Es gibt Werke der Philosophie, nach denen ist nichts mehr wie vorher. Sie haben das philosophische Denken auf einen Schlag von Grund auf erneuert und jeder, der von da an Philosophie betreiben wollte, kam an diesen Werken nicht vorbei. Zu nennen sind hier etwa die „Metaphysik“ des Aristoteles oder die „Meditationen“ des Descartes.
Zu diesen Werken zählt die „Kritik der reinen Vernunft“ von Immanuel Kant, die 1781 in 1. Auflage erschien. Mit ihr beginnt die moderne Philosophie.
Kants Leben ist rein äußerlich relativ ereignislos gewesen. Er lebte von 1724-1804, immer in Königsberg in Ostpreußen. Es hatte ihn durchaus Mühen gekostet, sich an der Universität zu etablieren. Viele Jahre musste er sich als Hauslehrer durchschlagen. 1770 erhielt er endlich 46jährig die ersehnte Professur für Logik und Metaphysik an der Universität Königsberg.
Danach passierte erst einmal nicht viel: in den nächsten Jahren hörte man nicht viel von Kant. Dann veröffentlichte er 1781 die „Kritik der reinen Vernunft“. Das öffentliche Echo war zuerst sehr zurückhaltend. Das Buch galt als zu schwierig und fast unlesbar. Kant veröffentlichte einige kleinere Schriften zur weiteren Erläuterung, 1787 kam dann eine überarbeitete 2. Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ ans Tageslicht. Der Siegeszug dieses Werkes begann.
Worum geht es in der „Kritik der reinen Vernunft“?
Um das zu wissen, muss man auf die Vorgeschichte schauen, auf die Problemlage, auf die hin die „Kritik“ geschrieben wurde.
Es geht um die Frage, wie eigentlich „Erkenntnis“ funktioniert. Wie gelangt der Mensch zu sicherer Erkenntnis: „Was kann ich wissen?“
Diese Frage ist die Urfrage der Philosophie und sie wurde zur Zeit Kants meistens in einer der beiden folgenden Richtungen beantwortet:
– Die Empiristen wiesen darauf hin, dass Erkenntnis auf der Erfahrung sinnlich wahrnehmbarer Dinge beruht, die anschließend durch die Vernunft sortiert und geordnet werden.
– Die Vertreter des Rationalismus betonten hingegen, dass jede Erkenntnis reine Vernunfterkenntnis ist. Sinnlich Wahrnehmbares sei viel zu unsicher, als dass es eine sichere Quelle von Erkenntnissen darstellen könnte.
Das sind natürlich vergröbernde Darstellungen dieser beiden Gruppen, auch die Empiristen wussten um die Wichtigkeit der Vernunft, auch die Rationalisten konnten nichts gegen eindeutige empirische Belege anführen. Es ist eine Frage der Perspektive: versuche ich mit den Mitteln der Vernunft und der Logik die Welt zu erklären oder schaue ich erstmal in die Welt und versuche, darin ein System zu erkennen?
Kant sieht die Schwächen beider Meinungen: kann es „reine“ Gedanken geben? Oder Erkenntnis nur aufgrund von Sinneswahrnehmungen? Natürlich nicht:
„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ (B75)
Kant nimmt sich in seiner „Kritik der Vernunft“ systematisch die beiden Ebenen der Erkenntnis vor und entwickelt daraus seine eigene Lehre. Sie ist insofern eine Synthese von Rationalismus und Empirismus, weil sie sowohl der Vernunft als auch der empirisch-sinnlichen Wahrnehmung eine Schlüsselfunktion zuschreibt.
1.) Sinneswahrnehmung („Transzendentale Ästhetik“)
Die „Transzendentale Ästhetik“ bildet den I. Hauptteil der Kritik der reinen Vernunft. „Ästhetik“ hat hier nichts mit unserem heutigen Verständnis einer Theorie des „Schönen“ zu tun, sondern ist eng am ursprünglichen griechischen Wort: „aisthesis“ – „Wahrnehmung“, also eine Lehre über die sinnliche Wahrnehmung insofern sie Grundlage der Erkenntnis ist.
