Neulich fuhren wir mit unseren Söhnen nach Deutschland. Unser Älterer (5) fragte nach, ob wir schon in Deutschland oder noch in den Niederlanden wären und ich geantwortet: „Ich sage Dir Bescheid, wenn wir über die Grenze rollen. Wahrscheinlich wirst Du es aber auch merken, weil die Straße schlechter wird.“
Eine Viertelstunde später rollten wir über die Grenze. Ich konnte vorher nicht ahnen, wie recht ich hatte: nach der Grenze kamen Betonplatten. Dicht gefolgt von der ersten Baustelle.

Deutsches Mittelalter

Ich fahre oft nach Deutschland und mein Eindruck ist immer wieder der: es ist alles kaputt. Die Straßen sind kaputt, über Schienen und die Deutsche Bahn schweige ich lieber, Behörden arbeiten mit Fax-Geräten, Kartenzahlung ist oft unmöglich, Handyempfang ist Glückssache.
Eine Bekannte, die nach mehreren Jahren in den Niederlanden wieder nach Deutschland zurückgezogen war, brachte es auf den Punkt: „Man hat auf einmal das Gefühl, wieder im Mittelalter zu leben.“
Nicht, dass hier in den Niederlanden alles funktionieren würde und alles super wäre. Was in Deutschland aber auffällt, ist ein Stillstand und ein absoluter Unwille, sich fit zu machen für die Zukunft.


Zukunft?

Im letzten Sommer sendete das ZDF ein Interview, das zum Fanal, zum Leuchtturm der deutschen Mentalität geworden ist.

Die Situation: in der Nähe von Stuttgart soll ein neues Werk entstehen. Der Bauplatz ist ideal, an zwei Autobahnen gelegen. Nach mehreren Jahren scheitert das Projekt an dauernden Protesten und Klagen der Anwohner.
Christian Sievers, Moderator des Heute-Journals, besucht die Anwohner. Er spricht mit einer Frau, die den Acker hinter ihrem Garten weiterhin unbebaut sehen will. Sie weist darauf hin, dass sie ja eigentlich nichts gegen den Bau hätte, „aber bitte nicht bei uns“.

Der Reporter setzt mutig nach, dass es doch nicht sein könne, dass jeder die Zukunft gut finden würde, aber immer sagt: bitte nicht bei uns? Der Antwort der Frau, die nun folgt, gehört ein Denkmal gesetzt in der deutschen Kultur- und Mentalitätsgeschichte:

„Für Zukunft bin ich gar nicht so. Es läuft doch gut.“

Diese Antwort steht für das Problem, das Deutschland hat.

 

Was ist das Gegenmittel?

Kant nannte es vor über 200 Jahren „Aufklärung“.

Immanuel Kant (Quelle: wikimedia)

Aufklärung heißt erst einmal nicht, alles wissen zu wollen. Aufklärung heißt auch erst einmal nicht, als Erleuchteter die Welt vom Guten zu überzeugen.
Aufklärung, so Kant damals, heißt erst einmal, die Fesseln abzulegen, die uns Feigheit und Bequemlichkeit angelegt haben.
Die damalige Gesellschaft bestand sich im Stillstand, garantiert durch Könige und Kirche. Viele Menschen wussten, dass vieles nicht richtig war, dass Neues entstehen musste – taten aber nichts. Weil sie zu bequem und zu feige waren, so Kant.
Diese Bequemlichkeit und diese Feigheit machen den Menschen unselbständig und unmündig. Es ist die Aufgabe des Menschen, dies zu überwinden:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. […] Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Nun ist der Appell von Kant über 200 Jahre alt.
Noch immer besteht die Problematik, wie man an jenem Interview sehen konnte. Aber das macht Kant’s Appell nicht erfolglos: seitdem ist viel passiert.
Es gibt keinen totalen Sieg der Aufklärung, aber es gibt viele Siege und das müssen wir uns gerade in diesen Zeiten klar machen, in denen eine furchtbare Nachricht die andere jagt: die Monarchien sind zu Ende, viele Länder unserer Erde sind freiheitlich und demokratisch geworden, Wohlstand und allgemeine Gesundheit sind gestiegen und die Anzahl der Kriege ist – man glaubt es kaum – trotz der letzten Jahre gesunken.

Die Aufklärung hat Erfolge und dieser Weg müsste allen Mut machen, die etwas mutiger und tatenkräftiger als jene Frau in die Zukunft blicken.