Es war am letzten Freitag. Ich fuhr von Frankfurt nach Rotterdam und hörte im Radio noch einmal einen Mitschnitt der „Wutrede“ von Greta Thunberg. Mit Tränen beklagte sie sich über die „leeren Worte“ der Politiker: „Wir werden sterben!“

Ich kam gerade aus Frankfurt von der Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik. Dort hat in einer Diskussion ein Gewerkschaftsvertreter sein Plädoyer für Nachhaltigkeit ebenfalls mit den Worten beschlossen: „Wir werden sterben!“

Was passiert da gerade?

 

Um hier nicht gleich in die Ecke der „Klimaleugner“ gestellt zu werden: auch ich teile die Anliegen von Klima- und Umweltschutz. Aber alleine die Tatsache, dass man darauf hinweisen muss, bevor man sich über dieses Thema äußert, verrät sehr viel darüber, wie die öffentliche Diskussion verläuft. Und da machen mich verschiedene Dinge doch sehr stutzig.


Religion

Was ich als erstes verstörend finde: es ist die Sprache religiöser Apokalyptik. Ein Ende der Welt wird beschworen, das durch die Veränderung des persönlichen Verhaltens aufgehalten werden kann.

Nicht nur aufgrund meiner religiösen Vergangenheit als Priester, sondern auch als historisch sehr interessierter Mensch habe ich mich sehr intensiv mit solchen Reden beschäftigt, die immer wieder im Laufe der Geschichte auftauchten – aber nie gut waren, weil sie immer einen Fanatismus anheizten.

Quelle: www.faz.net

Diese Reden kannten keine Kompromisse, keine Grauzone, sie kannten nur schwarz oder weiß: Entweder folgst du mir und rettest die Welt, oder du folgst mir nicht, dann wird wegen dir die Welt untergehen.

Das ist zu dick aufgetragen? Wie sind denn Äußerungen von Greta Thunberg zu verstehen, wenn sie sagt: „Klima verträgt keine Kompromisse“ oder „Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre“?

Da gerät etwas aus den Fugen, bei dem ich mich nicht wohl fühle – gerade aufgrund der Tatsache, dass solche Mechanismen sich im Laufe der Geschichte immer als sehr gefährlich herausgestellt haben.

Hinter diesen Äußerungen steckt der Anspruch, eine bestimmte Wahrheit genau zu kennen und diese Wahrheit kompromisslos gegen jeden durchzusetzen – auch gegen demokratische Mehrheiten. Dass die Aktivisten selbst zweideutige Äußerungen über die Demokratie machen: geschenkt.

Was mich mehr mit Sorge erfüllt, ist die Tatsache, in den letzten Monaten auch mit Philosophen oder Politikern gesprochen zu haben, die eigentlich zutiefst demokratisch ticken und die mir sagten: „Das Thema Klima ist so wichtig, dass das notfalls auch gegen demokratische Mehrheiten durchgesetzt werden muss.“

Wenn sich schon Personen so äußern, die professionell Politik betreiben oder Politik professionell analysieren: Was passiert da gerade?

Es ist keine Frage, dass auch die Kritik am Klima-Aktivismus und speziell an Gretha Thunberg gewisse Grenzen massiv überschreitet. Die mediale Wucht ist aber auf der anderen Seite. Und offensichtlich auch die Fähigkeit, eigentlich demokratisch gesinnte Leute dahin zu bringen, die Demokratie zu relativieren. Und das macht Sorge.

 

Jugend

Vor 1,5 Wochen war ich zufällig in Berlin, als eine riesige Friday-for-future-Demo durch die Stadt rollte.

Dass ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum eine solche Demo zur Schulzeit stattfinden muss und man auf Bildung verzichtet, um keine Freizeit zu opfern: ich werde eben alt und spießig.

Was mir beim Anblick der bei McDonalds am Bahnhof Friedrichstraße Schlange stehenden Jugendlichen allerdings auffiel: hier demonstriert gerade die Generation für das Klima und gegen den Konsum, die wie keine andere Generation in der Menschheitsgeschichte zuvor konsumiert. Alleine der Internetkonsum (und hier vor allem das Video-Streaming) verbraucht mittlerweile mehr Energie als der gesamte Flugverkehr. Tendenz steigend.

Quelle: www.t-online.de

Diese Generation der Jugendlichen konsumiert mehr als jede andere Generation der Geschichte zuvor – nicht, weil sie dümmer oder böser ist, sondern weil sie die erste Generation ist, die so viel konsumieren kann und die mit dieser Art Konsum groß wird.

Was mir in Berlin sehr bewusst vor Augen geführt wurde, war die große Diskrepanz zwischen dem hohen moralischen Anliegen und dem Willen, im eigenen persönlichen Leben wirklich etwas zu ändern.

Ändern soll sich das „System“ (was ist das überhaupt genau?), also das, was die Gesellschaft regiert. Dann kann man sagen, schaltet Kohle und Kernenergie ab, mein Handy läuft aber weiter.

Das laste ich ihnen erst einmal nicht an. Die Richtigkeit einer Botschaft muss nichts zu tun haben mit denen, die diese Botschaft vertreten. Der für mich relevante Punkt an der Sache ist nicht der Einsatz für das Klima, sondern die pauschale Kritik an den Generationen vor ihnen – ohne auch nur verstehen zu wollen, dass der eigene Konsum höher ist als derjenige der kritisierten Generationen.

