Die Wellen schlagen hoch: die ARD gibt bei Elisabeth Wehling vom „Framing-Institute“ in Berkeley (USA) ein Gutachten in Auftrag, ein „Framing-Manual“, das mittlerweile durch netzpolitik.org an die Öffentlichkeit gelangt ist. Man wollte, so die ARD, einen verantwortungsvollen Umgang mit der Sprache fördern und eine Diskussionsgrundlage für die Mitarbeiter schaffen. Das ist zweifellos gelungen. Allerdings nicht nur für die Mitarbeiter der ARD, sondern auch für die gesamte deutsche Öffentlichkeit. Worum geht es genau?


Framing

Zuerst: was ist eigentlich Framing? Das Wort stammt von dem englischen Wort „frame“ („Rahmen“) ab: ein Wort steht nie für sich, sondern steht immer in einem bestimmten „Rahmen“. Dieser Rahmen ist es, der dem Wort seine Bedeutung verleiht. Dieser Bedeutungsrahmen entscheidet darüber, wie wir die Sache wahrnehmen.

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Klassisches Beispiel: das Glas, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist. Ist es jetzt halbvoll oder halbleer? Der Kontext entscheidet, der Rahmen.

Indem ich bestimmte Worte auf einen bestimmten Rahmen, den „Frame“ abstimme, kann ich das Denken der Menschen beeinflussen – indem sie einen bestimmten Sachverhalt anders wahrnehmen als sie es sonst täten, weil er ihnen sprachlich in einer anderen Zielrichtung vermittelt wurde. (Nähere Informationen in meinem Blog über das Framing.)

Ein ohnehin bei Elisabeth Wehling in ihren Büchern beliebtes Beispiel sind die „Steuern“: indem ich dieses Wort benutze, löse ich ein negatives Gefühl aus, weil ich etwas an den Staat zahlen muss. Dieses Wort, so Wehling, sollte durch ein positives Wort ersetzt werden, in dem mehr Freiheit und Freude zum Ausdruck kommen.

Entsprechend schlägt Wehling der ARD daher vor, nicht mehr von „Abgaben“ oder „Gebühren“ zu sprechen, denn schließlich geht es nicht darum, dass die ARD das Geld des Bürgers nimmt, sondern darum, dass sie dessen Geld “verwaltet”:

„Tatsächlich aber nimmt die ARD kein Geld ein, sondern verwaltet schlichtweg das ‚Rundfunkkapital‘ der Bürger.“ (S. 24)

Das klingt ein bisschen nach dem Motto: „Dein Geld ist nicht weg, es hat nur jemand anders“, aber das würde zu kurz greifen. Es geht schon um die Einschätzung darüber, was denn der Bürger da eigentlich macht, wenn er die Gebühr bezahlt. Wehling bezeichnet es so: „Es ist die proaktive, selbstbestimmte Beteiligung der Bürger am gemeinsamen Rundfunk ARD.“ (S. 26)

Über diese Dinge kann man sicherlich schmunzeln oder sich ärgern – je nach persönlichem “Frame” -, aber das Gefährliche an diesem „Manual“ ist etwas anderes.

 

Alles ist Moral

Die ersten Sätze von Artikeln oder Büchern wollen in das Thema einführen. Sie sind nicht unwichtig, weil sie den Startpunkt bilden und das weitere Lesen natürlich prägen sollen, “einen Frame setzen”. Hier ist der allererste Satz des Framing-Handbuchs sehr aufschlussreich, gerade für die Lektüre der weiteren Schrift. An die ARD gerichtet, schreibt die Autorin:

„Wenn Sie ihre Mitbürger dazu bringen wollen, den Mehrwert der ARD zu begreifen, und sich hinter die Idee eines gemeinsamen, freien Rundfunks ARD zu stellen … muss Ihre Kommunikation immer in Form von moralischen Argumenten stattfinden.“ (S. 3)

Hier sollte man aufmerksam werden. Es ist keine Frage, dass jedes Handeln und auch jede Argumentation eine ethisch-moralische Dimension hat. Aber begründet das eine Beschränkung auf die Moral? Und die Identität meiner Meinung mit einem moralischen Prinzip?

