Am letzten Samstag jährte sich zum 200. Mal der Geburtstag von Karl Marx, der am 5. Mai 1818 im schönen Trier an der Mosel geboren wurde. Unabhängig davon, wie man zu seinen Lehren steht, zählt Karl Marx sicher zu den wirkmächtigsten Denkern der letzten Jahrhunderte, dessen Ideen den Lauf der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in sehr entscheidender Weise geprägt haben und auch heute noch prägen.

Die Lehre des Karl Marx lebt von der Grundidee, dass die in seiner Zeit neu entstehende Industrialisierung eine Entartung der Gesellschaft darstellen würde. Der ungehemmte Kapitalismus, der sich in ihr Bahn bricht, sorgt für die Entwurzelung und Ausbeutung der Arbeiter bzw. des Proletariats. Soweit allgemein bekannt.


Der reale Marxismus

Allgemein bekannt ist auch die Geschichte des Marxismus: Staaten, die auf die Lehre des Marxismus hin konstruiert wurden – an erster Stelle die Sowjetunion – und die nicht gerade als Vorbilder gut und human funktionierender Gemeinwesen in die Geschichte eingegangen sind.

Ludwig von Mises (1881-1973), Quelle: www.wikipedia.org

Der Marxismus müsste eigentlich längst erledigt sein. Bereits 1922 hat Ludwig von Mises in seinem Buch „Gemeinwirtschaft“ den Erweis erbracht, dass die sozialistische Planwirtschaft auf Dauer nicht möglich ist. Der Grund liegt darin, dass der Staat oder eine zentrale Instanz der Gesellschaft nie in der Lage sein kann, alle Faktoren derart zu erfassen, dass er realistische Marktpreise verfügt. Wenn sie nicht realistisch sind, entstehen Schwarzmärkte und finanzielle Einbußen, die auf Dauer nicht aufzufangen sind.

Neben der wirtschaftlichen Unmöglichkeit hat die Geschichte auch eine politische Unmöglichkeit erwiesen: bislang gab es noch keinen marxistischen Staat den man als erfolgreich bezeichnen könnte. Weder hat ein solcher Staat bislang zu Verbesserungen der Lebensverhältnisse geführt, noch hat er für eine politische Besserstellung armer Bevölkerungsschichten sorgen können. Sozialistische oder marxistische Herrschaft hieß daher normalerweise: Herrschaft einer oligarchischen Parteielite, die im Namen des Volkes das Volk beherrscht.

 

Marxismus als Kritik

Dennoch muss man feststellen, dass es – entgegen aller historischen Erfahrung – auch heute viele Menschen gibt, die der Lehre von Marx anhängen und sich für sie einsetzen. Diese Leute kennen die Geschichte des Marxismus. Was lässt sie weiter an den Marxismus glauben?

Quelle: www.welt.de

Es ist die Tatsache, dass der Marxismus nicht nur Lehre ist, sondern auch Kritik. Unabhängig davon, ob sich der Marxismus selbst als ökonomisch oder politisch lebensfähig erwiesen hat, ist er immer Kritik an der bestehenden Gesellschaft, wenn sie als zu marktfreundlich oder kapitalistisch wahrgenommen wird. Nur Fanatiker wollen den Markt als ganzen abschaffen. Trotzdem erkennen viele Menschen, dass die Fokussierung auf das Geld und auf materielle Güter der Gesellschaft nicht guttut. Die Gesellschaft scheint in einem rücksichtlosen Dauerwettkampf zu versinken, der wenige Gewinner und viele Opfer schafft.

Dagegen setzt der Marxismus seine scharfe Kritik: das ist Kapitalismus und führt zum Untergang.

Diese Kritik macht den Marxismus zu einer Allzweckwaffe: überall, wo es darum geht, dass ein bestehendes System oder eine bestehende Gesellschaft zu kritisieren ist, geht es letztlich um den Kapitalismus, weil faktisch jede gesellschaftliche Elite sich wesentlich über das Geld bzw. über das Kapital definiert. Ob es sich um eine Militärjunta in Südamerika handelt, um korrupte Stammeskönige in Afrika oder um westliche Regierungen, die eng mit der Wirtschaft verzahnt sind: immer greift die Kritik des Marxismus: das böse Kapital.

Dass in den bisherigen existierenden marxistischen Gesellschaften die Kritik genauso greifen würde, weil auch deren Eliten dem Kapital durchaus zugewandt waren, spielt hierbei keine Rolle. Wenn der Papst Kinder hat, macht das die Bergpredigt ja auch nicht schlecht.

In Italien gibt es den Spruch „Wer mit 20 Jahren kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer es noch mit 40 Jahren ist, hat keinen Verstand.“ Es ist dasselbe Motiv: es geht um Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Diese sind fast immer in jedem Land zu kritisieren und die Kritik ist eine Sache der Jugend.

Der Marxismus stellt so einen Rahmen dar, einen Rahmen, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse kritisieren zu können – und dies mit dem großartigen Hintergrund einer ausgefeilten wirkmächtigen Ideologie. Dass zu einem Rahmen nicht zwanghaft ein eigener Inhalt gehören muss, sei nur nebenbei bemerkt.


Warum heute Marxismus?

Dass der heutige Marxismus seine größte Fähigkeit in der bloßen Kritik besitzt, mag despektierlicher klingen, als es gemeint ist: eine Gesellschaft braucht Kritik. Und damit kommen wir zu den positiven Impulsen, die der Marxismus auch heute setzen kann:

 

1. Gesellschaft braucht Kritik

Keine Gesellschaft ist perfekt. In jeder Gesellschaft braucht es eine Form oder eine Institution oder eine Gruppierung, über die die Kritik auch wirksam formuliert werden kann. Dies kann im Namen einer Ideologie passieren (Marxismus), aber auch im Namen einer Religion. Jede Gesellschaft braucht Kritik und hier steckt ein wichtiges Vermächtnis des Marxismus.

 

2. Arbeitsverhältnisse müssen überprüft werden

Auch wenn es in Deutschland keine Kinderarbeit und keine Fabrikarbeit gibt, die mit den Verhältnissen des 19. Jahrhunderts vergleichbar wäre: das Anliegen, dass Arbeitsverhältnisse immer zu überprüfen sind, bleibt bestehen. Auch heute gibt es Arbeitsverhältnisse, die nicht der Würde dessen entsprechen können, der diese Arbeit verrichtet.

 

3. Was ist die Arbeit der Zukunft?

Die Arbeit der Zukunft wird sich radikal ändern. Wie immer. Trotzdem oder gerade deshalb bleibt die Herausforderung bestehen, über die Arbeit als solche nachzudenken: was bedeutet Arbeit angesichts der Digitalisierung? Was ist eigentlich Arbeit? Ist es erstrebenswert, auf Arbeit zu verzichten? Was ist mit dem bedingungslosen Grundeinkommen?

 

Auch 200 Jahre nach dem Geburtstag von Karl Marx bleibt der Marxismus eine bestimmende Größe in der ökonomischen und politischen Diskussion. Um es kurz und knapp zu sagen: dies ist gut so. Nicht, weil er selbst gute Antworten liefert, aber weil er oft die richtigen Fragen stellt.

 

Literaturempfehlungen:

Marx, Karl: Das kommunistische Manifest.

Marx, Karl: Das Kapital.

von Mises, Ludwig: Gemeinschaft. Untersuchungen über den Sozialismus.