer Rede nach, dass Dummheit besser ist als weise sein. Wir Menschen sind fasziniert von der Unvernunft der Kinder und Jugendlichen:

„Ist Jungsein denn etwas anderes als Unbesonnenheit und Unvernunft? Schätzt man nicht gerade den Mangel an Verstand am meisten an jenem Alter?“

Beziehungen und Ehen: leben sie nicht davon, „dumm“ zu sein und Fehler zu übersehen?  Gott selbst, so die „Dummheit“, liebt die Dummen, denn sie sind menschlicher als die Weisen und Schlauen!

2. Ihr seid alle dumm!

Immer wieder setzt Erasmus durchaus scharfe Spitzen gegen die Mächtigen der damaligen Zeit, besonders gegen die Kirche. Sie alle sind dumm und die Kirche ist keinesfalls besser. Die Theologen der Kirche reiben sich an Dogmen und Regeln auf, die keinen interessieren und keiner verstehen kann. Ist religiöse Versenkung letztlich nicht auf ein Abkapseln von allem Äußeren – und damit Dummheit?

 

Erasmus von Rotterdam (Zeichnung von A. Dürer, Quelle: www.wikipedia.org)

Das Werk, das von Erasmus nach eigenem Bekunden „nur als Spielerei“ gedacht war, wurde in kurzer Zeit in ganz Europa bekannt – durch die komisch-satirischen Züge des Werkes, aber vor allem durch die scharfe Kritik an den Mächtigen und der Kirche. Indem im Werk nicht der Autor selbst, sondern die „Dummheit“ spricht, hat sich Erasmus mit dieser „Narrenfreiheit“ sehr geschickt vor der Inquisition geschützt. In dieser Kritik gilt das „Lob der Torheit“ als wichtiger Wegbereiter der nur wenige Jahre später beginnenden Reformation Martin Luthers.

 

„Lob der Torheit“?

Welche Bedeutung kann dieses Werk heute noch haben? Das Spannende an diesem Werk war und ist der Perspektivenwechsel.

Wir sind es zumeist gewöhnt, als vernünftige Menschen in die Welt zu blicken und uns selbst für überwiegend vernünftig, rational und intelligent zu halten. Etwaige Unvernunft und Dummheiten werden als Ausrutscher abgetan.

Erasmus von Rotterdam, dieser Universalgelehrte, kehrt die Perspektive um und sagt: die Ausrutscher sind nicht die dummen Sachen, sondern die intelligenten!

Die Welt ist erst einmal dumm und unvernünftig. Das Spannende: genau deshalb ist sie menschlich. Eine völlig rationale und vernünftige Welt wäre kalt, herzlos und unmenschlich – und unmöglich.



Das „Lob der Torheit“ richtet sich nicht gegen die Vernunft. Aber es weist ihr einen etwas eingeschränkteren Platz zu – der aber realistischer ist als das, was diverse Coaches und Trainer oft verkaufen wollen, die einen Sieg über die Unvernunft und Dummheit versprechen.

Erasmus-Universität in Rotterdam, Quelle: www.wikipedia.org

Erasmus demaskiert das, was die meisten eigentlich anstreben: Unverwundbarkeit, Intelligenz, Schufterei, Macht. Er reißt damit auch unserer Zeit und unseren Führungsetagen die Maske vom Gesicht und fragt: wofür? Bist du dir wirklich sicher, dass das, was du da jeden Tag tust, für dich vernünftig ist? Oder ist deine vernünftige Begründung deiner Lebensführung nicht auch eine unvernünftige und letztlich unintelligente Maskierung eines Zustands, der dein Leben ruiniert?

 

Bleib Mensch und werde wieder Mensch! Darum ging es Erasmus und das schreibt er uns auch heute ins Stammbuch:

„Es ist ein Zeichen wahrer Klugheit, wenn man sich, da man von Natur aus Mensch ist, nicht über den menschlichen Standpunkt erhebt.“

 

Literaturempfehlungen:

Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit.

Huizinga, Johannes: Erasmus und Luther: Europäischer Humanismus und Reformation.

Zweig, Stefan: Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam.