Einer meiner Partner ist die Business Keeper GmbH. Diese stellt elektronische Hinweisgebersysteme zur Verfügung. Was ist das?

Diese Hinweisgebersysteme laufen in Unternehmen, damit Mitarbeiter die Möglichkeit haben, in diesem System irgendwelche Missstände anonym dem Unternehmen anzuzeigen.
Und hier ist der Punkt, bei dem viele hellhörig werden und sich vielleicht an die Stasi oder sonstwas erinnert fühlen: ein System, um zu verpetzen? Um andere anzuschwärzen?

Schauen wir genauer hin.


 

Die Suche nach Fehlern und Missständen

In jedem, wirklich jedem Unternehmen passieren Fehler. Dinge, die verkehrt laufen, die die technischen oder logistischen Abläufe behindern, Kunden, die nicht gut behandelt werden, bis hin zu illegalen Dingen wie Veruntreuung usw. Fehler kommen in jedem Unternehmen vor, weil jedes Unternehmen eine Ansammlung von Menschen ist und Menschen nunmal in vielen verschiedenen Richtungen fehleranfällig sind.
Ein Unternehmen hat natürlich ein Interesse, diese Fehler zu finden. Damit die eigenen Abläufe gut funktionieren. Damit die Kunden zufrieden sind. Damit die eigene Belegschaft zufrieden ist. Damit es keine teuren Gerichtsprozesse gibt.

Was kann ein Unternehmen tun, um Fehler zu finden?
Es kann ermitteln und versuchen, diese Fehler zu finden. Der Erfolg ist normalerweise eher gering. Wodurch kommen die meisten Fehler ans Licht?

Statistisch eindeutig nicht durch Ermittlungen, sondern durch Hinweise aus der Belegschaft selbst. Die Mitarbeiter bzw. die Kunden sind die ersten, die sehen, wenn es verkehrt läuft.
Nun kommt es aber zu folgender Schwierigkeit: viele Mitarbeiter tun sich schwer, Fehler zu melden, v.a. aufgrund der Angst, hinterher irgendwelche Repressionen oder Nachteile zu erleiden. Also tun die meisten gar nichts. Anonym melden? Wie? Mit Briefen ohne Absender? Schwierig.

Nachgewiesenermaßen werden die meisten Fehler durch Meldungen der eigenen Mitarbeiter aufgedeckt. Genauso nachgewiesen ist die Tatsache, dass viele Mitarbeiter Angst vor einer solchen Meldung haben, weil sie anonym bleiben wollen. Genau hier setzen die Meldesysteme an.

 

Wie funktionieren die Meldesysteme?

Der Mitarbeiter, der eine Meldung machen will, wird online auf eine Seite geleitet. Dort liest er, zu welchen Bereichen das Unternehmen Meldungen wünscht und wo der Mitarbeiter die Meldung hinschicken kann (Unternehmen selbst, neutraler Ombudsmann …). Dann kann der Mitarbeiter die Meldung machen und abschicken.
Das Unternehmen oder der Empfänger der Meldung kann nun mit dem Hinweisgeber über den Hinweis kommunizieren: kann sich weitere Informationen und Daten erfragen usw. Dies alles im Schutz der Anonymität, die Inhalte sind weder von Business Keeper noch von der unternehmensinternen IT sichtbar. Damit können die gewünschten Informationen schnell ausgetauscht und Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Mögliche Falschmeldungen oder substanzlose Meldungen können so schnell aussortiert werden und spielen statistisch daher keine große Rolle.



 

„Whistleblowing“

Die EU hat den einzelnen Ländern in einer Richtlinie (2019/1937) aufgetragen, bis Ende 2021 die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass Unternehmen ab einer Größe von 50 Mitarbeitern (oder 10 Mio. € Umstatz) über ein Meldesystem verfügen müssen.
Hintergrund ist der Schutz von „Whistleblowern“. Diese sind für den Erhalt der Gesellschaft überaus wichtig, weil Missstände, die nicht nur ein Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft bedrohen können, schneller oder überhaupt aufgeklärt werden. Auf diese Weise erfüllen die Hinweisgebersysteme – die je nach Installation auch an öffentliche Behörden zu öffnen sind – eine wichtige gesellschaftliche Funktion, denn sie machen deutlich, dass auf Dauer in keinem Unternehmen Dinge passieren dürfen, die schlecht für die Gesellschaft sind, ohne dass diese davon Kenntnis hat. Die Hinweisgebersysteme schützen die Menschen, die diese Gefahren für die Gesellschaft erkennen und auf sie aufmerksam machen wollen.

 

Was habe ich als Philosoph nun mit einem solchen Informationsinstrument zu tun?

Einem Philosophen geht es natürlich in erster Linie um die Ethik, also um den Inhalt der Werte, die in einem Unternehmen (oder in einer Gesellschaft) gelebt werden (sollen).
Nun ist das theoretische Nachdenken über die Ethik das eine. Das andere ist die Frage, wie denn diese Ethik auch effektiv durchgesetzt werden kann und hier sind wir beim “Wertemanagement” und beim Compliance (vgl. den Blog “Wertemanagement“):
Was muss ein Unternehmen tun, damit das eigene unternehmensinterne Leben nach den Werten funktioniert, die sich das Unternehmen und die Gesellschaft wünschen?