Wir Menschen sind in der Lage, Dinge sinnlich wahrzunehmen. Wir sehen, tasten, hören usw. Wir nehmen die uns umgebende Welt wahr, aber dies tun nicht wir nicht unmittelbar. Wir verfügen bereits über ein gewisses Grundgerüst, das wir dazu brauchen, um das, was wir sehen, wirklich wahrnehmen und dann auch verarbeiten zu können: nämlich unmittelbar das Wahrgenommene in „Raum“ und „Zeit“ einzuordnen.
Diese Anschauung von Raum und Zeit ist uns angeboren und erfahrungsunabhängig („apriorisch“). Sie bildet die Grundlage dafür, dass wir überhaupt etwas sinnlich wahrnehmen und dann einordnen können.
2.) Verstand („Transzendentale Logik“)
Der II. Hauptteil behandelt die Ebene des Verstands, des Denkens. Der Verstand formt aus dem Wahrgenommenen Begriffe. Wie es nun in der sinnlichen Wahrnehmung mit „Raum“ und „Zeit“ zwei Ordnungsparameter gibt, gibt es sie auch im Denken.
Kant spricht hier von „Kategorien“ und er nennt vier: Quantität, Qualität, Relation, Modalität. Diese Kategorien sind völlig unabhängig von dem, was man weiß. Sie sind die Basis, Wissen erlangen zu können.
Diese Kategorien ermöglichen es, die Begriffe zu sortieren und aus ihnen eine Erkenntnis zu gewinnen bzw. ein Urteil über eine Sache abzugeben.
Das alles klingt erst einmal nicht spektakulär und ist natürlich nur eine sehr grobe Darstellung. Aber was ist nun das Revolutionäre?
Denken UND Erfahren
Es ist die gleichzeitige Unterscheidung und Zusammenfügung von Denken und Erfahren.
Es zählt die Erfahrung, die Wahrnehmung der konkreten Welt um uns herum. Natürlich ist sie überkompliziert, natürlich verändert sie sich ständig, aber eine Flucht in die reinen Gedanken führt nur zu Luftschlössern, nicht zu einem wirklichen Wissen über die Welt.
Jede Aussage über die Welt muss mit Erfahrungen in der Welt – auf der Basis der Erfahrung von Raum und Zeit – begründbar sein, sonst ist sie wertlos.
Das hat große Konsequenzen für Begriffswelten, die erfahrungsunabhängig sind: Aussagen über das Wesen Gottes oder über die Unsterblichkeit der Seele sind damit nicht mehr begründbar.
Auf der anderen Seite ist die pure Erfahrung „blind“, es braucht die denkende Verarbeitung der Erfahrung. Diese passiert durch die Begriffe und die Kategorien, die sozusagen eine Brille oder eine Schablone darstellen, die Erfahrungen zu verarbeiten, abzuwägen, einzuordnen und zu einer Erkenntnis zu machen.
Kant nimmt die Stärken des Rationalismus und des Empirismus, die Logik und die denkerische Durchdringung auf der einen Seite und die praktische sinnliche Erfahrung auf der anderen Seite, und fügt beide zusammen. Denken und Erfahren sind beide blind, wenn sie nicht zusammen gesehen und betrieben werden.
Die „kopernikanische Wende“
Kopernikus hat die Perspektive des Menschen verändert, indem nicht mehr die Erde der Mittelpunkt der Welt war, sondern zu einem Planeten wurde, der um die Sonne kreist. Dies hat die Perspektive des Menschen auf die Welt nachhaltig verändert.
Auch bei der Philosophie Kants spricht man von einer „kopernikanischen Wende“, die die Perspektive des Menschen nachhaltig verändert hat.
Indem Kant den subjektiven, je eigenen und persönlichen Zugriff auf die Welt zum Angelpunkt des Wissens über die Welt machte, ist es klar, dass es – wenn wir über die Welt sprechen – nicht um die Welt an sich geht, sondern um die Welt, wie sie von uns wahrgenommen und verarbeitet wird.
Natürlich gibt es eine Welt oder ein Ding „an sich“, unabhängig von unseren Erfahrungen. Aber wir können keine begründete Aussage über das machen, was diesen Horizont der Erfahrung überschreitet. Und dieser Erfahrungshorizont ist subjektiv und inidividuell, zugleich ist die Erkenntnis geordnet durch eine Vernunft, die universell ist. Das, was der Mensch wahrnimmt, ist seine Wahrnehmung einer bestimmten Sache. Betonung liegt auf: „seine Wahrnehmung einer bestimmten Sache“.
