Wie ethisch ist der Markt? Ist es besser, wenn der Markt frei ist oder muss er eingeschränkt werden? Diese Frage stellt sich gerade in diesen Tagen, in denen Wirtschaftsminister Altmaier von staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft spricht oder andere Politiker wieder das Wort „Enteignung“ in den Mund nehmen.

Der Konflikt um den Markt lässt sich sehr gut darstellen anhand der beiden wesentlichen Protagonisten, die bis heute beispielhaft für die beiden Pole Marktfreundlichkeit und Marktfeindschaft stehen: Adam Smith und Karl Marx.


Adam Smith

Adam Smith (1723-1790) veröffentlichte 1776 ein Buch, das bis heute ein Klassiker der Ökonomie ist: „Wohlstand der Nationen“.

Wohlstand, so Smith, entsteht durch Arbeit. Damit sich die Arbeit frei entfalten kann und jeder der Arbeit nachgehen kann, die er ausüben will, darf sich der Staat möglichst nicht in die Wirtschaftsabläufe einmischen. Diese werden vom Markt als einer „unsichtbaren Hand“ so geregelt, dass Angebot und Nachfrage, die Preise und die Arbeitsabläufe immer neu so aufeinander abgestimmt werden, dass sie funktionieren.

Adam Smith (1723-1790), Quelle: www.wikipedia.org

In jedem Menschen steckt von Natur aus der Wunsch, seinen Wohlstand zu mehren. Dies motiviert ihn zu arbeiten, Eigentum zu erwerben und mit anderen Güter auszutauschen. Das, was diesen freien Austausch behindert, bremst den Wachstum des Wohlstands: dies gilt für den Staat genauso wie für Kartelle. Der Staat hat die Aufgabe, die Freiheit und das Eigentum seiner Bürger zu schützen sowie für die Infrastruktur und die allgemeine Bildung zu sorgen. Der Staat hat sich jedoch aus dem Wirtschafts- und Arbeitsleben herauszuhalten: je freier der Markt ist, desto gerechter ist er auch.

Die „unsichtbare Hand“ wird die Arbeit dort verteilen, wo sie gebraucht wird, und wird auch für eine gerechte Entlohnung sorgen – sofern sie nicht durch andere Absprachen bzw. Kartelle torpediert wird. Motor der wirtschaftlichen Entwicklung ist das Kapital, das dem wirtschaftlichen Kreislauf nicht entzogen werden darf, sondern diesen immer wieder befeuern muss.

 

Die Ethik des Marktes

Smith begreift seine Ökonomik als Weiterführung der Ethik: durch seine wirtschaftliche Tätigkeit mehrt der Einzelne nicht nur seinen eigenen Wohlstand, sondern auch den der Gesellschaft. Das Glück des Einzelnen befeuert das Glück der Allgemeinheit. Ethik und Markt werden für Smith nahezu deckungsgleich: der freie Markt, nicht überlieferte Werte geben dem Menschen die Richtung vor, wie er zu leben hat. Dabei ist zu beachten: der Markt zwingt keinen in direkter Weise. Man entscheidet sich in Freiheit, am Markt teilzunehmen, aber das kann man nur erfolgreich, wenn man den Regeln des Markts folgt bzw. dem, was die „unsichtbare Hand“ tut.

Die „klassische Nationalökonomie“ von Smith verstand sich nicht als eine ethische Lehre, und doch besitzt sie ethische Voraussetzungen: das Bild eines Menschen, der mit Freiheit und Vernunft agiert. In dieser Freiheit mehrt er durch seine Arbeit den wirtschaftlichen Wohlstand und schafft damit sich selbst sowie der gesamten Gesellschaft einen Nutzen. Diese Lehre ist zugleich eine scharfe Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen, die oftmals noch durch den Adel bzw. durch die Monarchie geprägt waren. Nicht mehr der Stand, sondern die Leistung des Einzelnen sollten nun über die Verteilung der Güter entscheiden – aber so, dass auch die Armen daran partizipieren sollen.


