Vor wenigen Tagen wurde der Bürger an die Wahlurne gebeten. Es ging um das Europäische Parlament und trotzdem wurde natürlich nach nationalen Gesichtspunkten gewählt. Das Ergebnis dieser Wahl: Jubel bei den Grünen, Flächenbrand bei CDU und SPD. Die beiden Volksparteien scheinen ihrem Untergang entgegenzutaumeln und haben alleine in den letzten Wochen derart viele Fehler begangen, dass sie diesen fast verdient hätten.

Das Problem: beide befinden sich aus unterschiedlichen Gründen in strategischen Sackgassen, aus denen sie nur schwer entkommen können. Und zusammen schon gar nicht.


SPD

Beginnen wir mit der SPD, welche durch den Rücktritt von Andrea Nahles die Schlagzeilen der letzten Tage bestimmt hat – ein trauriger Ruhm in diesen Tagen.

Andrea Nahles (Quelle: www.pixabay.com)

Erst einmal: das Mitleid, das Andrea Nahles in diesen Tagen von vielen Seiten entgegengebracht wird, ist völlig unangebracht. Zum einen tritt sie zu Recht zurück, weil sie viele Fehler begangen hat, zum anderen ist ihre persönliche politische Karriere mit den vielen Kampfabstimmungen (Grüße an Herrn Müntefering) nicht gerade davon geprägt gewesen, auf das Wohlbefinden des jeweiligen politischen Konkurrenten zu achten. Sie hat sich nach oben geboxt und wer viel boxt, kann auch mal selbst einen Haken an das Kinn kriegen. Abgesehen davon, dass Nahles zu dem Typ Mann gehört, der eines nicht haben will: Mitleid.

Warum ist Nahles letztlich gescheitert? Die Antwort wird sichtbar im Umgang mit der letzten Bundestagswahl. Der damalige Noch-Vorsitzende Martin Schulz hatte eine Studie über das schlechte Abschneiden der Partei in Auftrag gegeben, die dann später von Nahles im Juni 2018 veröffentlicht wurde.

108 Seiten über das Drama der SPD: zu späte Nominierung des Kanzlerkandidaten, zu wenig Profil gegenüber der Union, keine Visionen, widersprüchliche Aussagen, keine klaren Führungsstrukturen. Eine schonungslose Analyse über die Partei, die welche Konsequenzen hatte? Zumindest keine sichtbaren und da sind wir bei der Verantwortung von Andrea Nahles.

Das grundsätzliche Problem der SPD ist nicht, dass sie sich nicht für den Bergmann einsetzen würde. Das Problem ist, dass es ihn nicht mehr gibt.

Die SPD muss das heutige Arbeitsleben und den!Quod heutigen Arbeiter wieder verstehen lernen (siehe auch Blog “Quo vadis, SPD?”). Auch im heutigen Arbeitsleben der Industrie 3.0 und 4.0 gibt es Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten, die danach schreien, wahrgenommen und gelöst zu werden.

Macht die SPD den Eindruck, diese neue Arbeitswelt zu verstehen? Hier muss sie einsetzen, wenn sie eine Chance haben will.

Neben der inhaltlichen gibt es noch eine politische Sackgasse: die Große Koalition mit einer Kanzlerin an der Spitze, die es meisterhaft versteht, jeden inhaltlichen SPD-Sieg in ihren eigenen Sieg zu verwandeln.


CDU

Die CDU kann sich damit trösten, nicht so tief abzustürzen wie die SPD. Aber auch wer später in den Abgrund springt und einige Meter über dem Vordermann fliegt, landet am Boden.

Wie bei der SPD gilt, dass die CDU wichtige Elemente der modernen Welt einfach nicht versteht. Dies wurde jedem deutlich in der Reaktion auf das Youtube-Video von Rezo, die einfach nur zum fremdschämen war.

Über das Dilemma der CDU ist bereits viel berichtet werden: zu lange Amtszeit von Merkel (siehe Blog: “Angela Merkel – Demokratie als Verwaltung“), inhaltliche Entkernung usw.

Annegret Kramp-Karrenbauer (Quelle: www.wikipedia.org)

Nun gab es ja die Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Vorsitzenden der CDU, die nicht zu einem Befreiungsschlag der CDU werden konnte. Sie konnte es nicht.

Warum? Weil es nicht möglich ist, in Angela Merkel das Problem der CDU zu erkennen, eine neue Vorsitzende zu wählen, sie aber als Kanzlerin zu belassen.

Wenn es gut läuft für die CDU, kann Merkel sich feiern lassen. Sie ist die Kanzlerin, sie regiert. Ihr Erfolg strahlt auf die CDU. Auf welche Taten sollte Kramp-Karrenbauer für die CDU verweisen? Dass die Poststelle im Konrad-Adenauer-Haus schneller funktioniert?

Wenn es nicht läuft für die CDU, ist Kramp-Karrenbauer eh geliefert, weil sie die Vorsitzende ist. Merkel kann sagen: Geht mich nichts an, das ist die Partei, ich regiere. Hat sie genau so gesagt, als sie gebeten wurde, in den Europawahlkampf der CDU einzugreifen.

Mit anderen Worten: in der Konstellation Kramp-Karrenbauer als Vorsitzende und Merkel als Kanzlerin kann Kramp-Karrenbauer nur verlieren und ein ähnliches Schicksal erleiden wie die SPD: die Erfolge zählen für Merkel und die Misserfolge bleiben haften.

 

Fazit

Beide Parteien der Großen Koalition befinden sich in einer schweren Krise. Aus der können sie beide herauskommen, aber nur dann, wenn sie beide Wege finden, die inhaltliche und strategische Sackgasse zu verlassen, in der sie drinstecken. Dazu reichen Personalwechsel in den Parteivorsitzen bei beiden Parteien nicht aus. Für die Demokratie in Deutschland wäre es allerdings schön, wenn beide Parteien hier möglichst schnell Wege finden würden. Wenn nicht: dann haben sie das Schicksal verdient, das sie gerade durchleiden müssen.