Die Erklärung der Welt richtet sich danach, mit welchen Instrumenten wir sie anschauen:
„Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch darin nicht finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hingelegt.“
Wie bei Kopernikus verändert der Mensch bei Kant die Perspektive, mit der er auf die Welt schaut: er wird auf sich selbst zurückgeworfen. Nicht er ist Teil einer Welt, sondern die Welt wird zu einem Teil von ihm.
Kant heute?
Die „Kritik der reinen Vernunft“ ist und bleibt eines der ganz großen Bücher der Philosophie und der Geschichte Europas. Es ging und geht immer für uns Menschen um die Frage: Was kann ich wissen? Wie kann ich mir die Welt erklären? Diese Frage ist absolut grundlegend für jeden Menschen, weil er nur so in der Lage ist, gut in der Welt leben zu können. Dazu muss er sie verstehen und einordnen.
Genau das fällt immer schwerer in einer Zeit, in der die Welt sich täglich verändert, in der man von einer Informationsflut erdrückt wird und in der die Unterscheidung von Fake-News und Fakten oft zu einem Ratespiel wird.
Kant lehrt, Erfahrungen zu hinterfragen und zu reflektieren. Deckt sich das, was ich höre oder sehe, mit dem, was ich über die Welt weiß?
Kant lehrt aber auch, das, was ich an Wissen aus der Erfahrung rausgeholt habe, immer wieder neu auf den Prüfstand zu stellen. Ist die Kenntnis, die ich über die Welt gewonnen habe, auch wirklich mit alten und neuen Erfahrungen gültig?
Kant lehrt an erster Stelle, dass Wissen über die Welt von jedem Menschen selbst errungen werden muss. Es kann kein anderes Wissen über die Welt geben, das nicht an die subjektiven Erfahrungen gekoppelt ist.
Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen:
– Schutz vor Meinungsmache: Es darf kein Wissen von anderen Menschen verbreitet werden, das nicht an belegbare Erfahrungen gekoppelt ist. Entsprechend gilt es, sich vor den Menschen zu hüten, die Thesen aufstellen, die nicht belegbar und überprüfbar sind. Dieses ist auch das große Thema der Aufklärung: es kommt auf den Einzelnen an, Wissen zu erlangen und vernünftig zu urteilen und zu handeln.
– Die Wichtigkeit des gegenseitigen Austauschs. Wenn jeder Zugriff auf die Welt immer subjektiv ist, bedarf es eines guten Austauschs, seine Erfahrungen mit denen anderer abzugleichen. Nicht jeder kann alles wissen und erfahren, aber es muss die Möglichkeit geben, sich über Wissen auszutauschen und auf diese Weise eigenes Wissen und eigene Erfahrung zu erweitern. Die Kraft der universalen Vernunft entfaltet sich im Austausch von Wissen.
Literatur:
Grondin, Jean: Immanuel Kant zur Einführung.
Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft.
Ludwig, Ralf: Kant für Anfänger: Kritik der reinen Vernunft.
