Wissen Sie, in welchen Fachdisziplinen an der Universität die meisten Bücher aus der Bibliothek geklaut werden?

Es sind die Juristen und die Theologen. Man kann jetzt lange darüber spekulieren, warum ausgerechnet die beiden Fachdisziplinen, in denen es ja um Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit gehen sollte, hier auffällig sind. Aber halten wir fest: es gibt massenhaft Studien über Studenten: ihre Stärken, Schwächen, Eigenschaften usw.

Nun gibt es seit jeher auch zahlreiche Studien, die bestimmte Eigenschaften der Philosophie-Studenten belegen: sie seien bessere Denker und Logiker und wären in der Lage, komplexe Probleme zu lösen.

Das Problem dieser und vieler anderer Studien war das von Korrelation und Kausalität: Ist es jetzt das Studium, das die Studenten zu besseren Denkern macht oder ist es nicht so, dass es gute Denker in dieses Studium zieht und sie deshalb besser abschneiden? Und worin genau schneiden Studenten der Philosophie eigentlich besser ab?

Die Studie

Eine kürzlich, am 11. Juli 2025, von Michael Prinzing und Michael Vazquez im „Journal of the American Association“ veröffentlichte Studie will mehr Licht in diese Angelegenheit bringen.

Material dieser Studie sind über knapp 650.000 Tests an über 800 Hochschulen und Universitäten in den USA aus den Jahren 1990 bis 2019.

Insgesamt fünf verschiedene Tests wurden untersucht bzw. neu sogar neu durchgeführt. In folgenden Tests kamen die Philosophie-Studenten teils sehr deutlich auf Platz 1:

  • SLAT (logische Fähigkeiten)
  • GRE Verbal (verbale Fähigkeiten): das Finden und Beurteilen von Begriffen, die Qualität des sprachlichen Ausdrucks,
  • Habits of mind (Denkweisen): intellektuelle Gründlichkeit, intellektuelle Bescheidenheit, Offenheit, Neugierde.

Immerhin weit oben auf Platz 6 kam man hier:

  • Pluralistic Orientation (Pluralismus von Perspektiven): gedankliche Offenheit.

Nur für einen Mittelfeldplatz reichte es hier:

  • GRE Quantitativ (mathematische Fähigkeiten).

Hier die entsprechenden Grafiken der Studie:

 

Im Ergebnis muss man sagen, dass die Philosophie-Studenten in den logischen und sprachlichen Fähigkeiten sehr gut abschnitten. Bei den mathematischen Fähigkeiten landen sie im Mittelfeld. Mehr als ich erwartet hatte.

 

Durch einen Vergleich bisheriger Tests, aber auch durch ergänzende Tests (so wurden teilweise Studenten nach vielen Jahren mit neuen Tests befragt) konnten die Forscher feststellen, dass die guten Werte nicht nur damit zusammenhängen, dass Personen mit bestimmten Fähigkeiten sich für ein Philosophie-Studium entscheiden, sondern dass sich diese Fähigkeiten im Laufe des Studiums entscheidend weiterentwickeln und sich verstärken.

Hierfür wurden beispielsweise der zu Beginn des Studiums festgestellte Vorsprung in gewissen Fähigkeiten bei den Tests am Ende des Studiums rausgerechnet: ein klarer Vorsprung blieb. Die Studie kommt zu dem Schluss:

„Die Ergebnisse zeigen, dass Studierende mit ausgeprägteren sprachlichen Fähigkeiten, die neugieriger, aufgeschlossener und intellektuell anspruchsvoller sind, eher dazu neigen, Philosophie zu studieren. Dennoch schneiden Philosophie-Studierende nach Berücksichtigung dieser grundlegenden Unterschiede in Tests zum sprachlichen und logischen Denken sowie bei der Messung wertvoller Denkgewohnheiten besser ab als alle anderen Studiengänge. Dies ist der bislang stärkste Beweis dafür, dass das Studium der Philosophie Menschen tatsächlich zu besseren Denkern macht.“

Im Kern geht es um die sprachlichen Fähigkeiten. „Sprachlich“ ist hier nicht zu verstehen als „schön“ und „nett klingend“, sondern als die Fähigkeit, einen Inhalt präzise und treffend wiederzugeben. Diese Fähigkeit ist notwendigerweise verbunden mit einer Offenheit für neue Inhalte bzw. der Fähigkeit, neue Eindrücke verarbeiten zu können (und zu wollen), und damit verbunden auch mit der Fähigkeit, bisherige Inhalte zu hinterfragen und zu kritisieren.

