Wir erleben zur Zeit eine globale Krise. Ob in Europa oder anderswo: die Corona-Pandemie bestimmt das öffentliche Leben. Kranke und Tote in vielen Ländern, harte Restriktionen der Staaten, um die weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, wirtschaftliche Einbrüche, gesellschaftliche Umbrüche: wir haben eine Krise.

 

Was ist eine Krise?

Oft es hilfreich, sich die Begrifflichkeit einer Sache genau anzuschauen. Wenn man etwa auf den Ursprung eines Wortes blickt, dann wird oft klarer, was es mit der Sache auf sich hat, wofür das Wort steht. Weil der Zusammenhang zwischen dem Wort und der Sache am Anfang oft klarer ist als nach vielen Jahrhunderten.

Das gilt auch für so einen mittlerweile oft schwammigen Begriff wie „Krise“.

Wie so vieles, was ich schätze, kommt das Wort „Krise“ ursprünglich aus dem Altgriechischen, und zwar von dem Wort „krísis“ (κρίσις) bzw. dem Verb „krinein“. Das Verb heißt übersetzt soviel wie „schneiden“ oder „trennen“.

Das heißt, es geht um den Moment, in dem bestimmte Dinge voneinander „geschieden“ und „getrennt“ werden. Eine Krise ist etwas „voneinander Getrenntes“.

Von hier aus gibt es zwei Bedeutungsrichtungen:

  • Zum einen geht es darum, dass eine bis dahin zusammenhängende Sache in sich selbst gespalten wird. Die Krise löst das, was bis dahin gut zusammenging, in seine Bestandteile auf. Die Krise ist nun der Scheitelpunkt in der Entwicklung: entweder bricht es völlig auseinander und führt zum Ende ODER man kriegt es wieder zusammen und alles wird gut. Diesen Moment nannte man „krisis“. Dieses Wort wurde seit Hippokrates von den antiken Ärzten für den Moment benutzt, in dem sich entscheidet, ob eine Krankheit zur Heilung gebracht werden kann oder zum Tod führt.
  • Die andere Bedeutungsrichtung liegt nicht in der Sache selbst, sondern bei dem, der sie betrachtet. Wenn er beginnt, eine Sache zu verstehen, dann „trennt“ und „scheidet“ er die einzelnen Elemente dieser Sache (vgl. auch das Wort „unterscheiden“, das daher kommt). Also hat „krisis“ auch die Bedeutung einer begründeten Meinung, einer Beurteilung, einer „Kritik“ (auch dieses Wort kommt von „krisis“).

 

Eine Krise ist also ein Zustand, bei dem etwas, das bislang gut zusammen funktionierte, sich in seine Bestandteile auflöst. Die Teile sind nicht weg oder verschwunden, sie arbeiten nicht mehr zusammen, sie sind getrennt und bilden keine Einheit mehr.


Krise im Unternehmen

Ursprünglich funktionierte das Unternehmen. Ein Unternehmen ist kein monolithischer Block, sondern besteht aus vielen Einzelteilen: der Führungsebene, den Mitarbeitern, den Gebäuden, dem Vertrieb, den Kunden, den Produkten, den Rohstoffen usw. Dann sind da noch die Teile, die nicht zum Unternehmen gehören, aber Teil des „Systems Unternehmen“ sind, weil sie Einfluss auf das Unternehmen haben: die Marktlage, die Situation in der Welt und in einzelnen Ländern, die gesellschaftliche Situation in Deutschland, Mode, Trends usw.

Ein funktionierendes Unternehmen kann all diese verschiedenen Elemente integrieren und zusammenbringen zu einem System (vgl. den Blog über die Systemtheorie).

Was passiert in der Krise? „Trennung“: die einzelnen, gut aufeinander abgestimmten Elemente fliegen auseinander. Das kann heißen, der Kundenstamm verändert sich. Ein Markt bricht weg. Ein Produkt kann nicht mehr produziert werden. Die Belegschaft erscheint nicht zur Arbeit oder ist vielleicht nicht motiviert. Eine Krise muss nicht bedeuten, dass alle bisherigen Verbindungen radikal gekappt werden, aber viele Verbindungen funktionieren eben anders, zumeist schwieriger, einige gar nicht mehr.

 

Diese Situation erleben Unternehmen in der Krise und diese Situation erleben in der Corona-Krise auch ganze Gesellschaften: selbstverständliche Abläufe, die die Gesellschaft am Leben erhalten haben, werden unterbrochen oder verändern sich stark.

Krise als „Trennung“ bis dahin verbundener Elemente. Die Dinge sind in der Krise ja nicht verschwunden. Sie arbeiten aber nicht mehr zusammen und funktionieren daher nicht mehr.


Krise: Getrenntes verbinden

Wenn die Krise sich dadurch auszeichnet, dass die einzelnen Elemente nicht mehr wie bisher zusammenarbeiten, dann ist es nötig, neue Verbindungen aufzubauen.

Das heißt für die Gesellschaft: was ist durch das Corona-Virus eigentlich entscheidend gestört und wie kann man diese Störungen aufheben, indem neue, lebensfähige Verbindungen geschaffen werden?

Was hat sich jetzt in der Krise als schwach oder gestört erwiesen und muss wieder gestärkt oder vielleicht ersetzt werden?

 

Ähnliches gilt auch für Unternehmen: es geht um die Diagnose, was eigentlich „getrennt“ ist, was genau in der Krise nicht mehr wie gewohnt am Funktionieren des Unternehmens mitmacht und dann darum, das, was „getrennt“ wurde, wieder zu verbinden – evtl. auch mit etwas völlig Neuem.

Es ist wichtig, diesen Aspekt im Auge zu haben, dass eine Krise eine „Trennung“ ist. Dies hat mehrere Konsequenzen, die nicht immer gesehen werden:

  • Wenn etwas getrennt ist, muss man es wieder zusammenfügen oder was Neues probieren. Nur Abwarten hilft nicht.
  • Ein Unternehmen besteht aus vielen Einzelteilen, die man immer im Auge haben muss. Eine Krise kann helfen, sich die eigene Substanz des Unternehmens neu und wirklich schonungslos anzuschauen: was ist wichtig für das Funktionieren des Unternehmens, was nicht?

 

Es ist sehr interessant, dass ausgerechnet die alten Griechen das Wort „Krise“ erfunden haben. Ausgerechnet das Volk, das auch die Philosophie erfunden hat. Weil es in beiden Feldern um Erkenntnis geht: um die Erkenntnis der einzelnen Teile eines Ganzen. Wie fügt es sich zusammen? Wie löst es sich und wie kann man es wieder zusammenfügen?

Krise und Kritik sind zwei Seiten einer Medaille: der Wirklichkeit.