Guten Abend Raschi,
Euch liebe Grüße aus dem Sauerland und deiner kleinen Herde alles GUTE
ECHT dein
KRETSCHI
PS Hat mich tierisch gefreut dass zu lesen
Bleibt gesund und an ALLE liebe GRÜSSE von MIR
Was man bis heute nicht (an-)erkannt hat ist, worauf die Erkenntnisse jener Zeit beruhten, was sich unübersehbar darüber darlegt, daß kaum jemand überhaupt den ausgehenden Ursprung der ‘Begründer’ gelesen hat, beziehungsweise berücksichtigt, worin nämlich der Grundstock geschrieben steht, ‘worum’ es sich eigentlich dreht und man somit auch durchgängig einzig auf Verfälschungen trifft. Der Leitfaden dieser Mißlichkeit vollzieht sich durchgängig und begründet sich in diesem Bezug, in des Descartes ‘spezifizieren’ des Denkens, welches sich gemäß seiner Darstellung seines erfahrenden Erlebens der Erstschrift, auf die Separierung – konkret: dessen außen vor stellens der geistigen Vorstellungsbildnissen – gegenüber den Sprachbildnissen beruht. Darauf beruht das Erstreben der sogenannten Rationalisten, welche jedoch im 18. Jh. ihre Entlarvung erfuhr, daß man darin hingegen eine reine Geistesphilosophie zu vollziehen suchte, worin man die Sinneserfahrung selbst voraussetzend außen vor stellte und einzig die geistigen Reflektionen die Ermessung wurden. Der wesentliche Punkt hierin ist, daß man eine mathematische Sprache zu begründen suchte, jedoch gar nicht (er-)kannte, derart sie sich bereits begründete und über die lateinische Sprache ihre entsprechende Etablierung erfuhr. Es war John Locke, welcher aufgrund seines Antreffens der völligen Verwirrung der Sprachsubstanz, daraufhin die Unterscheidung der ‘geistigen Begründung’ zur Aufklärung brachte und damit auch den Grundstock, daß die Bildnisse der Sinne, des Geistes und der Sprache, sich substanziell unterscheiden und das Jeweilige in dem Anderen nicht in Erscheinung treten kann. Darauf begründet sich Kant’s Aufbringen (seiner ausgehenden Dissertation), jedoch später ausführend einzig bezugnehmend auf die geistige Warte, woraus hingegen auch die entstandene Aufklärung seine Verklärung erfuhr, worüber man hingegen allgegenwärtig in seinen Begründungen der naturphilosophischen Etablierungen zu jener Zeit gelangte (separierender Bezug: Selbst-Gefühl). Dies verdeutlicht sich herausragend über den ‘Begriff’, welcher sich gemäß seiner etymologischen Bedeutung begründet: aus dem Ergreifen (der Sinne) begreifen und daraus hervorgehend eine Bezeichnung begründen, worüber sich das jeweilige Gegenständliche spezifiziert und gegenüber anderem differenziert. Des Wesens Kern der Angelegenheit ist, daß Sprache generell keine Bildnisse hat, sondern einzig ein Verweis ist und sein kann, sodaß sie entsprechend auch zum Einen, auf sich selbst verweist, ODER auf die sinnenerfahrenden Bildnisse, was man beim Begriff hingegen auch miteinander kombiniert, gegenüber den rein syllogistisch begründeten Substantiven (die im Ursprung des Dialektes nicht existieren und worüber man darin die Sichtweise umkehrte!). Seine Verdeutlichung erlangt es somit auch, über Kant’s Anwendung des ‘Begriffs’, welcher eben NICHT auf dem Erlangen durch die Sinneserfahrung beruht, sondern sich aus dem Sprachwesen heraus darin ergibt – da die Sinneserfahrung selbst darin gar nicht Inhalt ist (wie auch nicht bei Descartes, welcher überging, was die Sinne im ‘als Selbstbewußtsein’ vermittelten, sondern einzig das daraufhin Erfolgende wahrnahm: sein denken der Worte, welche ihm daraufhin ‘in den Sinn’ kamen).
Wenn die Welt ein Teil von mir ist, dann bin ich auch Schöpfer dieser meinen Welt und mit all den anderen Menschen zusammen, zu dieser Zeit, auf diesen Spielball gekommen, um zu erfahren, zu lernen.
Meine subjektiven Erfahrungen sind nur erfahrbar durch den direkten Vergleich bzw. Kontrast zu den Erfahrungen der Mitmenschen, zu meiner Zeit und der vergangenen. Leid und Freud, heiß und kalt können nicht ohne einander erfahren werden. Dazu braucht es ein Gegenüber. Viel interessanter ist die Frage nach der Zeit, welche Auswirkung hat meine Zeitgeschichte auf mich und welche Auswirkung habe ich auf die Zeitgeschichte?
Da ich die Welt individuell erfahre: logisch und geistig oder bildhaft und emotional, gibt es auch kein besser oder schlechter. Bestenfalls habe ich damit meine eigene Ordnung hergestellt:
„Die Ordnung und Regelmäßigkeit an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und würden sie auch darin nicht finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur unseres Gemüts ursprünglich hingelegt.“