Diesen Jugendlichen (den meisten zumindest) ist es durchaus ernst mit dem Thema Klima. Aber Schuld sind nicht sie selbst, sondern die Generationen davor, das System, die Kohlelobby oder wer auch immer. Aber nicht ihr persönlicher Konsum. Was es einfach macht, zu demonstrieren. Aber nicht unbedingt einer vernünftigen Diskussion förderlich ist.


Vernunft

Und damit kommen wir zu einer weiteren Baustelle: Vernunft.

Als ich vor ein paar Jahren an der Uni in Eichstätt in der Philosophie eine Vorlesung zum Thema „Ökologie“ vorbereitete, fiel mir folgendes auf: der öffentliche ökologische Diskurs wie auch die „ökologische Bewegung“ verfügen über kein systematisches Fundament, sondern sind sehr „augenblicksgetrieben“: es wird aus einer bestimmten konkreten Situation heraus entschieden, aber diese Entscheidungen werden nicht auf eine systematische Basis gestellt, nicht gegeneinander abgewogen.

Dies ist sogar bei vielen – nicht bei allen! – philosophischen Autoren der Fall, die sich mit umweltethischen Fragen beschäftigen: es ist eher der Blick auf einzelne, konkrete Situationen, weniger der Blick auf das Ganze.

Was passiert, wenn dieser Blick auf das Ganze fehlt? Die systematische Grundlage? Dann wird es beispielsweise problematisch, wenn ein Wasserkraftwerk in einem naturbelassenen Alpental errichtet werden soll: Klimaschutz oder Umweltschutz? Was zählt jetzt? Oder die Windkraftanlagen tonnenweise Vögel und Insekten schreddern: was zählt mehr?

Diese Dinge passen irgendwie nicht nebeneinander und werden viel zu wenig auf eine gemeinsame inhaltliche Grundlage hin thematisiert: Was ist eigentlich Natur? Welche Rolle darf die Technik spielen? Welche Rolle darf der Mensch spielen? Was ist Leben? Wann ist es schützenswert und wann nicht?

Aus dieser mangelnden systematischen Diskussion ergibt sich eine Blockade, die dazu führt, dass zwar viel passiert, aber wenig geschieht. Nur so ist erklärbar, dass etwa die Bundesregierung in den letzten Jahren bislang 300 Milliarden für den Klimaschutz ausgegeben hat, effektiv aber dennoch kein CO2 spart, weil die verschiedenen Instrumente sich gegenseitig blockieren und einfach der gut durchdachte rote Faden fehlt.


Fazit

Das eine ergibt sich aus dem anderen. Die religiöse Sprache, die Selbstsicherheit, die Wahrheit zu besitzen, die Kompromisslosigkeit, das Schwarz-Weiß-Denken: so kommt kein Diskurs zustande. Dieses Abwürgen des Diskurses hat zwei Ebenen.

Die eine Ebene ist die inhaltliche: neue Möglichkeiten des Klima- und Umweltschutzes können nicht gedacht werden, Wissenschaftler, die dem vermeintlichen Konsens widersprechen, werden nicht gehört.

Die andere Ebene ist die strukturelle: diese Haltung, keine Kompromisse zu kennen, ist demokratiegefährdend. Weil die Demokratie von Kompromissen lebt, von der Grundhaltung, auch die Meinung des anderen zu akzeptieren, wenn sie einem nicht passt.

Einziges Kriterium, die Meinung des anderen nicht zu akzeptieren, sind die im Grundgesetz und von den Vereinten Nationen beschriebenen Grundrechte des Menschen (Grüße an die AfD), aber nicht das Klima. Wenn Aktivisten diese Rechte bewusst aushebeln wollen mit dem Hinweis auf die akute Bedrohung durch das Klima und das nahe Ende der Menschheit, dann ist das schlicht und einfach demokratiegefährdend.

Der Glaube an den Besitz einer unumstößlichen Wahrheit kann große Sicherheit und moralische Festigkeit bieten, er dient nie der Entdeckung neuer Wahrheiten und er dient nie einem freien, demokratischen und vernünftigen Diskurs. Und der ist zur Zeit durchaus gefährdet –  nicht nur von Klima-Aktivisten, sondern auch von denen, die Greta Thunberg nicht nur sachlich kritisieren, sondern ihren ganzen Haß auf ihr abladen. Der Glaube an absolute Wahrheiten kann beide Seiten blind und dumm machen.

 

Es ist durchaus heikel, sich kritisch zur aktuellen Klimadebatte zu äußern. Nicht, dass man Angst haben müsste, von der deutschen Klimapolizei verhaftet zu werden (erst recht nicht hier im holländischen Exil), aber die Diskussion ist derart aufgeheizt, dass man sich öffentlich disqualifiziert und mit dem schlimmsten aller Worte belegt wird („Klimaleugner“), wenn man – wie ich – Klima- und Umweltschutz als große Ziele der heutigen Gesellschaft voll anerkennt, aber durchaus gewichtige Anfragen daran hat, wie dieses Thema eigentlich behandelt wird.

Alleine die Tatsache, wie man mit Leuten umgeht, die sich zu diesem Thema nicht dem vermeintlichen Konsens gemäß äußern, ist für mich schon Grund, sich dazu zu äußern.