Das Wort „Philosophie“ heißt soviel wie „Liebe zur Weisheit“ (aus dem Griechischen). „Weisheit“ mag ein etwas angestaubter Begriff sein, aber worum es dabei geht, dürfte noch immer aktuell sein:
Weisheit bezeichnet die Fähigkeit, sich im Leben zurecht zu finden, nicht nur über ein theoretisches Wissen zu verfügen, sondern auch in der Lage zu sein, dies Wissen auch praktisch anwenden zu können.
Weisheit steht für die Kompetenz, eine Situation wirklich zu erfassen und daraus die richtigen Schlüsse für sein eigenes Handeln ziehen zu können.
Das Wort „Weisheit“ mag etwas angestaubt und altbacken daherkommen, die Kompetenzen, die dahinterstecken sind mehr als aktuell, gerade in Zeiten großer Veränderungen, wie wir sie zur Zeit erleben. Die Stichworte „VUCA“ und „Digitalisierung“ mögen hier genügen.
Insofern ist „Weisheit“ eine wichtige Kompetenz, nicht nur, aber besonders für Führungskräfte: je mehr Verantwortung jemand besitzt, desto eher muss er in der Lage sein, die nötigen Entscheidungen so zu treffen, dass man sie als „weise“ bezeichnen kann. Führungspersönlichkeit und Leadership können auf Dauer nur so funktionieren.
Wie wird man weise und wie kann das funktionieren?
Innehalten!
Abgesehen von allen anderen möglichen methodischen Schritten, die hilfreich sein können: fundamental ist ein Innehalten. Dabei geht es nicht um Langsamkeit, aber zumindest darum, kurz Tempo rauszunehmen und nachzudenken.
Es ist klar, dass viele Entscheidungen schnell getroffen werden müssen. Aber der häufige Weg, aus dem Bauch heraus zu entscheiden, mag zwar mal mehr, mal weniger menschlich sympathisch rüberkommen, tragfähig und angemessen ist es oft nicht.
Gute Entscheidungen brauchen Zeit und nicht umsonst wird mit dem Wort „Weisheit“ instinktiv eine gewisse Ruhe und Langsamkeit verbunden. Daher: wenn es auch nur irgendwie geht: Gang rausnehmen und Innehalten.
Kant: die Maximen des Denkens
Immanuel Kant (1724-1804) gilt als einer der bedeutendsten Philosophen der Geschichte. Er hat in seiner Schrift „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ von 1798 einen sehr interessanten Weg zur Weisheit beschrieben, der aus drei Schritten besteht (S. 167 f. BA).
Kant selbst leitet diesen Weg ein als „unwandelbare Gebote“ die jeder erfüllen muss, der zur „Klasse der Denker“ gehören will. Was sind das für Gebote?
1. Selbst denken
Dieses Prinzip bezeichnet Kant als „negativ“, d. h. es geht darum, wirklich selbst zu denken und auswärtige Faktoren und Einflussnahmen möglichst auszuschalten. Wenn Kant in seiner berühmten Aufklärungsschrift über den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ spricht, ist genau das gemeint: du selbst musst denken, es kann und darf dir keiner abnehmen.
Es mag bequemer sein, dass andere für einen denken oder dass man sich darauf zurückzieht, dass „man“ das so macht: der eigenen Person angemessen ist es nicht. Erst recht nicht einer Person, die eine Verantwortung übertragen bekommen hat.
(Vgl. den Blog: Kant: Was ist Aufklärung?)
2. Sich in die Stelle jedes anderen zu denken
Dieses Prinzip nennt Kant „positiv“: es geht nicht darum, fremde Einflüsse auszuschalten, sondern selbst aktiv zu denken. Dieses Denken soll aber nicht um sich kreisen, sondern zuerst aus der Perspektive des anderen stattfinden.
Die eigene Perspektive hat man sowieso. Automatisch. Die gilt es aber zuerst auszuklammern und die Perspektive des anderen einzunehmen: welche Sicht auf das Problem/ die Situation hat der andere? Welche möglichen Perspektiven gibt es überhaupt?
Es geht nicht darum, die Perspektive des anderen zu übernehmen (siehe Schritt 1!), sondern darum, die möglichen anderen Perspektiven auf eine Situation neutral zur Kenntnis zu nehmen und einzubeziehen.
3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken
Dieses Prinzip nennt Kant die „folgerechte Denkungsart“: nun geht es darum, das, was vorher gedacht wurde – die Sicht auf die Situation aus mehreren Perspektiven – zusammenzubringen und mit der eigenen Wahrnehmung abzugleichen. Und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Je besser das gelingt, desto „weiser“ ist das Ergebnis.
Fazit
Unterm Strich geht es Kant in seiner Beschreibung dieser „Denk-Maximen“ darum, ein Verhältnis herzustellen, zwischen einer Fremdsicht auf die Situation und der eigenen Sicht.
Die Kunst besteht darin, die fremde Sicht einzubeziehen, sich aber nicht von ihr dominieren zu lassen. Hier liegt das größte Problem, das Kant im 1. Schritt ausräumen will: die eigene Mündigkeit, heißt: die Wahrnehmung und Ausschaltung fremder Dominanz.
Dann geht es aber durchaus um das „andere“: um mehrere Sichtweisen, dann wieder in eigener Leistung (!) zusammengebracht und geordnet werden soll.
Wie soll man sich sonst weiterentwickeln? Oder Erfahrungen sammeln und verarbeiten?
Diese drei Schritte, die Kant beschreibt, ermöglichen es, so Kant wörtlich, „mit eigenen Füßen auf dem Boden der Erfahrung, wenn gleich noch wackelnd, fortzuschreiten“.
Kurz gesagt: besser wackelnd voranschreiten, als stehenbleiben.
Herzlich willkommen auf dem Weg zur Weisheit!
Literaturempfehlung:
Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht.
Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung?
Lieber Michael
Deine Denkanstöße sind wieder immer
Inspirierend.
Du gibst mir oft eine theoretische Erklärung für einige meinerr Verhaltensmaxime.
Innehalten nicht sich beirren lassen bei sich bleiben und doch den anderen sehen.Das gelingt im Alltagsleben nicht immer , die äußeren Einflüsse durch die ökonomisierung sind zum einen begrenzend und die anderen die leider oft nicht mehr ich nenne es mal denken können.
Kannst du dich nicht mal im Agaplesion Konzern mit deinen Vorträgen einbringen??
In diesem Sinne vielen Dank und Grüße an die Familie und an die Niederlande
Sorry durch das Schreiben mit dem IPhone hinterlässt den einige Fehler