Ein Wort ist nie nur ein Wort.
Es steht nie nur für sich. Wenn wir ein Wort hören oder es aussprechen: es hängt immer etwas dran, etwas Äußeres, das das Wort kleidet wie einen Mantel.
Jedes Wort hat einen bestimmten Kontext, einen Rahmen, den wir ihm geben, und dieser Rahmen ist es, der dem Wort eine Bedeutung verleiht.
Normalerweise geht man davon aus, dass jedes Wort eine objektive Bedeutung hat, die jeder kennt. Jedes Wort wird also von jedem in gleicher Weise verstanden. So ist es eben nicht.
Jedes Wort kann unterschiedlich verstanden werden, weil es eben unterschiedliche Bedeutungsrahmen anspricht. Ein vermeintliches Faktum kann eben so oder so verstanden werden.
Klassisches Beispiel: das halbleere oder halbvolle Glas. Das Faktum ist das gleiche: die Menge Wasser im Glas. Ob das Glas nun halbleer oder halbvoll ist, entscheidet der Bedeutungsrahmen des Betrachters. Ähnlich verhält es sich mit jedem Wort. Jedes Wort kann eine völlig andere Bedeutung haben, wenn es einen anderen Bedeutungsrahmen anspricht.
Die Kommunikationswissenschaft spricht hier von einem „Frame“, einem „Rahmen“. Der Begriff „Frame“ kommt ursprünglich aus der Psychologie, wurde in den 70er Jahren von Gregory Bateson („Steps to an exology of mind“) und Erwin Goffman („Frame Analysis“) entwickelt und weist darauf hin, dass jeder Mensch über einen subjektiven „Frame“ verfügt, einen Bedeutungsrahmen, in den er alles einordnet, was er wahrnimmt.
Warum Framing?
Was kann man mit dem Wissen um diesen „Frame“ anfangen?
Man kann versuchen, bestimmte Sachverhalte in solche Worte zu kleiden, dass sie bei den Menschen einen bestimmten „Frame“ ansprechen – sei es positiv oder negativ – und die Meinung der Menschen über diesen Sachverhalt durch diese präzise eingesetzten Worte in eine bestimmte Richtung lenken. Worte sind nicht nur Worte. Sachverhalte werden „geframt“ und damit griffiger, verständlicher und annehmbarer – im Sinne dessen, der dieses „Framing“ betreibt.
Die beiden amerikanischen Psychologen Lera Boroditsky und Paul Thibodeau haben 2011 ein sehr anschauliches Beispiel dafür veröffentlicht, worum es beim „Framing“ geht.
Folgender Text wurde Versuchspersonen vorgelegt:
„Das Verbrechen ist eine Bestie, die die Stadt Addison heimsucht. Vor fünf Jahren befand sich Addison in einem guten Zustand. In den vergangenen fünf Jahren jedoch sind die Abwehrsysteme der Stadt schwächer geworden, und die Stadt ist dem Verbrechen erlegen. Heute gibt es mehr als 55.000 kriminelle Zwischenfälle im Jahr – ihre Zahl hat um mehr als 10.000 zugenommen … Was braucht Addison Ihrer Meinung nach, um die Kriminalität zu reduzieren?”
Die meisten Leser plädierten für eine stärkere Polizeipräsenz, um die „Bestie“ Kriminalität endlich zu besiegen. Nun wurde neu „geframt“ und anderen Lesern der gleiche Text vorgelegt, allerdings mit dem Unterschied, dass es nicht mehr hieß, dass das Verbrechen eine „Bestie“ sei, sondern ein „Virus“: „Das Verbrechen ist ein Virus, das die Stadt Addison heimsucht.“
Das Ergebnis? Die meisten Leser plädierten nun für mehr Bildung. Das Verbrechen war nun keine Bestie, die man erlegen musste, sondern ein schleichender Virus, dem man mit Bildung und Sozialpolitik bekämpfen musste.
Die Fakten waren gleich, aber sie wurden durch dieses eine Wort auf einen anderen „Frame“, auf einen anderen Bedeutungsrahmen hin konstruiert und sorgten damit für eine andere Meinung bei den Lesern.
Politisches Framing
Solches Framing wird bereits seit geraumer Zeit in der Politik eingesetzt, systematisch vor allem in den USA. Hier sind es vor allem die konservativen Denkfabriken, die in den 90er Jahren mit methodischem Framing begonnen haben und auf diese Weise den politischen Diskurs subtil und nachhaltig prägen.
Was machen diese Denkfabriken? Wie funktioniert dieses methodische Framing konkret?
