„Digitalisierung“ ist das große Thema. Sie ist eine Revolution, die irgendwann alles verschlingen wird und bereits jetzt mit ihren Arme in alle Richtungen ausgreift. Alle wissen, dass die Digitalisierung alles auf den Kopf stellen wird.

Wenn man dann aber fragt: Was ist eigentlich konkret die Digitalisierung? Wie funktioniert sie und was bedeutet sie?, dann erntet man entweder ein langes „Äääh“ oder Achselzucken.

Ein sehr entlarvendes Licht auf die Digitalisierung liefert eine Netflix-Dokumentation über die Taten von „Cambridge Analytica“ (“The Great Hack”, Trailer), das nicht ganz unschuldig an den politischen Entwicklungen der letzten Jahre ist, und die sehr konkret und handfest zeigt, welche Chancen, aber vor allem welche Risiken in der Digitalisierung unserer Gesellschaften stecken.



Digitalisierung beginnt erst einmal ganz unscheinbar mit dem, was wir jeden Tag machen: mit Karte bezahlen, im Internet surfen, bei Facebook mit unseren Freunden in Kontakt bleiben, bei amazon nach Waren suchen usw.

Es sind Dinge, die wir jeden Tag machen und die uns ja auch den Alltag auf vielerweise bequemer und angenehmer machen. Der Effekt: es entstehen Daten, Tausende Daten über jeden von uns. Diese Daten verraten alles über uns: was wir uns ansehen, was wir uns bestellen, wo wir uns aufhalten, was wir politisch oder religiös denken, was wir lieben, was wir hassen, wovon wir träumen, worüber wir reden. Alles.

Die spannende Frage ist nun: was passiert mit diesen Daten? Und hier sind wir bei Cambridge Analytica.

 

Cambridge Analytica

Cambridge Analytica (CA) war ein britisches Unternehmen, das sich millionenfach Daten von Internetnutzern besorgte. Einstieg war meist ein Persönlichkeitstest bei Facebook. Über den konnte CA nicht nur die Daten des jeweiligen Nutzers abgreifen, sondern auch die all seiner Kontakte. So wurden aus 320.000 Datensätze über 51 Millionen, später dann 89 Millionen. Wenn man diese Datensätze genau entschlüsselt und analysiert (über jeden einzelnen Nutzer wurden ca. 5.000 Datenpunkte hinterlegt), hat man eine sehr genaue Aufstellung über darüber, wie die Menschen ticken und vor allem auch darüber, auf welche Themen bestimmte Menschen wie anspringen.

 

Die Methode

Dieses Wissen wurde von CA in diversen Wahlkämpfen eingesetzt. Erst einmal in kleineren Ländern, so in Trinidad & Tobago, einem kleinen Inselstaat in der Karibik. Dort gibt es zwei starke Parteien, die der Inder und die der Schwarzen. Die der Inder gab CA den Auftrag, aktiv zu werden.

Quelle: www.eldiario.es

CA durchleuchtete die Bevölkerung dieser Insel und ging dann wie folgt vor: eine riesige Kampagne wurde aus dem Boden gestampft, in der schwarzen Jugendlichen als cool verkauft wurde, nicht zur Wahl zu gehen. Es entstand eine ganze Bewegung auf der Insel („do so“), in der Jugendliche aus Protest gegen die Gesellschaft eine Parallelgesellschaft bildeten und entsprechend nicht zur Wahl gingen. Auch die indischen Jugendlichen waren durchaus angezogen von dieser Kampagne, aber – das wusste CA – die familiären Bindungen waren meistens stärker als bei den schwarzen Jugendlichen: die Inder gingen mit ihren Eltern wählen, die Schwarzen nicht. Die Inder gewann überlegen die Wahl.



Mit diesen Erfahrungen konnte CA nun in die großen Wahlkämpfe gehen und für Trump und für den Brexit aktiv werden. Auch in diesen Wahlkämpfen ging man methodisch ähnlich vor wie auf der Karibikinsel und war auch ähnlich erfolgreich.

Das Verfahren sah immer vor, sehr genau zu schauen, was welcher Mensch will, wovor er Angst hat und dann passgenau an ihn in sehr subtiler Weise Botschaften zu adressieren, die ihn zwar vermeintlich nur in seiner Meinung bestärken, aber eben auch in eine bestimmte Richtung schieben, die gewünscht ist:

“Wir bombardierten sie über Blogs, Webseiten, Artikel, Videos, Anzeigen – jede Plattform, die zur Verfügung stand -, bis sie die Welt so sahen, wie wir es wollten. Und bis sie für unseren Kandidaten stimmten.”

Brittany Kaiser, Cambridge Analytics

Ein weiterer Effekt war die immer schärfere Polarisierung der betroffenen Gesellschaften, wie sie ja in den USA und in Großbritannien mit den Händen zu greifen ist. Filterblasen werden immer weiter befeuert, bis nichts anderes mehr wahrgenommen wird und jede andere Meinung eine Bedrohung der eigenen Lebensart ist.

 

Nun ist eine gewisse zynische Gerissenheit vielleicht nicht schön, aber auch nicht illegal. Das illegale Abgreifen von Daten ist allerdings schon illegal – ganz abgesehen davon, dass Facebook dieses Abgreifen jahrelang mitansah, weil durch die anschließenden Kampagnen auf Facebook ja große Summen in die Kasse flossen. Kaum ein Nutzer würde bei Facebook ein Konto anlegen oder bei amazon einkaufen, wenn man weiß, dass diese Daten von politischen Parteien und ihren Helfern für die Wahlkampfpropaganda eingesetzt würden. Hier beginnt die Illegalität.

