Die Reihe der Klassiker setzt sich fort mit einem Werk, das zu den berühmtesten, aber auch umstrittensten der europäischen Geistesgeschichte gehört und seit seinem Erscheinen genauso viele hymnische Verehrer wie kritische Verächter hervorgebracht hat: Machiavellis „Fürst“ aus dem Jahre 1513.

Niccolò Machiavelli hatte ein durchaus bewegtes Leben, das von den vielen politischen Aufs und Abs der italienischen Renaissance geprägt war. Er wurde 1469 in Florenz geboren und machte als Politiker und Diplomat bereits in jungen Jahren Karriere in seiner Heimatstadt. Hierbei geriet die Republik Florenz zwischen die Stühle der Machtkämpfe jener Zeit, was nicht immer glimpflich verlief – weder für die Republik, noch für Machiavelli.

1512 kamen die Medici wieder an die Macht, Machiavelli – ein Gegner der Medici – wurde seiner Ämter enthoben. 1513 scheiterte ein Komplott gegen die Medici, an dem Machiavelli wohl nicht beteiligt war, aber als Gegner der Medici mehrere Male gefoltert wurde. Die Republik war am Ende, Machiavelli zog sich auf einen Landsitz zurück und verfasste sein berühmtestes Werk: „Il principe“, „Der Fürst“. 1527 verstarb Machiavelli.


“Der Fürst”

„Der Fürst“ Machiavellis ist legendär geworden als ein skrupelloses Werk, das Politikern jahrhundertelang bis heute gute Dienste erweist, mit moralisch durchaus fragwürdigen Methoden an die Macht zu kommen oder die Macht zu erhalten.

Was hat diesem Werk einen solchen Ruf verpasst?

Niccolò Machiavelli; Quelle: www.wikipedia.de

Um es kurz zu sagen: Machiavelli schreibt über das, was passiert, nicht über das, was passieren soll: „Denn die Art, wie man lebt, ist so verschieden von der Art, wie man leben sollte, dass, wer sich nach dieser richtet statt nach jener, sich eher ins Verderben stürzt, als für seine Erhaltung sorgt. Denn ein Mensch, der in allen Dingen nur das Gute tun will, muss unter so vielen, die das Schlechte tun, notwendig zugrunde gehen.“

Machiavelli geht sehr präzise der Frage nach, wie eigentlich Macht funktioniert. Dabei interessieren ihn moralische Vorstellungen erst einmal gar nicht – nur dann, wenn sie Einfluss auf die Frage der Macht haben. Dies kann man als amoralisch verurteilen, aber es ging Machiavelli nicht darum, ein Buch darüber zu schreiben, was moralisch gut und toll für einen Politiker wäre, sondern darüber, wie ein Politiker an der Macht bleiben kann und welche Gründe es hat, wenn der Politiker scheitert.

Ein Beispiel: Wenn ein Herrscher gewaltsam die Macht erringt, so Machiavelli, dann soll er direkt am Beginn seiner Herrschaft „alle notwendigen Gewalttaten auf einen Schlag ausführen“. Danach würden sich die Menschen beruhigen, da die Gewalttaten dann vergessen würden. Die Wohltaten hingegen sollten dosiert und immer häppchenweise erfolgen, damit sie immer präsent sind.

Jetzt kann man natürlich einwenden, dass Machiavelli dazu aufruft, Gewalt anzuwenden. Aber das stimmt nicht. Er ruft nicht zu Gewalt auf, sondern er analysiert sehr nüchtern, wann Gewalt durch die Herrscher welche Folgen hat.

So lobt Machiavelli durchaus, wenn ein Herrscher „sein Wort hält und rechtschaffen und ohne List verfährt“, aber es ist eben nicht realistisch, wenn er an der Macht bleiben will. Die Menschen, so Machiavelli, sind nicht ehrlich. Wie sollte ein Herrscher als ehrlicher Mensch über sie herrschen können?