Ich habe einen bestimmten, unter Umständen auch komplizierten Sachverhalt, den ich darstellen will: so, dass er kurz, griffig und verständlich rüberkommt und zugleich auch überzeugend ist. Ich analysiere diesen Sachverhalt genau und klopfe verschiedene Begrifflichkeiten ab, mit dem ich ihn beschreiben will. Ich habe dabei den „Frame“ im Auge, den ich treffen will und auch muss, damit derjenige, der diesen Begriff benutzt, auch das denkt, was ich bei ihm auslösen will.
Ein gutes Beispiel aus der deutschen Politik für präzises und wirklich gelungenes Framing stammt von den Grünen.
Diese haben keine Denkfabrik beauftragt, aber eine interne Diskussionskultur, die von außen oft verspottet wurde, weil sie manchmal zu tumultartigen Szenen auf Parteitagen führt, aber diese Diskussionskultur es ist eine sehr präzise Arbeit mit Begriffen: ein gutes Framing.
Es ging um folgenden Sachverhalt: Ich soll die Natur und meine Umwelt prinzipiell so behandeln, dass die Ressourcen nicht verbraucht werden, sondern auch späteren Generationen zur Verfügung stehen kann. Wie kann ich diesen komplexen Inhalt auf einen Begriff bringen und mit diesem Begriff den politischen Diskurs beeinflussen?
Mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“. Dieser Begriff entstammt ursprünglich der Forstwirtschaft, wurde dann für diesen allgemeineren Kontext übernommen und beeinflusst seitdem den politischen Diskurs. Er steht für sich und mit diesem Begriff „Nachhaltigkeit“ verbindet jeder einen positiven Inhalt und eine berechtigte Forderung. Der Begriff wurde „geframt“, insofern er auf ein Bedürfnis der Leute zielt und gleichzeitig ein eigenes Anliegen in der öffentlichen Diskussion verankert.
Die Bedeutung des Framings wird in der Politik immer mehr wahrgenommen und auch immer bewusster eingesetzt: deshalb spricht die eine Partei vom „Mindestlohn“ (SPD) und die andere von der „Lohnuntergrenze“ (CDU). Insbesondere Elisabeth Wehling („Politisches Framing“), eine Schülerin des Amerikaners George Lakoff („Leben in Metaphern“) hat in Deutschland für eine große Aufmerksamkeit des Framings gesorgt.
Die Bedeutung des Framings ist aber nicht beschränkt auf die Politik, sondern ist überall da vorhanden, wo es darum geht, Inhalte verständlich und zugleich überzeugend zu vermitteln – das gilt für die Wissenschaft genauso wie für die Wirtschaft. Ein Unternehmen ist dann erfolgreich, wenn es griffig und zugleich überzeugend das vermitteln kann, warum es da ist.
Für das Framing gilt das Gleiche wie für die Rhetorik als Ganze: sie kann manipulativ eingesetzt werden, ist aber eigentlich eine neutrale Methode. Nicht die Methode ist schlecht, sondern vielleicht ist der Inhalt schlecht, den ich mit dieser Methode bearbeite und vermitteln will. Aber: jeder, der einen Inhalt vermitteln will, ist auf Framing angewiesen, wenn er dies erfolgreich tun will.
Framing als Philosophie
Das Spannende: Framing ist eine zutiefst philosophische Tätigkeit.
Was passiert beim Framing? Um Framing zu betreiben, braucht es ein tiefes Verständnis dafür, was eigentlich gesagt werden soll bzw. wie ein komplexer Inhalt auf einen Begriff gebracht werden kann. Diese Tätigkeit, einen Sachverhalt in all seiner Tiefe zu analysieren und dann in einem Begriff zu konzentrieren, ist methodisch die Arbeit des Philosophen.
Aus dieser Perspektive wird der Satz des französischen Philosophen Gilles Deleuze vielleicht erst verständlich: „Philosophie besteht immer darin, Begriffe zu erfinden.“
Natürlich erschöpft sich die Philosophie nicht im Framing. Aber wenn Framing als Analyse von Inhalten und Kreation von Begriffen funktionieren will, leistet sie in der Tat philosophische Arbeit.
Vgl. dazu den Blog: “Die Macht der Sprache über das Denken”
Literaturempfehlungen:
Lakoff, George; Johnson, Mark: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern.
Lakoff, George; Wehling, Elisabeth: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht.
Wehling, Elisabeth: Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet und daraus Politik macht.
Sehr geehrter Herr Dr. Rasche,
ich veröffentliche im Netzwerk Ethik heute (www.ethik-heute.org) einen Beitrag über Framing. Könnte ich dazu die Grafik auf Ihrer Seite mit den blaugrünen Puzzles verwenden? Wie ist die Fotoquelle? Über eine positive Antwort würde ich mich freuen. Beste Grüße, Michaela Doepke, Journalistin, m.doepke@t-online.de