Alexander Nix (Quelle: www.wikipedia.org)

Alexander Nix, CEO von Cambridge Analytica, gab an, nicht illegal gehandelt zu haben, weil ja jede Partei versucht, möglichst passgenau ihre Botschaft an den Wähler zu bringen. Und CA hat es eben am passgenauesten gekonnt.

Das Problem beginnt allerdings nicht dabei, seine Botschaft passgenau an den Wähler zu bringen, sondern dabei, den Wähler in einer bestimmten Art und Weise zu manipulieren. Das Gefährliche dabei ist nicht nur, dass der Wähler nicht merkt, dass er in eine bestimmte Richtung geschoben wird, sondern auch, dass er glaubt, in der Richtung gewesen zu sein, die er schon immer haben wollte.

Wenn dann etwa ein Brexit-Wähler erfährt, dass viele Wähler von CA manipuliert wurden, wird er sagen: Betrifft mich nicht, ich hätte eh für den Brexit gestimmt, weil das eigentlich schon immer meine Meinung war!


Fazit

Was sind die Konsequenzen der immer weitergehenden Enthüllungen über Cambridge Analytica und die Wahlkämpfe in den USA und Großbritannien? Was heißt Digitalisierung für die Gesellschaft und die Demokratie?

  • Die Grenzen von „legal“ und „illegal“ im Umgang mit Daten sind oft sehr fließend. Die aktuelle Datengesetzgebung mag zwar dafür sorgen, dass Bilder von Kindergartengruppen nur noch mit geschwärzten Gesichtern ausgegeben werden, eine wirklich effektive Kontrolle der Datenmacht von Facebook, Amazon oder Google ist jedoch in weiter Ferne. Der ganze Skandal um Cambridge Analytica hatte so bis heute nicht eine einzige Verurteilung zur Folge, weder bei Facebook, das jahrelang zuschaute, wie die eigenen Daten abgezapft werden, noch bei Cambridge Analytica, das zwar pleite ging, aber mittlerweile von den gleichen Leuten als „emergate“ neu gegründet wurde.
  • Auch wenn der Gesetzgeber mit neuen Gesetzen versucht, die Marktmacht der großen Datenbesitzer wie Google oder Facebook einzugehen: der massive Einsatz von Datensätzen zur Motivierung und Demotivierung von Wählern wird Teil der digitalen Realität unserer Gesellschaften sein.
    Was es dann braucht, ist die Fähigkeit, diese Manipulationen zu erkennen und dazu braucht es eine neue Art der politischen und gesellschaftlichen Bildung. Der Bürger muss in der Lage sein, sich eigenständig eine Meinung über die Themen bilden zu können. Dazu gehört erst einmal das simple Wissen darum, dass das, was einem da jeden Tag auf dem Display präsentiert wird, von den Algorithmen auf die eigene Person zugeschnitten ist und es noch Meinungen und Ansicht außerhalb dieser Filterblase gibt, die genauso legitim sind und über die man sich zumindest informieren muss, um ein einigermaßen ausgewogenes Urteil geben zu können.
    In der Digitalisierung geht es weniger darum, wie man an neues Wissen kommt (das wird immer leichter), sondern darum, wie man mit dem Wissen umgeht.
    Desweiteren ist es wichtig, ein Gefühl dafür zu entwickeln, dass es so etwas wie einen demokratischen Konsens oder bestimmte demokratische Spielregeln gibt, die nicht verletzt werden dürfen, auch wenn es nicht illegal ist. Zu diesen Regeln gehört beispielsweise, die Legitimität des politischen Gegners nicht anzuzweifeln: auch wenn er anderer Meinung ist, kann er sie vertreten – sofern diese Meinung wiederum nicht gegen die Demokratie ist. Diktaturen entstehen in Demokratien nicht durch Putschversuche, sondern durch ein Polarisieren und Ausgrenzen, durch ein Sticheln gegen den demokratischen Konsens einer Gesellschaft, der sich immer an der Grenze zum Illegalen bewegt, diese aber nicht überschreitet. Das zu erkennen, wo jemand – völlig legal – Themen vertritt, welche die Demokratie gefährden, ist eine der großen Herausforderungen des zukünftigen und gegenwärtigen Bürgers und damit auch der politischen Bildung der digitalen Zukunft.

Die Herausforderungen der digitalen Welt sind nicht völlig neu (Filterblasen und Propaganda gab es schon immer), aber gewisse Problemlagen werden verschärft und diese Verschärfungen muss man im Auge behalten. Die Kritik an bestimmten Motiven der Digitalisierung darf nicht dazu verführen, die Digitalisierung zu verteufeln. Zum einen eröffnet sie auch gigantische positive Möglichkeiten, die wir uns bereits jetzt jeden Tag zunutze machen. Zum anderen ist sie unaufhaltsam. Die Digitalisierung ist bereits in unserem Alltag angekommen. Die Frage ist nicht, ob sie kommt, sondern wie wir uns zu ihr verhalten.

Hier braucht es eine neue Aufmerksamkeit und eine neue politische Bildung, die diese Aufmerksamkeit schafft, die für den Bestand unserer Demokratien überlebenswichtig ist.