Es gibt ein Mantra, das nicht nur die Regale der Bücherhandlungen füllt, sondern auch den wesentlichen Inhalt zahlreicher Coaching-Seminare und Motivationstrainings darstellt: „Denk positiv!“

Mit diesem Mantra werden in Deutschland jährlich Milliardenbeträge umgesetzt – alleine auf dem Büchermarkt erzielen die vielen Anleitungen zum Glücklichsein und Positivdenken ca. 9 Milliarden Euro.

 

Positive Psychologie

Das Grundrezept des Positiven Denkens ist relativ simpel: negative Dinge sollen ausgeblendet und durch Positives ersetzt werden. Die sog. „Positive Psychologie“ hat nachgewiesen, dass positiv denkende Menschen produktiver sind – eine Tatsache, die in der Wissenschaft durchaus umstritten ist, aber das nur am Rande.

So schreibt Nico Rose, tätig im Bereich der „Positiven Psychologie“:

„Wozu ist es gut, fröhlich sein? Der amerikanische Forscher Shawn Achor hat herausgefunden, dass unser Gehirn deutlich produktiver wird, wenn wir guter Dinge sind. Die Folge: Bessere Arbeitsergebnisse. Positive Emotionen sind also ein Schlüssel zu mehr Produktivität.“

Ähnlich die Kollegin Ilona Bügel:

„Menschen, die selbst für ihr Wohlbefinden sorgen, sind produktiver, belastbarer, gesünder.“

In diesen beiden Zitaten wird deutlich, worum es der Positiven Psychologie letztlich geht: um die Steigerung der persönlichen Produktivität und Effizienz. Es mag zwar durchaus ein legitimes Ziel sein, besser und effizienter arbeiten zu können, aber ist das wirklich deckungsgleich mit der Frage nach dem Lebensglück?

Letztlich geht es der sog. Positiven Psychologie und den Vertretern des „Denk positiv!“ weniger um persönliches Lebensglück als vielmehr um eine Steigerung der Arbeitskraft, genauer um die Fähigkeit, auch angesichts einer schlechten Situation gute Ergebnisse erzielen zu können.


Das Negative

Ganz abgesehen von der Frage, welches einseitige und verzweckte Menschenbild eigentlich dahinter steckt, ist das einseitige Abheben auf das Positive maximal kurzfristig erfolgreich, aber nicht tragfähig.

Der Grund ist denkbar einfach: weil das Negative zum Leben – auch zum Arbeitsleben – dazugehört und sich letztlich nicht wegschieben lässt durch eine Art Selbsthypnose.

Fangen wir mit einem Extremfall an: jemand erhält die Diagnose, schwerst krank zu sein. Der Rat, „Denken Sie positiv!“ wird dieser Person nicht weiterhelfen. Das positive Denken ist nicht in der Lage, eine Krankheit aufzuhalten oder die Folgen der Erkrankung zu mindern. Natürlich soll auch dieser kranke Mensch Positives in seinem Leben entdecken, aber für ihn geht es in erster Linie darum, sich intensiv mit dem Negativen auseinanderzusetzen.

„Denk negativ!“ heißt nicht, nur negativ zu denken und alles Positive auszublenden. Es bedeutet aber, sich dem Leben zu stellen und das Leben als solches ernst zu nehmen: mit allem Positiven, aber eben auch mit allem Negativen, das leider auch da ist und man nicht wegzaubern kann.

„Denk positiv!“ kann am Arbeitsplatz für einen höheren Einsatz sorgen. Das Negative wird ausgeblendet, mit neuer Kraft geht es ans Werk. Das Problem: das Negative bleibt ja. Und auch irgendwie wirksam. Ob jemand private Probleme zu Hause hat oder berufliche Probleme an der Arbeitsstelle: sie sind nunmal da. Man kann nichts an ihnen ändern, wenn man sie nicht zur Kenntnis nimmt und bearbeitet.

„Denk positiv!“ Was soll das heißen, wenn man jeden Tag von seinem Chef auf übelste Weise schikaniert wird? Wenn man bald arbeitslos wird, weil ein wichtiger Markt weggebrochen ist? Wenn man von Kollegen gemobbt wird? Es geht nicht darum, nicht auch (!) das Positive sehen zu können, es geht um die Ausschließlichkeit, mit der einige nur noch das Positive als irgendwie relevant anerkennen wollen. Und mit einem gekünstelten Dauerlächeln blind durchs Leben schreiten.


„Denk negativ!“

Diese Aufforderung soll nicht bedeuten, nur noch einseitig das Negative im Leben zu sehen. Dies wird dem Leben genausowenig gerecht wie der einseitige Blick auf das Positive. Es geht darum, beides zu sehen. Beides zu würdigen und ernst zu nehmen.

Wie realistisch kann man seine eigene Situation oder die des Unternehmens wahrnehmen, wenn man nur auf das Positive blickt?

„Denk negativ!“ heißt, auch das Negative im Blick zu haben. Alles andere ist naiv und dumm, weil es die Augen vor der Realität des Lebens verschließt. Diese Realität hat gute wie schlechte Seiten. Mit beiden muss man leben lernen, weil man sonst nicht leben lernt.

Wie Eltern ihren Kindern auf Dauer keinen Gefallen tun, wenn sie alles Negative von ihnen fern halten, tun sich auch Erwachsene selbst damit keinen Gefallen: hier wie dort geht es um Lebenstauglichkeit.

Und die ist auch im Beruf wichtiger als ein kurzfristiges dauerlächelndes Funktionieren.