„Die Arbeit der ARD ist von moralischen Prinzipien getragen“ (S. 4)

Dies klingt ja erst einmal ganz gut. Aber dies bedeutet für die Autorin, dass alles, was die ARD macht und sagt, ein moralisches Anliegen ist. Neben der Moralität gibt es keine relevante Ebene, auch nicht die der Fakten, die, so Wehling, nicht relevant und nicht vermittelbar sind – es sei denn, sie werden in „moralischen Frames“ eingebettet (S. 9), also moralisiert. Natürlich gibt es Fakten, aber die sprechen alle für die ARD:

„Hätten etwa Fakten rund um die ARD eine objektive Bedeutung … dann gäbe es keinen Streit um die ARD.” ( S. 10)

Ganz abgesehen davon, dass es  prinzipiell durchaus Fakten geben könnte, die gegen die ARD und ihr Programm sprechen – diese völlige Moralisierung des Diskurses ist äußerst gefährlich: denn die Moral diskutiert nicht. Ich fühle mich moralisch im Recht und dann gibt es nur noch ein: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“

Die Fähigkeit zum offenen und freien Diskurs setzt voraus, eine Meinung zu haben, diese Meinung aber auch revidieren zu können. Diese Freiheit ist nicht vorhanden, wenn unter Missachtung der Fakten alles zum moralischen Prinzip erklärt wird. Es gibt kein Gespräch mehr, keine Diskussion, kein Abwägen, kein Ausloten, sondern nur noch das: Ich habe recht, weil ich moralisch bin und du nicht.

Bereits in den ersten Sätzen wird der Schritt zur Propaganda vollzogen: PR bzw. Werbung wird durch die Moral zur Propaganda, durch den Glauben, nicht nur etwas Besseres als die anderen zu haben, sondern das einzig Gültige. Der Glaube, nicht nur moralische Prinzipien zu haben, sondern der einzig Moralische zu sein, lässt Propaganda entstehen, die keine Diskussion zulässt, sondern nur die eigene Meinung kennt.


Die Unmoralischen

Aus dieser klaren Einteilung in die „Guten“ und die „Bösen“ ergibt sich nahezu logisch eine negative Kennzeichnung der Konkurrenz: es sind „medienkapitalistische Heuschrecken“ (S. 22). Dahinter steckt offensichtlich eine sehr grundsätzliche Kritik an der „freien“, nichtstaatlichen Wirtschaft:

„Die Profitwirtschaft, die ihrer Natur nach zumindest primär keine besondere emotionale Bindung zum Menschen hat …“ (S. 29)

Einmal abgesehen von der Frage, wo sich denn genau diese „emotionale Bindung zum Menschen“ eigentlich bei der ARD äußert: Ist es legitim, die freie und nichtstaatliche Wirtschaft so darzustellen? Besitzt jemand, der nicht als Beamter arbeitet, keine emotionale Bindung zum Menschen? Ist jeder, der einer beruflichen Tätigkeit nachgeht, ausschließlich profitgetrieben?

 

ARD als Demokratie

Die ARD, so Elisabeth Wehling, ist nicht nur irgendwie demokratisch, sie ist die Demokratie. Wehling argumentiert wie folgt: der Bürger hat demokratisch entschieden, dass es die ARD geben soll, die ARD hat es zu ihrer Aufgabe gemacht, sich für die Demokratie einzusetzen, also ergibt sich daraus, so Wehling, eine Identität von ARD und Bürger:

„Da die ARD und die Bürger keine getrennten Entitäten sind …“ (S. 56)