Karl Marx

Der große Kritiker des Marktes ist Karl Marx (1818-1883). Die Lehre von Karl Marx hat sich im Laufe der weiteren Geschichte als überaus wirkmächtig erwiesen: der Kommunismus gehörte im 20. Jahrhundert zu den bestimmenden Ideologien. Unabhängig davon, wie erfolgreich nun die Umsetzungen der Lehre von Marx bisher gewesen sind, übt sie noch immer einen großen Einfluss aus, den man kaum überschätzen kann.

Karl Marx (1818-1883), Quelle: www. quillette.com

Worum genau geht es Marx? Die klassische Nationalökonomie von Smith, auf die sich Marx bezieht, fordert durchaus die gerechte Entlohnung des Arbeiters. Gerecht heißt hier: gemessen am Wert der Arbeit. Diese Entlohnung jedoch, so die Kritik durch Marx, ist nicht angemessen: der Lohn entspricht nicht dem Wert der Arbeit, weil er den Mehrwert des in der Arbeit Produzierten nicht beinhaltet. Indem die so hergestellte Ware gehandelt wird, entsteht Kapital, das sich im Besitz der „Kapitalisten“ befindet.

Die kapitalistische Wirtschaft, so Marx, beruht somit letztlich auf der Ausbeutung des Arbeiters. Innerhalb der Gesellschaft bilden sich Klassen heraus, die durch ihren unterschiedlichen Zugang zum Kapital definiert bzw. durch die Tatsache, auszubeuten oder ausgebeutet zu werden. Marx ruft die Arbeiter auf, gegen die Ausbeuter einen Klassenkampf zu führen und eine klassenlose Gesellschaft durchzusetzen. Diese klassenlose Gesellschaft wird geprägt durch die Herrschaft der Arbeiterschaft, des Proletariats. Die Herrschaft des Kapitals kann nur gebrochen werden durch die Abschaffung des Privateigentums. An die Stelle des Kapitals tritt die Arbeiterschaft, die Diktatur des Proletariats, die sich in den Besitz der Produktionsmittel setzt und den Arbeiter wieder mit sich und seiner Arbeit versöhnt.

 

Die Ethik des Sozialismus

Die ökonomische Lehre von Karl Marx ist nicht zu verstehen ohne ein bestimmtes Bild vom Menschen. Marx erkennt, dass im kapitalistischen System etwas im Menschen grundverkehrt läuft: aus dem Menschen, dem eigentlichen Subjekt der Handlungen, wird ein Objekt: er dient einem bestimmten Zweck, der Produktion. Umgekehrt wird aus dem Produzierten ein Subjekt: es hat einen Eigenwert und führt sogar in geradezu magischer Weise ein Eigenleben. Mensch und Ware tauschen ihre Rollen: aus dem Herrscher wird ein Beherrschter und umgekehrt.

Das Ziel von Marx ist die Freiheit des Menschen, der die Fesseln des Kapitalismus abstreifen muss, um sich frei entfalten zu können. Diese Freiheit ist dialektisch verbunden mit einer Diktatur: der des Proletariats, die die Herrschaft des Kapitals und den Wunsch nach Kapital zu brechen hat. Solange dieser Wunsch vorhanden ist, bedarf es der Diktatur, die erst den Weg zur Freiheit eröffnen kann.

Neben dem ökonomischen Aspekt hat die Lehre von Karl Marx klare ethische Aspekte. Diese ergeben sich aus Deutung der menschlichen Natur und seinen Zielen, die er für den Menschen vorsieht. Marx erkennt in den Menschen – zumindest in den Menschen, welche die Möglichkeit dazu haben: den Bürgern – einen Hang, ihr Vermögen zu vermehren. Diesen Hang erkennt auch sein großer Kontrahent Adam Smith, aber er deutet diesen Hang positiv als die wesentliche Triebfeder des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts.

Marx sieht die negativen Konsequenzen in den Opfern dieser Entwicklung, die durch das Handeln der Kapitalisten unterdrückt werden. Dies gibt Marx die Möglichkeit, die Freiheit des Menschen gegenüber den höheren Zielen der Gesellschaft einzuschränken – im Unterschied zu den Vertretern der klassischen Nationalökonomie, die gerade diese Freiheit schützen wollen.