Hierzu gibt es zwei Stoßrichtungen, die beide wichtig sind:
1. Überzeugung: die Mitarbeiter müssen von den Werten überzeugt sein und dazu motiviert werden, sich gemäß den Werten zu verhalten.
2. Kontrolle: soviel Überzeugungsarbeit kann gar nicht geleistet werden, dass es keine Verstöße gibt, Verstöße gegen unternehmensinterne Werte, aber auch Gesetzesverstöße. Hier braucht es eine effektive Sicherstellung, dass Verstöße schnell aufgedeckt werden können. Hier sind wir im Bereich des sog. „Compliance“ und hier sind wir bei den Hinweisgebersystemen, die genau für diese schnelle Transparenz und Aufklärung sorgen.

Transparenz und Offenheit, daran erinnert auch die EU in ihrer Richtlinie, sind wesentliche Pfeiler unserer Gesellschaft. Was passiert, wenn diese nicht vorhanden sind?

Es entsteht eine Kultur des Misstrauens. Der nicht-öffentlichen Absprachen. Der Duldung von Gesetzesverstößen. Des gegenseitigen Schützens und der Schweigekartelle. Dieses Geschehen ist geradezu eine logische Folge und gilt überall, wo Menschen zusammen sind: von einer ganzen Gesellschaft, einem Unternehmen, der Kirche oder einem Taubenzüchterverein.
Was passiert auf Dauer in einem Unternehmen, wenn Mitarbeiter aus Angst um ihre Anonymität keine Meldungen machen bei Mobbing, Veruntreuung oder fehlerhaften Produkten?

Ein Unternehmen ist nach innen wie nach außen auf Transparenz und Offenheit angewiesen. Sonst – das ist ein logisches Gesetz – muss das Unternehmen als Ganzes unter den Folgen leiden, nach innen unter einem absolut vergifteten Betriebsklima, nach außen unter mangelnder Seriosität oder sogar Illegalität.
Man muss es so klar sagen: es ist ein logisches Gesetz, das in einer größeren Ansammlung von Menschen ein funktionierendes Zusammenleben nicht möglich ist, wenn es keine Regeln gibt bzw. die Regeln nicht effektiv durchgesetzt werden. Und wesentlicher Bestandteil der Durchsetzung von Regeln ist das schnelle Erkennen von Regelverstößen, wie es durch Hinweisgebersysteme sichergestellt wird.


Warum Meldesysteme?

Der Vorwurf an die Hinweisgebersysteme ist so alt wie diese selbst: „Petz-Hilfen“ zu sein. Meine Frage ist dann, ob es „Verpetzen“ ist, wenn sich selbst oder einen anderen gegen Mobbing schützen will. Oder einen Fehler in der Produktion melden. Oder eine Veruntreuung.
Eine nichtgemachte Meldung über einen schwerwiegenden Missstand verursacht Kosten. Psychische Kosten. Materielle Kosten. Irgendwer zahlt immer. Womit auch immer.

Meine Erfahrung als Philosoph ist das eine. Das Wissen darum, wie soziale Strukturen abhängig sind von der Effektivität der Werte, an denen sie sich orientieren.
Meine Erfahrung als ehemaliger Priester und aktueller Berater ist noch einmal eine andere. Weil es nicht nur um abstrakte Strukturen geht, sondern vor allem um Menschen.

Und wie viele Menschen müssen darunter leiden, dass sie kein effektives Mittel gegen das Leid haben, das ihnen von anderen Menschen zugefügt wird? Wie viele Menschen gehen nach und nach vor die Hunde, weil sie absolut ohnmächtig sind gegenüber denen, die ihnen Tag für Tag in welcher Weise auch immer das Leben zur Hölle machen?
Angesichts dieser wirklich alltäglichen furchtbaren Erfahrungen vieler Menschen von einem „Petz-Instrument“ zu sprechen, ist nichts anderes als zynisch.

Die Hinweisgebersysteme sind ein wichtiges Instrument für die Unternehmen, ein effektives Compliance-Instrument zu installieren, ihre Abläufe „sauber“ und effektiv zu halten, Haftungsrisiken auszuschließen, Fehlerquellen zu identifizieren usw.
Noch viel wichtiger und ethisch bedeutender sind die Hinweisgebersysteme in ihrer Funktion, bis dahin zu ohnmächtigen Menschen die Chance zu geben, anonym und geschützt auf ihr Leid aufmerksam zu machen und damit erst die Möglichkeit zu schaffen, dass dieses Leid beendet wird.

 

Literatur:

Kanzenbach, Katrin: Die Implementierung eines “BEST PRACTICE” Hinweisgeber- bzw. Whistleblower-Systems unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten.
Sixt, Manuela: Whistleblowing im Spannungsfeld von Macht, Geheimnis und Information.