“Die wollten ja gar nicht!”
Bekannterweise schied vor einigen Wochen die deutsche Fußballnationalmannschaft in höchst blamabler Weise bei der Weltmeisterschaft in Russland aus. Wie erwartet brach nach diesem Ausscheiden eine große Diskussion darüber aus, wie es eigentlich geschehen konnte, dass der amtierende Weltmeister so schnell die Bühne verlassen muss.
Weniger in der öffentlichen, von Experten geführten Diskussion als vielmehr im privaten Austausch in der U-Bahn, im Büro oder am Stammtisch wurden vor allem folgende Gründe benannt: „Die sind ja gar nicht richtig gelaufen!“ „Die wollten ja gar nicht!“ „Denen muss man mal Beine machen!“ „Nur Millionen kassieren, aber nicht rennen wollen!“
Die Ursache für das Scheitern wird hier im fehlenden Willen der Spieler vermutet: die Spieler wären nicht motiviert genug gewesen, die nötige Leistung zu erbringen, um das Turnier positiv zu gestalten.
Diese Begründungsstruktur taucht sehr oft auf, nicht nur beim Fußball. Wenn jemand scheitert – privat oder beruflich -, dann deshalb, weil er es nicht genug oder nicht gut genug gewollt hat. Umgekehrt heißt dies: wenn ich etwas wirklich will, dann werde ich es auch schaffen! Von diesem Mantra leben Heerscharen von Motivationstrainern, und sie sind deshalb so erfolgreich, weil sie einerseits einem weit verbreiteten Empfinden entsprechen („Der will ja gar nicht!“), andererseits, weil sie die tolle Botschaft mitgeben, dass man selbst es in der Hand hat.
Komplexität!
Beginnen wir bei der Nationalmannschaft: die ist nicht ausgeschieden, weil die Spieler nicht gewollt haben oder zu wenig trainiert haben oder nicht motiviert waren. Die Fehler sind eher zu suchen in der Zusammenstellung der Mannschaft, in der Torpedierung des Leistungsgedankens durch zu viele etablierte Platzhirsche, in der Taktik, im schlechten Scouting der gegnerischen Mannschaften, in der Grüppchenbildung innerhalb der Mannschaft, im Verband, der das Özil-Theater nicht angemessen bearbeitete usw. (Vgl. hierzu den Blog “Das Scheitern der Nationalmannschaft“). Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: es gibt eine Fülle an Gründen, warum die Nationalmannschaft aus dem Turnier geflogen ist, der mangelnde Wille war es nicht.
Was für die Nationalmannschaft gilt, gilt auch für eine unternehmerische Situation: es liegt nicht nur am Willen oder an der Motivation der handelnden Personen, wenn etwas schiefgeht. Wie die Nationalmannschaft ausgeschieden ist, weil letztlich die Komplexität der Situation nicht angemessen erfasst wurde, scheitern auch unternehmerische Entscheidungen aus genau diesem Grunde: die Situation ist komplex und schwer zu verstehen, es wird eine Entscheidung getroffen, die diese Komplexität nicht einholt und man wundert sich, dass es nicht funktioniert.
Eine komplexe Situation ist mit einem Labyrinth vergleichbar: ich kann da zwar motiviert reinlaufen, aber wird das reichen?
Wenn die Faktoren nicht erkannt und nicht berücksichtigt werden, die eine Situation ausmachen, habe ich auch keine Chance, eine Entscheidung zu treffen, die Situation in den Griff zu kriegen oder eine Entscheidung zu treffen, die die Situation in einem positiven Sinne verändert.
Entsprechend hohl klingen die Versprechen diverser Motivationstrainer, dass der Wille ausreicht, die gesteckten Ziele zu erreichen. Natürlich braucht es Wille, Motivation, Emotion und Engagement. Aber ohne Vernunft, rationales Nachdenken und Abwägen kommt es zu einem blinden Anrennen, das scheitern muss.
Philosophie
Hier hat die Philosophie ihre große Bedeutung. Philosophie bedeutet in erster Linie, methodisch zu denken, rational abzuwägen und zu „sehen“: die Faktoren zu sehen, die zur Beurteilung einer Situation wichtig sind, und durch die Kenntnis dieser Faktoren zu einer Entscheidung kommen zu können, die tragfähig ist.
Die Fußballnationalmannschaft ist nicht gescheitert, weil sie nicht genug gelaufen wäre. Sie ist gescheitert, weil sie schlecht gelaufen ist.
Die Mannschaft ist nicht gescheitert, weil sie keinen Willen hatte. Sie ist gescheitert, weil dieser Wille nicht in die richtige Richtung gebracht wurde.
Auch wenn es komisch klingt: die Mannschaft ist an mangelnder Philosophie gescheitert, weil sie keinen Plan hatte, der tragfähig war, und von der Komplexität der Situation schlicht überfordert war. Natürlich braucht es den Willen und die Emotion, aber das reicht eben nicht, weder im Fußball, noch im Unternehmen:
Dass man losläuft, ist eine Frage des Willens. Dass man weiß, wohin man läuft, eine Frage des Sehens.
Um dieses Sehen, die klare Einschätzung dessen, was vor einem liegt, geht es der Philosophie, und das seit 2.500 Jahren.