Natürlich weiß Marx um den Wert der Freiheit. Aber er setzt sie nicht so hoch an wie den Wert des allgemeinen Wohlergehens, weswegen dieses erst einmal durch eine Diktatur durchgesetzt werden muss. Umgekehrt weiß auch Smith um die Schattenseiten des Kapitalismus. Aber diese sind für ihn nicht so gravierend, dass sie dazu berechtigen, die menschliche Freiheit einzuschränken – unabhängig davon, dass Smith der Überzeugung ist, dass diese Schattenseiten sich auch kapitalismusimmanent korrigieren lassen.

Marx erkennt, dass eine Gesellschaft auf Dauer nicht lebensfähig ist, wenn sie auf dem Egoismus des Einzelnen gegründet ist. Smith erkennt, dass eine Gesellschaft auf Dauer nicht lebensfähig ist, die die Freiheit des Einzelnen nicht schützt.


Fazit

Unabhängig von der ökonomischen Theorie und der ökonomischen Realität, die sowohl Kommunismus als auch Kapitalismus hervorgebracht haben, verfügen beide Lehre über wichtige ethische Grundlagen. Es geht bei beiden Lehren um die ethische Frage, wie das Verhältnis des Einzelnen zur Allgemeinheit gestaltet werden soll: geht es der Allgemeinheit besser durch den Einzelnen oder trotz des Einzelnen?

Der Unterschied zwischen beiden liegt damit in der Einschätzung dessen, was eigentlich der Mensch ist: ist er ein Wesen, dem man erst einmal unterstellen muss, dass es positiv handelt, wenn es frei ist, oder ist er ein Wesen, das eher negativ handelt und das man vor sich selbst schützen muss?

Das entscheidende bei dieser Fragestellung: wenn man davon überzeugt ist, dass die Allgemeinheit den einzelnen Menschen vor sich selbst schützen muss, dass also die persönliche Freiheit durch die Gesellschaft sehr umfangreich eingeschränkt wird, gelangt man zu den Fragen:

  • Wer legt denn eigentlich fest, welche Ziele und welche Werte die wichtigen Ziele der Allgemeinheit sind?
  • Wer entscheidet darüber, dass die persönliche Freiheit des Einzelnen eingeschränkt wird?

Hier tut sich ein großes Tor für Machtmissbrauch auf: Jede Meinung, dass die Allgemeinheit prinzipiell und erst einmal vor dem Einzelnen kommt, der Wille für den Allgemeinwillen zu sprechen – und dies auch als Minderheit – und diesen Allgemeinwillen auch gegen den Einzelnen durchsetzen zu wollen, beinhaltet zumindest die Gefahr der Diktatur.

Marx’ großes Verdienst – das bis heute bedeutend ist – liegt in seiner Kritik an den aktuellen Verhältnissen. Diese Kritik braucht es immer, weil es immer Menschen geben wird, die zu Opfern der aktuellen Verhältnisse werden und deren Stimme schnell überhört wird. Diese Fähigkeit der Kritik gibt dem Marxismus eine bleibende Bedeutung (vgl. den Blog 200 Jahre Karl Marx). Aber die inhaltlichen und ethischen Schwierigkeiten seiner Lehre sind nicht zu leugnen.

Wenn die Freiheit des Einzelnen der Allgemeinheit prinzipiell nachgeordnet ist, ist sie faktisch nicht vorhanden.

Die realpolitischen Nachfolger von Marx haben zumindest nicht bewiesen, dass diese Befürchtung von der Hand zu weisen ist. Insofern hat sich der Weg von Adam Smith als der dem Menschen als freiem Wesen angemessenere herausgestellt: nicht die Freiheit nur da zuzulassen, wo sie der Allgemeinheit nicht widerspricht, sondern die Freiheit nur da einzuschränken, wo sie dem Allgemeinwohl widerspricht. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.

Zuerst kommt die Freiheit, weil es letztlich um die Würde des Einzelnen geht. Ein Mensch hat eine Würde, nicht die Allgemeinheit.

 

Literaturempfehlungen:

Marx, Karl: Das Kapital.

Smith, Adam: Wohlstand der Nationen.