 

Abseits der moralischen Fragen geht es Machiavelli letztlich um eine große, sehr spannende Frage: was ist eigentlich Macht und wie funktioniert sie?

Niccolò Machiavelli, Quelle: www.flickr.com

Hierbei diagnostiziert Machiavelli, dass es eigentlich keinen gesellschaftlichen Raum gibt, in dem es nicht auch um Macht geht. Diese Macht ist von vielen Faktoren abhängig, die Machiavelli nach und nach durchgeht. Diese Macht hat immer Grenzen in der Macht des Anderen und muss sich gegen diese behaupten, wenn sie nicht untergehen will. Machiavelli erzählt davon, wie sie sich behaupten kann und davon, warum sie untergeht, wenn sie untergeht.

Das Menschenbild, das Machiavelli hat, klingt nicht sehr positiv: die Menschen sind egoistisch, auf ihren Vorteil bedacht. Sie werden von Emotionen geleitet und sind oft nicht in der Lage, vernünftig eine Situation zu beurteilen. Sie sind manipulierbar, wenn sie sich dabei einen Vorteil versprechen.

Machiavelli schreibt immer wieder, dass moralische gute Handlungen des Herrschers aus ethischen Gründen vorzuziehen sind. Aber ein Herrscher, der sich auf diese Handlungen verlässt, wird an seine Grenzen stoßen. Diese Grenzen sind letztlich im menschlichen Verhalten und in der menschlichen Natur begründet. Dies kann man verurteilen; dagegen sprechen leider die Erfahrungen, die Machiavelli sowohl selbst aus seinem Leben ziehen musste als auch die Erfahrungen, die der Lauf der Geschichte bereit hält.


“Der Fürst” heute

Bücher wie „Machiavelli für Manager“, „Was hätte Machiavelli getan? Bosheiten für Manager“ oder „Der kleine Machiavelli. Handbuch der Macht für den alltäglichen Gebrauch“ bezeugen die große Faszination und die große Alltagstauglichkeit, die Machiavelli bis heute besitzt. Was kann man von Machiavelli lernen, abgesehen von allen möglichen Tricks und Kniffen, sich in Machtspielchen durchzusetzen?

Das Wichtigste: Sieh das, was ist, nicht das, was sein soll.

Jeder hat eine Vorstellung davon, wie die Wirklichkeit eigentlich aussehen sollte. Die eigene Wirklichkeit genauso wie die Wirklichkeit, die einen umgibt. Diese Vorstellungen sind nicht zu vermeiden, aber sie dürfen eben nicht den Blick auf die Realität verstellen. Wenn Machiavelli etwas lehrt, dann einen sehr nüchternen, gerade spröden Umgang mit der Wirklichkeit.

Einen solchen realistischen Blick auf die Wirklichkeit braucht es, wenn es darum geht, tragfähige Entscheidungen zu treffen. Gute Entscheidungen setzen eine realistische Beurteilung der Wirklichkeit voraus: Ist das, was ich vorhabe, überhaupt möglich? Oder geht mein Plan von Voraussetzungen aus, die vielleicht meinen Träumen entsprechen, aber nicht real sind?

Es ist keine Frage: man braucht Träume, Ideale, Werte, um etwas zu bewegen – auch sich selbst. Man braucht Ziele, die man ansteuert. Aber diese Ziele dürfen nicht die Realität überdecken, weil die Träume dann nur Träume bleiben.

Machiavelli lehrt, ganz genau hinzuschauen und sich nicht blenden zu lassen. Weder von sich selbst, noch von anderen Menschen. Ein solcher Blick auf die Welt kann manchmal erschrecken. Dies erklärt die Wirkung, die dieses Buch seit Jahrhunderten auf seine Leser erzeugt.

 

Literaturempfehlungen:

Machiavelli, Niccolò: Der Fürst.

Machiavelli, Niccolò: Discorsi. Vom Staate.

Reinhardt, Volker: Machiavelli: oder die Kunst der Macht.