In diesem „Frame“ argumentiert Elisabeth Wehling weiter, und dies tut sie vor allem im Kapitel „Demokratische Verbindlichkeit und Loyalität“. (S. 60f.) Aus der Identität der ARD mit der Demokratie ergibt sich logischerweise, dass jemand, der gegen die ARD ist, automatisch gegen die Demokratie ist:

„Bürger, die sich nicht gemäß der demokratischen Vereinbarung am gemeinsamen Rundfunkt ARD beteiligen, sind wortbrüchig und illoyal. Sie liegen nicht nur anderen auf der Tasche, täuschen und betrügen, … sondern sie … missachten den allgemeinen Willen des Volkes. Sie sind Beitragshinterzieher, sie begehen Wortbruch, machen sich des Loyalitätsbruchs schuldig.“ (S. 63)

Hier fallen nun Töne, in denen das „Manual“ von Elisabeth Wehling endgültig zu einer Propagandaschrift eines autoritären Regimes wird. Kritik an der ARD als „Missachtung des allgemeinen Willens des Volkes“ zu bezeichnen, ist jenseits aller demokratischen und vernünftigen Gepflogenheiten und erinnert an unselige Zeiten, in denen die Führer des Volkes auch sehr genau wussten, was der Wille des Volkes war, und ebenfalls jede Kritik an ihnen als Kritik am Willen des Volkes interpretiert und bestraft wurde.

Elisabeth Wehling geht es hierbei nicht nur um eine prinzipielle Kritik an der ARD, sondern sogar um jede Anfrage, dass die ARD sich etwas kleiner setzen möge, was angesichts immer höher werdender Kosten und des immer wieder von verschiedenen Rechnungshöfen vorgelegten Nachweises vielfacher Geldverschwendung sogar nachvollziehbar ist. Hierzu schreibt sie folgende, eindrucksvolle Zeilen (man ist geneigt, dem Leser zu raten, sich angesichts dieses salbungsvollen und pathetischen Tonfalls zu erheben):

„Wer die ARD ‚verkleinern‘ möchte, der stellt das Recht der Bürger an einer umfassenden und gründlichen Rundfunkversorgung infrage. Die Forderung nach einer Teilversorgung ist in Wirklichkeit eine Forderung nach weniger Demokratie, weniger Teilhabe, weniger Fürsorge. Sie fordert den Bürger auf, einen Teil seiner Fürsorge für sein privates und wirtschaftliches Wohlergehen und dasjenige seiner Familie und Mitbürger aus den Händen zu geben. Es ist eine Forderung, die Kontrolle über Informationen zu Politik, Wirtschaft und demokratische Prozesse, über unser tagtägliches Leben und Wohlergehen aufzugeben. Es ist die Forderung, das eigene Recht auf den freien Zugang zu Bildung, Kultur und identitätsstiftender und menschennaher Unterhaltung aufzugeben. Es ist die Forderung, sich den Spiegel und das Gedächtnis der eigenen Kultur, des eigenen Landes aus den Händen nehmen zu lassen und in die flatterhaften Hände des Kommerzrundfunks zu legen.“ (S. 72)

Diese Zeilen sind sicherlich der Höhe- oder vielmehr Tiefpunkt des „Framing-Manuals“: jede Kritik an zuviel Volksmusik oder den hohen Gehältern der ARD-Führung wird zu einem Frontalangriff auf die gesamte Demokratie, die Wirtschaft, das allgemeine Wohlergehen, die Kultur, die eigene Familie und alle Mitbürger.


Fazit

Der Gedankengang des “Framing-Manuals” ist eigentlich sehr einfach und ergibt sich aus den ersten Sätzen dieses Schriftstücks: bei der ARD ist alles Moral. Dann ist dummerweise alles andere unmoralisch. Und wenn die ARD für Demokratie und Freiheit ist, dann ist jeder Kritiker an der ARD gegen Demokratie und Freiheit. Dann kann man selbstbewusst auf den letzten Seiten behaupten: „Wir sind Ihr“ oder – ohne Selbstironie: „Demokratie statt ideologischer Monopolisierung“. Genau das betreibt Frau Wehling aber mit dieser Schrift: ideologische Monopolisierung.

