Seit jeher reicht es nicht aus, einen guten Inhalt zu haben. Man muss ihn auch gut vertreten können. Und damit sind wir bei der Rhetorik. Nachdem vor einigen Jahrzehnten die Rhetorik in Deutschland sehr kritisch gesehen wurde – wohl auch aufgrund der rhetorischen Praxis im Dritten Reich – quillt der Büchermarkt mittlerweile über von rhetorischen Ratgebern und Einführungen. Sprache gezielt und überzeugend einsetzen zu können, gilt mittlerweile nicht mehr als üble Manipulation, sondern als notwendiges Rüstzeug für jeden, der etwas in der Öffentlichkeit vermitteln will.

Neben den zahlreichen modernen Einführungen in die Rhetorik ist oft auch ein Blick in antike Lehrbücher überaus lehrreich – zumal die moderne Rhetorik sich bis heute in einer großen Abhängigkeit von ihren antiken Wurzeln befindet.


Quintilian

Heute der breiten Öffentlichkeit unbekannt, aber in der Antike der wohl bedeutendste Rhetoriklehrer ist Quintilian. Er wurde ca. 35 im heutigen Spanien geboren. Nachdem er als einer der bedeutendsten Privatlehrer seiner Zeit galt, wurde er in den 60er Jahren vom römischen Kaiser Vespasian zum Leiter der ersten öffentlichen Rhetorik-Hochschule ernannt. In den 90er Jahren wurde er zum Rhetoriklehrer der kaiserlichen Familie. Wohl um 96 verstarb Quintilian.

Quintilian als Rhetoriklehrer (1720), Quelle: www.wikipedia.org

Quintilians Hauptwerk, die „Ausbildung des Redners“ („Institutio oratoria“), ist ein durchaus umfangreiches Werk, das in zwölf Büchern überliefert ist (ca. 1660 Seiten). Dieses epochale Werk beginnt damit, die Rhetorik in die menschliche Natur einzuordnen: Ähnlich, wie es der Natur des Vogels entspricht, zu fliegen, entspricht es der menschlichen Natur, seinen Verstand zu gebrauchen. Die Rhetorik, als die Lehre der Redekunst, hilft dabei, zum einen präziser zu denken, zum anderen, das Gedachte mitteilen zu können. Insofern ist die Rhetorik die entscheidende Hilfe für den Menschen, ein seiner Natur entsprechendes Leben zu führen.

Quintilian erklärt zu Beginn seines Werkes seinen pädagogischen Ansatz – der für unsere modernen Ohren erstaunlich optimistisch klingt – und geht dann dazu über, die Rhetorik zu definieren und die einzelnen Teile der Rhetorik zu erläutern. Hier finden sich zahlreiche gute und lehrreiche Hinweise zur Erstellung einer Rede: die Einteilung der Rede (vgl. dazu auch den Blog “Die fünf Schritte der antiken Rhetorik“), Methoden der mehrmaligen Korrektur, das Auswendiglernen usw. Alles Dinge, die man durchaus gewinnbringend durchstöbern kann.

Was man bei Quintilian wie bei keinem anderen lernen kann, ist eine Mischung aus System und Freiheit:

  • einerseits die harte und intensive Schulung in den rhetorischen Mechanismen, in den Sprachfiguren, in den festen Argumentationsmustern usw. Hierzu braucht es Übung und Sachkenntnis, und die vermittelt Quintilian wie kein zweiter.
  • andererseits aber auch in der Fähigkeit, das Gelernte mit der eigenen Persönlichkeit und der eigenen Freiheit zu vereinbaren.

Schlechte Rhetorik besteht entweder aus auswendig gelernten Formeln und langweiligen Phrasen, die man so oder so ähnlich schon tausendmal gehört hat. Oder schlechte Rhetorik betont nur die eigene Persönlichkeit, weil sie nicht geschult ist. Dann gibt es schöne Anekdoten, aber keinen Aufbau, kein System und damit auch keine erfolgreiche Rede.

Gute Rhetorik ist geschult und gut ausgebildet, aber nicht verschult. Diese Mischung hinzukriegen, rhetorische Mechanismen und Figuren bis ins kleinste Detail zu kennen, sich aber nicht darin zu verlieren, lehrt Quintilian in wirklich beeindruckender Manier.


Fazit

Auch wenn das Werk Quintilians heutzutage nur Spezialisten bekannt ist: bis zur frühen Neuzeit war es das rhetorische Standardwerk. Die „Institutio oratoria“ ist ein dickes Werk, in das man hin und wieder hineinschauen kann (gut, wer die Sommerferien investiert, kann es auch ganz lesen). Quintilian bietet vielleicht nicht die gedankliche Tiefe wie etwa Aristoteles (vgl. den Blog zur Rhetorik des Aristoteles), aber dafür eine ganze Menge praktischer Tipps.

Quintilian, Quelle: www.thoughtco.com

Was einen vielleicht am meisten beeindruckt – neben den vielen Details seiner Rhetorik – ist die Verbindung des guten Sprechens mit dem moralisch guten Redner: „Nur ein guter Mensch kann gut sprechen.“

Dies erscheint vielleicht naiv, weil die Geschichte leider viele gute Redner kennt, die alles andere als gute Menschen waren. Aber für Quintilian ist eine gute Rede nicht unbedingt die ganz erfolgreiche Rede, sondern diejenige, die das, was man denkt, in angemessener Weise weitergibt: das Höchste des Menschen – sein Denken – wird in größtmöglicher Schönheit und Präzision dargestellt. Ein Ansinnen, das uns modernen Menschen und der modernen Rhetorik alles andere als selbstverständlich ist, aber uns daran erinnert, dass dem menschlichen Sprechen eine natürliche Größe innewohnt – die des Menschen.

 

Literaturempfehlungen:

Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption.

Quintilian, Ausbildung des Redners.

Stroh, Winfried: Die Macht der Rede. Eine kleine Geschichte der Rhetorik im alten Griechenland und Rom.