Jan Vermeer lebte im 17. Jahrhundert in der holländischen Stadt Delft. Aus seinem Leben ist nicht viel bekannt, es sind nur wenige Eckdaten. Er malte nicht viel, vielleicht 1-2 Bilder pro Jahr, aber das Wenige, das er malte, zählt heute zum Größten der europäischen Malerei: eine Präzision und eine Farbgebung, die ihresgleichen sucht und viele Maler, Schriftsteller und Filmschaffende inspiriert hat. Ich will nicht verhehlen, dass Vermeer für mich zu meinen absoluten Lieblingskünstlern gehört. Umso mehr hat es mir durchaus einen Schlag versetzt, als vor einigen Tagen zwei Klima-Aktivisten sich an Vermeers berühmtestes Bild, das „Mädchen mit dem Perlenohrring“, klebten.

Claude Monet, Getreideschober (Quelle: wikimedia)

Seit jetzt mehreren Wochen werden Kunstwerke mit Lebensmitteln beworfen, beklebt oder beschädigt, die zur Creme de la Creme der europäischen Kunst gehören: Vermeer, van Gogh, Monet, Rubens, Raffael, Botticelli, Poussin, Picasso, da Vinci usw.

Es ist klar, dass die Aktivisten mit diesen Aktionen Aufmerksamkeit erzeugen wollen. An dieser Stelle muss nicht diskutiert werden, ob es besser ist, Gemälde zu beschädigen oder Straßen und damit auch Notfalltransporte zu blockieren.

So oder so geht es um Aufmerksamkeit. Dieser Text hier ist ein Beweis dafür, dass diese Rechnung aufgeht.

Die andere Rechnung dürfte nicht aufgehen: die Menschen für ihr Anliegen zu begeistern. Die einzig wahrnehmbaren Effekte dieser Aktionen werden allgemeines Unverständnis und höhere Eintrittspreise aufgrund höherer Sicherheitsmaßnahmen sein. Als ob irgendwer von den Zielen der Klimabewegung überzeugt werden würde, weil am Monet Kartoffelsuppe hängt oder am Vermeer ein Klima-Aktivist.



Die Aktivisten begründen ihre Aktionen damit, dass sie auf die Dringlichkeit des Klimawandels hinweisen wollen. „Dieses Gemälde“, so wird gesagt, „ist doch weniger wert als die „richtige“ Welt, die ihr jeden Tag zerstört!“ Ganz abgesehen davon, dass dieser Vergleich schon deshalb Blödsinn ist, weil das Gemälde dem Klima keine Ressourcen klaut: das Problematische an dieser Begründung ist ihre allgemeine Gültigkeit: auch die Radfahrerin, die zu spät medizinisch versorgt werden konnte, ist also weniger wert als die Welt, die jeden Tag zerstört wird. Oder nicht? Wer misst das? Und wie?

 

Die große Gefahr in dem, was diese Aktivisten tun, liegt darin, dass sie das messen. Und da das Klima die ganze Welt zerstört, ist natürlich nichts soviel wert wie das Klima und kann damit zerstört werden um auf den Wert des Klimas aufmerksam zu machen. Es ist eine gefährliche Mischung, weil man mit dieser Begründung alles machen kann.

 

Vincent van Gogh, Sonnenblumen (Quelle: wikimedia)

Dabei wenden sich die Aktivisten explizit gegen die Demokratie, gegen deren Gesetze sie verstoßen und die sie als unzulänglich und damit ablösungsbedürftig ansehen, weil sie eben nicht entschlossen genug gegen die Klimaveränderung vorgeht. Das Klima drängt und wenn die Demokratie sich nicht schnell genug bewegen kann, wird sie überflüssig: „Zeit und Demokratie vertragen sich nicht!“

Es ist ein tiefer Frust auf Seiten der Klima-Aktivisten. Sie kämpfen seit vielen Jahren für ihre Ziele, sehen aber nicht, dass der Staat bzw. die Demokratie mitzieht. Was nun? Man ist in der Sackgasse. Die eine Möglichkeit: im Rahmen der Demokratie und der Gesetze weiterkämpfen. Dazu reicht die Zeit nicht mehr, so die Aktivisten.

Dann bleibt nur ein Kampf, der sich auch gegen die Gesetze und gegen die Demokratie richten kann. Aus Ohnmacht wird Gewalt.



Es kann an meiner religiösen Biographie und an meinen kirchengeschichtlichen Kenntnissen liegen, dass ich sehr allergisch reagiere, wenn bestimmte Anliegen apokalyptisch begründet werden: ihr müsst das jetzt tun, weil bald die Welt untergeht. Aus dem: ihr müsst das jetzt tun! wird schnell ein: deshalb darf ich es jetzt tun, weil bald die Welt untergeht.

 

Ein weiteres, das ich aus der Geschichte gelernt habe: die absichtliche Zerstörung von Kunst war nie gut. Dahinter steckte immer die Meinung, dass es nur das eigene Denken und die eigene Ideologie geben darf und dass alles vernichtet werden muss, was dieser Ideologie widerspricht. Die Klima-Aktivisten stellen sich mit ihren Aktionen in eine Reihe von Kunstzerstörern, in die sie eigentlich nicht einsortiert werden wollen.

 

Was ist Kunst? Was macht sie so wertvoll?

Jan Vermeer, Das Mädchen mit dem Perlenohrring (Quelle: wikimedia)

Große Künstler wie Vermeer oder van Gogh oder Monet haben in ihren Bildern neue Welten erschlossen. Das Große des Menschen ist ja, dass er sich über seine Welt erheben kann. Diese Künstler haben den Menschen gezeigt, dass man die Welt anders sehen kann, tiefer, neuer, subjektiver. Sie haben aus ihrem Gefühl und ihrer Inspiration heraus in ihren Bildern ihre Sicht auf die Welt dargelegt und wir heute können viel daraus lernen.

Wenn dann darauf verwiesen wird, dass ja der Tomatenfleck auf dem Kunstwerk selbst Kunst sei, ist das eine perverse Verdrehung, denn hier geht es nicht um Kreation, sondern um Destruktion, nicht um künstlerisches Schaffen, sondern um Hass und Zerstörung.

Die Klima-Aktivisten wenden sich gegen die Kunst, weil sie in dieser Kunst ein elitäres Projekt sehen, den Genuss einer Gesellschaft, die es nicht verdient hat, etwas zu genießen. Damit verkennen sie allerdings den Charakter der Kunst, die nicht elitär sein will, sondern allen Menschen etwas erzählen will, letztlich von der Schönheit der Welt und des Menschseins. Vielleicht wäre diese Sicht auch für die Aktivisten wichtig: man muss nicht nur wissen, wogegen man kämpft, man muss auch wissen, wofür.