In der Reihe der Klassiker geht es in diesem Blog um das Werk „Propaganda. Die Kunst der Public Relations“ von Edward Bernays aus dem Jahre 1928.
Edward Bernays gilt als Vater der Public Relations. Er gehört zu denjenigen, die außerhalb ihrer eigenen Branche kaum bekannt sind. Und trotzdem würde unsere heutige Zeit ganz anders aussehen ohne ihn.
Was hat er damals getan?
Das TIME-Magazine fasst seine Tätigkeit so zusammen: er sei derjenige gewesen, der die Strategien entwickelt habe „mit deren Hilfe man Menschen dazu bringt, Dinge zu kaufen, die sie nicht haben wollen und Bedürfnisse zu befriedigen, die sie nicht haben“.
Biographie
Ein gewisses psychologisches Interesse wurde ihm bereits in die Wiege gelegt: der 1891 in Wien geborene Bernays ist ein Neffe von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. 1892 wanderte die Familie Bernays mit ihrem einjährigen Sohn in die USA aus.
Der junge Edward widmete sich einem großen Thema: wie ist es möglich, die Kenntnisse der Psychologie in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Steuerung der öffentlichen Meinung anzuwenden?
1928 erschien sein großes Werk „Propaganda. Die Kunst der Public Relations“, das Bernays weltweit in Fachkreisen bekannt machte. Das Wort „Propaganda“ hatte damals noch nicht den heutigen negativen Klang, den es dann aber bald erhalten sollte: die Werke von Bernays – der Jude war – standen auch im Bücherschrank von Joseph Goebbels.
Bernays starb 1995 im hohen Alter von 104 Jahren.
“Propaganda”
Wenn man sich „Propaganda“ durchliest, dann tritt etwas ein, das man vielleicht als „lehrreiches Entsetzen“ bezeichnen kann. In sehr klarer und schonungsloser Sprache beschreibt Bernays, wie irrational und beeinflussbar die meisten Menschen sind – gerade, wenn sie in der Masse sind – und wie man sich diese Eigenschaft zunutze machen kann.
Bei der Lektüre seines Buches ist man einerseits darüber entsetzt, wie manipulierbar der Mensch sein soll, und lehrreich ist es andererseits, wenn man immer mehr erkennt, wie diese Manipulationen auch heute greifen.
Der Mensch, so lernte Bernays auch von seinem Onkel Sigmund Freud, handelt zumeist nicht rational, sondern gemäß seinen Wünschen und Sehnsüchten:
„Es reicht nicht aus, die mechanischen Strukturen der Gesellschaft zu verstehen, ihre Gruppierungen … Ein Lokführer, der zwar alles über Kolben und Zylinder seiner Lokomotive weiß, aber nichts über das Verhalten des Dampfes unter Druck, wird sie nicht zum Laufen bringen. Die Maschine Gesellschaft hat als Motor die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen.“
Über diese Wünsche und Sehnsüchte, so Bernays, lässt sich das Verhalten des Menschen beeinflussen, somit nicht direkt, sondern indirekt.
Bernays erläutert dies mit folgendem Beispiel: ein Metzger will mehr Speck verkaufen. Er wirbt für seinen Speck: „Esst mehr Speck, Speck gibt mehr Kraft!“ Völlig vergeblich.
Es muss über das Bedürfnis gehen. Der Metzger muss überlegen, wodurch die Essgewohnheiten der Menschen beeinflusst werden. Durch die Ärzte. Also wird er dafür sorgen tragen, dass die Ärzte des Ortes darauf hinweisen, wie gesund Speck ist.
Mit anderen Worten: ich bewerbe nicht mein Produkt, sondern schaffe ein Bedürfnis und bin dann die Lösung dieses Bedürfnisses.
Propaganda und Demokratie
Bernays beschreibt in seinem Buch sehr ausführlich die einzelnen Schritte, die es braucht, ein Produkt oder eine Meinung in der Bevölkerung zu verankern. Dies tut er gleichermaßen für die Wirtschaft wie auch für die Politik.
Hier sagt Bernays eindeutig, dass ein demokratischer Staat auf Propaganda angewiesen ist. Propaganda in dem Sinne, dass auch ein demokratischer Staat genau auf die Bedürfnisse und Sehnsüchte der Bevölkerung achten muss und gleichermaßen sein eigenes Handeln als Staat als Befriedigung dieser Bedürfnisse darstellen muss. Dies schildert Bernays direkt in den ersten Zeilen des Buchs, die auf den ersten Blick durchaus verstörend wirken können:
“Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. […] Doch das ist nicht überraschend, dieser Zustand ist nur eine logische Folge der Struktur unserer Demokratie: Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich.”
Die Kunst der Public Relations – für wen?
Das Buch „Propaganda. Die Kunst der Public Relations“ ist aus vielen Gründen auch 90 Jahre nach seinem Erscheinen lesenswert.
Erst einmal ist es bis heute ein Grundlagenbuch für jeden, der im Bereich „Public Relations“ unterwegs ist.
Darüber hinaus ist es sehr hilfreich, zu verstehen, wie staatliche Meinungsbeeinflussung („Propaganda“) in der Geschichte funktioniert hat und auch heute in vielen Ländern funktioniert.
Entsprechend – auch das lehrt Bernays – macht es wenig Sinn, einen Trump oder eine AfD direkt anzugreifen und auf ihre Defizite zu verweisen: sie wurden nicht gewählt, weil sie so toll sind, sondern weil sie ein bestimmtes Bedürfnis abdecken. In der politischen Diskussion muss ich also in erster Linie an das Bedürfnis, nicht an denjenigen, der es stillt.
Für den Philosophen und den Soziologen ist die Lektüre von Bernays deshalb spannend, weil er lehrt, wie eigentlich unsere Gesellschaft als Werbe- und Konsumgesellschaft funktioniert und was für ein Menschenbild dahintersteckt.
Hieraus ergeben sich natürlich Anfragen an unseren demokratischen Staat: könnte seine Krise vielleicht damit zusammenhängen, dass er sich zu wenig als Lösung menschlicher Bedürfnisse oder als Konsequenz menschlicher Werte darstellen kann?
An die beiden christlichen Kirchen – ebenfalls Institutionen in der Krise – ergeben sich die Anfragen, warum es ihnen nicht mehr gelingt, sich als Lösung („Erlösung“) menschlicher Probleme und Fragen darzustellen und warum ein Grundbedürfnis der Bevölkerung offensichtlich nicht mehr getroffen wird.
Das Buch „Propaganda. Die Kunst der Public Relations“ ist ein Klassiker, der wichtig ist für jeden, der die Entwicklungen der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten verstehen will sowie das Gelingen oder auch Scheitern gesellschaftlich wichtiger Institutionen.
Darüber hinaus ist dieses Buch für jeden wichtig, der einen bestimmten Inhalt oder eine bestimmte Meinung in der Öffentlichkeit erfolgreich platzieren will. Edward Bernays beschreibt die Grundlagen der Public Relations und diese bleiben gültig:
„Propaganda wird niemals sterben. Kluge Menschen müssen sich darüber klar werden, dass Propaganda das moderne Instrument ist, mit dem sie für das konstruktive Ziele kämpfen können, und das ihnen hilft, Ordnung in das Chaos zu bringen.“
Literaturempfehlungen:
Bernays, Edward: Crystallizing Public Opinion.
Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen.
Freud, Sigmund: Massenpsychologie und Ich-Analyse.
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