Die Studie belegt, dass diese Fähigkeiten im Laufe eines Philosophie-Studiums gestärkt werden. Dies heißt ausdrücklich nicht, dass jeder Philosoph ein Meister-Denker ist. Und damit kommen wir zu den Fragezeichen, die diese Studie aufwirft.

Offene Fragen

Die Autoren der Studie benennen auch offene Fragen, die in Zukunft näher untersucht werden sollen. So weisen sie etwa darauf hin, dass sie die „Philosophie“ nicht näher spezifiziert hätten: Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen philosophischen Schulen? Etwa zwischen „Analytikern“ und „Kontinentalen“, um die beiden großen Blöcke der heutigen Philosophie zu benennen? Oder üben sich Studierende in unterschiedlichen Fähigkeiten, wenn sie sich eher mit ethischen oder eher mit metaphysischen Fragen beschäftigen?

Eine weitere Bruchstelle – die meiner Meinung nach relevanter ist – ist diejenige, ob die genannten Fähigkeiten auch wirklich ausgeübt werden. Dass jemand gut denken kann, ist ja das eine. Aber tut er es auch?

„Um festzustellen, ob Studierende der Philosophie ihre intellektuellen Fähigkeiten aus den richtigen Gründen, mit den richtigen Mitteln, zu den richtigen Anlässen und auf die richtigen Objekte gerichtet einsetzen, wären weitere und möglicherweise ganz andere Arten von Belegen erforderlich.“

Ergebnis

Die Forscher kommen zu einem zweigeteilten Resümee:

  1. Angesichts der immer weiter zunehmenden Technisierung und Bürokratisierung der heutigen Welt sind die in der Philosophie vermittelten Fähigkeiten nötiger denn je. Dies ist vor allem deshalb von Belang, weil die Philosophie – wie auch andere geisteswissenschaftliche Disziplinen – unter großem Druck steht, an den Hochschulen und Universitäten weiter ausreichend unterstützt zu werden.

Hier rühren die Forscher an einen wichtigen Punkt: Philosophie ist eine Expertise. Sie ist kein bloßes Brüten über Sinn und Unsinn dieser Welt, sondern eine entwickelte Fähigkeit, mit Inhalten umzugehen und sie zu verarbeiten. Genau diese Fähigkeit macht die Philosophie zu einer oft schwer greifbaren Sache: sie definiert sich eben nicht über einen klaren Inhalt, sondern über den Umgang mit einen Inhalt. Hier liegt die Expertise der Philosophie.

  1. Die in der Philosophie vermittelten Fähigkeiten sind wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben. Die Fähigkeit, innerhalb einer immer pluraleren Gesellschaft gemeinsame Werte vermitteln zu können, sind wesentlich dafür, dass eine Gesellschaft funktioniert. Die Fähigkeiten der Philosophie sind eine wesentliche Stütze der Demokratie.

Und damit kommt die Studie zu einem Resultat, das über ihre eigene Arbeit hinausweist: diese Fähigkeiten an sich besitzen bereits einen großen Wert. Aber sie entfalten ihre wahre und große Bedeutung, wenn sie für die Gesellschaft eingesetzt werden. Und so schließt der Artikel der Forscher mit folgenden Sätzen, die man nur unterstreichen kann:

„Schließlich ist es eine Sache, scharfe, analytische Denker zu bilden, und eine ganz andere, intellektuell tugendhafte Bürger zu kultivieren, die dazu neigen, ihren Geist verantwortungsvoll im Dienste des Gemeinwohls zu nutzen.“