Wehling sagt zu Recht, dass die Existenz der ARD sich einer demokratischen Entscheidung verdankt. Aber ist Kritik an der ARD damit automatisch Kritik an der Demokratie? Und kann sich ein demokratischer Konsens nicht auch im Laufe der Zeit ändern? Oder zumindest Änderungen bei der ARD wünschen?

Elisabeth Wehling, Quelle: www.wikipedia.org

Mit dieser Schrift hat Elisabeth Wehling ihrem Anliegen, der ARD eine sprachlich gut vermittelte Legitimitätsgrundlage zu verschaffen, einen Bärendienst erwiesen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein wichtiger Garant der Demokratie in einem Staat – zusammen mit anderen freien Medien übrigens, die eine gegenseitige Kontrollfunktion ausüben und in dieser gegenseitigen Kontrolle ein Garant für die Demokratie sind (und nicht nur medienkapitalistische Heuschrecken). Die Meinungs- und Pressefreiheit wird nicht durch den staatlichen Sender definiert, sondern in Art. 5 GG gegen den Einfluss des Staates.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein wichtiger Garant für die Demokratie. Sobald er aber selbst glaubt, einziges Sprachrohr der Demokratie zu sein, tötet er sie. Man darf vielleicht berechtigte Kritik an der ARD nicht in einen Topf werfen mit dem „Lügenpresse“-Krakele aus einer bestimmten Ecke – die sich angesichts dieses Manuals stolz auf die Schultern klopfen kann.

Elisabeth Wehling hat mit dieser Schrift ihrer eigenen Reputation als Wissenschaftlerin nachhaltig geschadet. Diese Schrift ist kein wissenschaftliches oder neutrales Gutachten, sondern ein ideologisches Pamphlet.

 

Nun liegt es an der ARD. Zum einen muss sie klar machen, was genau der Auftrag war, der an Elisabeth Wehling erteilt wurde: ist das Ergebnis dem Auftrag entsprechend?

Zum anderen geht es nun darum, dass sich die ARD von diesem „Framing-Manual“ klar distanziert. Bislang versucht die ARD den Druck aus dem Kessel zu nehmen, indem sie darauf verweist, dass es sich ja „nur um eine Diskussionsgrundlage“ für die Mitarbeiter handeln würde.

Der ARD muss jedoch klar sein, dass diese Schrift nicht nur zweideutige Textstellen hat, die etwas eigenartig daherkommen, wenn die Konkurrenz unflätig beschimpft wird, sondern dass in dieser Schrift gegen fundamentale Grundwerte der Demokratie verstoßen wird, wenn bereits Kritik an der ARD ein Angriff auf den „allgemeinen Willen des Volkes“ wird. Ist das ein Diskussionsthema für die Mitarbeiter?

Der Anspruch dieser Schrift ist deshalb so hoch, weil er der Grundton dieser Schrift ist: das moralische Prinzip. Wir sind als ARD das moralische Prinzip der Demokratie. Mit genauso großer moralischer Prinzipientreue muss dieser Anspruch von der Führung der ARD dementiert werden. Der Anspruch der Schrift fällt auf sich selbst zurück.

Sollte die ARD jedoch glauben – wie dieses Manual alleine durch seine Existenz nahelegt -, dass die eigenen Probleme nicht inhaltlicher, sondern nur sprachlich-semantischer Natur sind, dann sieht es wirklich düster um sie aus. Wenn es Probleme gibt, muss man auf die Probleme schauen – nicht nach neuen Wegen suchen, die alten Probleme zu wiederholen.

 

Literaturempfehlung:

Framing-Manual. Unser gemeinsamer, freier Rundfunk ARD.